Was Sie heute wissen müssen

Staatsanwalt: Keine Gruppenvergewaltigung | Das Trauma wegen Lena bleibt | Paten für ukrainische Schüler

Joachim Braun
|
Eine Kolumne von Joachim Braun
| 24.03.2022 06:26 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
Artikel teilen:

Das Wichtigste aus der Region, jeden Morgen um 6.26 Uhr zusammengefasst von der Chefredaktion der Ostfriesen-Zeitung.

Ich muss mich entschuldigen: Ende Juli vorigen Jahres entschied ich gegen den ausdrücklichen Willen meiner Kollegen Katja Mielcarek und Andreas Ellinger, dass die OZ die Nationalität der drei mutmaßlichen Täter einer von der Polizei mitgeteilten angeblichen Gruppenvergewaltigung in Leer (die, da es sich um Jugendliche handelte, gar nicht hätte öffentlich werden dürfen) nennt. Mutmaßlich und angeblich, diese Begriffe sind entscheidend. Denn inzwischen steht fest, dass es ein solches Verbrechen gar nicht gab. Ein sogenanntes Glaubwürdigkeitsgutachten hat ergeben, dass es einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zwischen der 16-Jährigen und den jungen Männern gegeben hatte, die Vergewaltigung aber vom Opfer erfunden worden war. Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren gegen die angeblichen Täter, die auch auf öffentlichen Druck mehrere Wochen in U-Haft saßen, inzwischen eingestellt - ein Freispruch erster Klasse! Katja Mielcarek berichtet.

Bei der angeblichen Tat gibt es aber nicht nur Opfer - vier junge Menschen - sondern auch Täter: die Bild-Zeitung, RTL, auch die Zeitung Die Welt und andere mehr, der ehemalige CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, vor allem aber Rassisten wie der damalige AfD-Ostfriesland-Vorsitzende Prof. Reiner Osbild (O-Ton auf Facebook: „Vergewaltiger-Versteher und Sexist Braun“) und leider auch andere Ostfriesen schlugen damals gnadenlos auf die jungen Männer ein. Bild-Reporter überfielen die überforderten Eltern eines der Täter und vieles mehr. Eine absolute Schande. Ebenso wie die Tatsache, dass die erwiesene Unschuld der drei jungen Männer keinen Einfluss haben wird auf die Kriminalitätsstatistik. Da wird nicht zwischen Verdacht und Verurteilung unterschieden. So werden drei Ausländer als Straftäter gezählt, obwohl sie offensichtlich keine Straftäter sind. Noch so ein Thema.

Noch so ein furchtbares Thema, und es ist tatsächlich ein Zufall, dass es zusammenfällt mit dem anderen Kriminalfall. Der Mord an der elfjährigen Lena, bis heute ein Trauma für die Stadt Emden, jährt sich heute zum zehnten Mal. Die Wunden sind nicht verheilt. Auch damals blamierten sich die einschlägigen Medien - und viele normale Bürger. Ein damals 17-jähriger junger Mann wurde via Facebook und bei einer Kundgebung vor dem Polizeipräsidium fast gelyncht, obwohl er mit der Tat nichts zu tun hatte. Eine Woche nach dem Mord wurde der Täter ermittelt, ein 18-Jähriger, der polizeibekannt war und einen Tag später ein Geständnis ablegte. Der Stadt brachte dies aber keine Ruhe, wie Gordon Päschel in seiner ausführlichen Nachbetrachtung schreibt.

„Menschen, die unser Herz berühren, werden in unserem Gedächtnis weiterleben“, so steht es auf einem Gedenkstein, den die Stadt Emden jetzt, zehn Jahre nach der unfassbaren Tat, aufgestellt hat.

Klar war’s gut gemeint, aber für Unparteilichkeit sprach es nicht, dass der Chef des Leeraner Amtsgerichts nach Beginn des Kriegs in der Ukraine blau-gelbe Fahnen aus dem Fenster hing. Für eine Institution wie ein Gericht ist dies mit Verlaub unpassend, das Justizministerium formulierte es allerdings feiner und sprach von „einer Frage des Fingerspitzengefühls“. Das ist nun wieder zurück, die Fahnen sind weg. Gut so. Vielleicht hat sie ja das Rathaus bekommen, um sie aufzuhängen. Die dürfen das. Daniel Noglik ist am Thema drangeblieben.

2700 Jungen und Mädchen aus der Ukraine besuchen inzwischen Schulen in Niedersachsen. Wie viele es in Ostfriesland sind, ist nicht bekannt. Aber das Engagement, dass es ihnen nach den Erfahrungen von Krieg und Flucht hier gut gehen soll, ist groß. Luca Hagewiesche hat bei Schulen nachgefragt. Ein Beispiel ist das Ubbo-Emmius-Gymnasium (UEG) in Leer. Schulleiterin Ute Wieligmann: „Direkt bei den Aufnahmegesprächen bekommen die ukrainischen Jugendlichen Paten an ihre Seite gestellt, die sie im Schulalltag unterstützen, ihnen bei der Verständigung helfen und mit ihnen in eine Klasse gehen. Das sind andere Schülerinnen und Schüler des UEG, die russisch oder ukrainisch sprechen.“

Mit fossilen Energieträgern hat diese Nachricht nichts zu tun, sondern mit dem derzeitigen Wetter: Am Mittwoch war die Feinstaub-Belastung in Ostfriesland so hoch wie seit mehr als zwei Jahren nicht mehr. Dabei wurde sogar der amtliche Grenzwert überschritten, was man sonst nur von viel befahrenen Kreuzungen in Großstädten kennt. „Es können nachteilige Gesundheitseffekte bei empfindlichen Personengruppen sowie in Kombination mit weiteren Luftschadstoffen auch bei weniger empfindlichen Personen auftreten“, warnte das niedersächsische Umweltministerium. Näheres dazu von Daniel Noglik.

Leben auf dem Land, so schlimm finden das junge Menschen gar nicht, wie es immer scheint. Aber: Ländliche Regionen haben nur Zukunft, wenn junge Erwachsene nach einem Schulabschluss bleiben oder nach einer beruflichen Ausbildung zurückkommen, ergab die Studie „Jugend im ländlichen Raum Baden-Württembergs“ der Jugendstiftung Baden-Württemberg. Lassen sich die Ergebnisse auf Ostfriesland übertragen? Nora Kraft hat sich mit drei Heranwachsenden unterhalten. Ergebnis: Sie leben gerne hier, eine Uni wäre gut, und in die Großstadt wollen sie gar nicht.

Was heute wichtig wird:

  • Die Opferschutz-Organisation „Weißer Ring“ will bald wieder in Leer vertreten sein. Warum gab es das Angebot eine Zeit lang nicht und an wen können sich Opfer sonst wenden? Diesen Fragen geht Tobias Rümmele nach.
  • Im Gemeindehaus der Petruskirche in Loga treffen sich einmal die Woche Geflüchtete aus der Ukraine, um sich auszutauschen und in ihrer vorübergehenden Heimat Kontakte zu knüpfen. Nikola Nording war dabei und hat mit Helfern und Geflüchteten gesprochen.
  • Neuerdings kümmert sich der Marcardsmoorer Pastor Martin Kaminski nicht nur um seine Gemeinde, sondern fährt auch Bus auf halber Stelle. Das sorgt für Aufsehen. Ole Cordsen war mit ihm unterwegs.
  • Die BBS Wittmund samt Standort Esens platzt aus allen Nähten: viel Sanierungsstau, zu wenig Platz. Während die Schule am liebsten auf Esens verzichten würde, will die Politik das nicht. Jetzt stehen zwei Varianten zur Wahl. Susanne Ullrich stellt sie vor.
  • Die Pläne für eine nachhaltige Tiny-House-Siedlung am Kleinen Meer bei Emden werden konkreter. Der Investor hat mittlerweile einen Bauantrag gestellt. Heiko Müller hat mit ihm über das Vorhaben gesprochen.
Ähnliche Artikel