Berlin (dpa)
Bundesregierung beruft Gas-Krisenstab ein
Deutschland bereitet sich auf einen möglichen Gas-Lieferstopp Russlands vor. Die erste Stufe eines Notfallplans greift. Das Ministerium betont: Aktuell gibt es keine Engpässe.
Die Bundesregierung bereitet sich angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine auf eine erhebliche Verschlechterung der Gasversorgung vor. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) setzte deswegen am Mittwoch in Berlin die Frühwarnstufe des so genannten Notfallplans Gas in Kraft.
Dies diene der Vorsorge. Die Versorgungssicherheit sei weiterhin gewährleistet. Nach dem Notfallplan gibt es drei Krisenstufen: Frühwarnstufe, Alarmstufe und Notfallstufe. Erst in der Notfallstufe greift der Staat in den Gasmarkt ein. Haushaltskunden wären dann besonders geschützt.
Krisenteam zusammengetreten
„Es gibt aktuell keine Versorgungsengpässe“, betonte Habeck. „Dennoch müssen wir die Vorsorgemaßnahmen erhöhen, um für den Fall einer Eskalation seitens Russlands gewappnet zu sein.“ Mit Ausrufung der Frühwarnstufe sei ein Krisenteam zusammengetreten. „Das Krisenteam analysiert und bewertet die Versorgungslage, so dass - wenn nötig - weitere Maßnahmen zur Erhöhung der Versorgungssicherheit ergriffen werden können. Die Bundesregierung tut alles, um die Versorgungssicherheit in Deutschland weiter zu gewährleisten.“
Die Gesamtversorgung aller deutschen Gasverbraucher sei aktuell weiter gesichert, so das Ministerium. Habeck appellierte an alle Gasverbraucher, Gas zu sparen. „Dennoch ist ab sofort jeder Gasverbraucher - von der Wirtschaft bis zu Privathaushalten - auch gehalten, seinen Verbrauch so gut wie möglich zu reduzieren.“ Jede eingesparte Kilowattstunde Energie helfe, sagte der Grünen-Politiker.
Appell zum Sparen
Auch der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, appellierte an Verbraucher und Unternehmen, durch Einsparungen und verstärkte Zukäufe mitzuhelfen. Ziel sei, eine Verschlechterung der Gasversorgung für Deutschland und Europa zu vermeiden, schrieb er auf Twitter.
Habeck betonte die europäische Solidarität. „Die Sanktionen sind deswegen wirkungsstark, weil wir als Europa zusammenstehen in der transatlantischen Partnerschaft.“ Auch wenn man Terminals für Flüssiggas (LNG) in Deutschland baue oder man sich um weitere Gasimporte nach Deutschland kümmere: „Wir sind natürlich auch in der europäischen Solidarität, so wie wir jetzt ja extrem darauf angewiesen sind, dass Belgien, Frankreich und die Niederlande Gas durchleiten.“ Würde das nicht solidarisch passieren, „wären wir in keiner guten Situation“.
Bundesnetzagentur soll täglich berichten
Die Frühwarnstufe bedeutet laut Habeck, dass jetzt täglich ein Krisenstab beim Wirtschaftsministerium zusammentritt, der aus Behörden und den Energieversorgern besteht. Die Gasversorger und die Betreiber der Gasleitungen werden verpflichtet, regelmäßig die Lage für die Bundesregierung einzuschätzen. Die Bundesnetzagentur wird ab Donnerstag täglich einen Sachstandsbericht veröffentlichen.
Noch greift der Staat nicht ein. „Da sind wir nicht, und da wollen wir auch nicht hin“, sagte Habeck. Gashändler und -lieferanten, Fernleitungs- und Verteilnetzbetreiber ergreifen „marktbasierte“ Maßnahmen, um die Gasversorgung aufrechtzuerhalten. Gemeint sind etwa Umleitungen von Gas innerhalb der Netze nach Bedarf und Versuche, zusätzliches Gas zu beschaffen.
Hintergrund für die Ausrufung der Frühwarnstufe: Russland bleibt bei seiner Forderung nach Bezahlung russischer Gaslieferungen nach Westeuropa in Rubel. Die Lieferung von Gas und die Bezahlung seien getrennte Prozesse, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Mittwoch. Die Anweisung von Präsident Wladimir Putin, auf Rubel-Zahlungen umzustellen, sei noch nicht für diesen Donnerstag gültig. Putin will sich an dem Tag mit Vertretern des russischen Gasriesen Gazprom und der Zentralbank treffen, um sich über den Stand der Dinge informieren zu lassen.
Drei Krisenstufen
Putin hatte vergangene Woche verkündet, dass Russland Gas an Deutschland und weitere „unfreundliche Staaten“ nur noch gegen Zahlung in Rubel liefern werde. Dies würde die unter Druck geratene russische Währung stützen. Die Gruppe der G7-Wirtschaftsmächte, darunter Deutschland, sowie die Europäische Union insgesamt lehnen Zahlungen in Rubel für Gas jedoch ab. Ungeachtet der Sanktionen westlicher Staaten können Energielieferungen aus Russland bislang weiterhin in Dollar oder Euro bezahlt werden, weil nicht alle russische Banken sanktioniert worden sind.
Habeck bekräftigte am Mittwoch, falls Russland eine Bezahlung der Gasimporte nur noch in Rubel akzeptiere, stelle dies einen Bruch der privaten Lieferverträge dar. Um auf mögliche Liefereinschränkungen oder -ausfälle vorbereitet zu sein, habe das Ministerium deshalb die Frühwarnstufe ausgerufen. Die aktuelle Situation im Gasnetz werde engmaschig beobachtet und bewertet.
Nach dem Notfallplan gibt es drei Krisenstufen. Die Frühwarnstufe bedeutet, dass „konkrete, ernstzunehmende und zuverlässige Hinweise“ darauf vorliegen, dass ein Ereignis eintreten kann, welches wahrscheinlich zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage führt - sowie wahrscheinlich zur Auslösung der Alarm- beziehungsweise Notfallstufe. Bei der Notfallstufe läge eine „erhebliche Störung“ der Gasversorgung vor. Der Staat müsste einschreiten, um insbesondere die Gasversorgung der „geschützten Kunden“ sicherzustellen - das sind etwa private Haushalte, aber auch Krankenhäuser, Feuerwehr und Polizei.
„Wir stellen zum jetzigen Zeitpunkt keine Beeinträchtigung der Lieferungen aus Russland fest“, betonte der Vorstand des Branchenverbandes Zukunft Gas, Timm Kehler. „Die deutschen Gasspeicher sind aktuell zu 26 Prozent gefüllt und liegen damit innerhalb des Fünfjahreskorridors.“
Aufruf zu Fahrgemeinschaften
Die „Wirtschaftsweisen“ riefen die Verbraucherinnen und Verbraucher zum Energiesparen auf. Sie sollten Fahrgemeinschaften bilden, langsamer fahren und wenn möglich den öffentlichen Nahverkehr nutzen, sagte Monika Schnitzer, Mitglied des Sachverständigenrates. Sie kritisierte geplante Maßnahmen der Bundesregierung, die den Benzinpreis künstlich niedriger hielten als er aktuell sei. Auch eine Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken könnte aus Sicht der „Wirtschaftsweisen“ einen Beitrag für mehr Energieunabhängigkeit von Russland leisten.
Die „Wirtschaftsweise“ Veronika Grimm sagte, es sei wichtig Signale zu setzen, die darauf hindeuteten, dass es eine brisante Lage geben könnte im Falle eines Lieferstopps russischer Energielieferungen - ein solches Signal könnte die Einführung eines generellen Tempolimits auf Autobahnen sein. Die Sachverständigen rechnen damit, dass die Energiepreise in Deutschland durch die absehbare Lösung von Russland steigen werden. Ihre Konjunkturprognose für das laufende Jahr schraubten die Experten wegen der Folgen des Ukraine-Kriegs deutlich nach unten. Der Sachverständigenrat erwartet nun nur noch ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 1,8 Prozent, für das kommende Jahr 3,6 Prozent. Die „Wirtschaftsweisen“ hatten im vergangenen November für 2022 noch mit 4,6 Prozent Wachstum gerechnet.
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