Berlin/Kiew (dpa)

Scholz lässt Kiew-Reise offen - Empörung wegen Steinmeier

| 12.04.2022 17:21 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier trifft in Warschau ehrenamtliche Helfern der Caritas. Foto: Jens Büttner/dpa
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier trifft in Warschau ehrenamtliche Helfern der Caritas. Foto: Jens Büttner/dpa
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Der Bundespräsident ist in Kiew unerwünscht, der Kanzler dagegen willkommen. Die Ukraine hofft auf Gäste, die nicht mit leeren Händen kommen. Doch Scholz hält sich weiter bedeckt.

Die Absage der Ukraine an einen Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat in Deutschland parteiübergreifend für Empörung gesorgt. Der Vorgang wurde vielfach als Affront gewertet.

Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk wiederholte eine Einladung für Kanzler Olaf Scholz und verknüpfte dies mit dem Wunsch, dass der Kanzler die Zusage für die Lieferung schwerer Waffen mitbringen werde. Der SPD-Politiker ließ eine Reise jedoch weiter offen. Er verwies in einem rbb-Interview darauf, dass er früher schon in der Ukraine gewesen sei und jetzt regelmäßig mit Präsident Wolodymyr Selenskyj telefoniere.

Steinmeier wollte zusammen mit den Staatspräsidenten Polens, Lettlands, Litauens und Estlands nach Kiew fahren. Die Initiative hierfür war von Polens Präsident Andrzej Duda ausgegangen. „Ich war dazu bereit. Aber offenbar - und ich muss zur Kenntnis nehmen - war das in Kiew nicht gewünscht“, sagte Steinmeier am Dienstagabend in Warschau. Die vier anderen Staatsoberhäupter fuhren schließlich mit dem Zug allein nach Kiew, wo sie sich mit Selenskyj zu Gesprächen trafen.

Scholz nannte die Entscheidung der Ukraine im rbb „etwas irritierend, um es höflich zu sagen“. Außenministerin Annalena Baerbock bedauerte die Absage ebenfalls. Sie hätte die Reise Steinmeiers „für sinnvoll gehalten“, sagte die Grünen-Politikerin am Rande eines Besuches in der malischen Hauptstadt Bamako.

Kritik in Deutschland an Ausladung Steinmeiers

Die Ausladung Steinmeiers stieß in Deutschland auf teils scharfe Kritik. FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki schließt eine Fahrt von Kanzler Scholz nach Kiew vorerst aus. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Kanzler einer von der FDP mitgetragenen Regierung in ein Land reist, das das Staatsoberhaupt unseres Landes zur unerwünschten Person erklärt“, sagte Kubicki der Deutschen Presse-Agentur. Er habe jedes Verständnis für die politische Führung der Ukraine. Das Land kämpfe um sein Überleben. „Aber alles hat auch Grenzen.“

Der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid sagte im Deutschlandfunk: „Kanzler gegen Bundespräsidenten auszuspielen, das geht überhaupt nicht.“ SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich nannte das Vorgehen der ukrainischen Seite „bedauerlich“. Es werde den engen beiderseitigen Beziehungen nicht gerecht. „Gleichwohl werden wir darauf achten, dass dieser Vorgang unsere Zusammenarbeit nicht gefährden wird.“

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz zeigte in der „Rheinischen Post“ Verständnis für den emotionalen Ausnahmezustand Selenskyis. „Aber Frank-Walter Steinmeier ist gewähltes Staatsoberhaupt eines demokratischen Landes, seine Ausladung ist ein diplomatischer Affront.“ Linksfraktionschef Dietmar Bartsch sagte dem Blatt: „Bundeskanzler Scholz darf diesen Affront nicht durch einen Besuch faktisch akzeptieren und sollte die Reise nach Kiew aufschieben.“

Der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff nannte im Sender „Welt“ die Entscheidung der Ukraine einen Fehler. Auch er erklärte, Scholz könne im Moment nicht nach Kiew fahren.

Einladung an Kanzler Scholz

Botschafter Melnyk bekräftigte, dass Scholz anders als Steinmeier gern gesehen sei. „Das haben wir auch so kommuniziert, dass mein Präsident und die Regierung sich darauf sehr freuen würden, wenn der Bundeskanzler Olaf Scholz Kiew besucht“, sagte er am Dienstagabend auf ProSieben und SAT.1.

Der ukrainische Präsidentenberater Olexeij Arestowytsch bat um Verständnis für die Absage. Er kenne die Gründe nicht, doch die Politik und die Entscheidungen von Selenskyj seien sehr ausgewogen, sagte er im ARD-„Morgenmagazin“ laut Übersetzung. „Unser Präsident erwartet den Bundeskanzler, damit er unmittelbar praktische Entscheidungen treffen könnte auch inklusive die Lieferung der Waffen.“

Besuch zu späterem Zeitpunkt?

Der frühere Box-Weltmeister Wladimir Klitschko bedauerte die Absage und setzt auf eine spätere Reise des Bundespräsidenten. „Ich hoffe, dass der Besuch des Bundespräsidenten in Kiew nur aufgeschoben ist und in den kommenden Wochen nachgeholt werden kann“, sagte der Bruder des Kiewer Bürgermeisters Vitali Klitschko der „Bild“-Zeitung. „Ich halte es für dringend erforderlich, dass wir als Ukraine weiterhin Brücken nach Deutschland bauen.“

Melnyk: Bundesregierung sollte „Blockadehaltung“ aufgeben

Die Ukraine fordert zum Beispiel Kampfpanzer, Artilleriegeschütze und Luftabwehrsysteme von Deutschland. Viele andere Staaten innerhalb der Nato wie Tschechien hätten sich dafür schon entschieden, betonte Botschafter Melnyk. Scholz blieb weiter zurückhaltend. Im rbb warnte er auch davor, „irgendwelchen Lobbyinteressen“ Folge zu leisten - „wo der eine oder andere auch Sachen, die seit vielen Jahren von niemandem gekauft werden, jetzt mal loswerden will“.

CDU fordert Tempo - Skeptische Stimmen aus der SPD

Auch der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter forderte schnelle Waffenlieferungen. „Konkret gibt es das Angebot aus der Industrie, kurzfristig Kampfpanzer des Typs Leopard 1 oder Schützenpanzer Marder liefern zu können, auch in einem Rotationsverfahren mit Bundeswehrbeständen“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte der dpa: „Es braucht eine weitere Stärkung der Verteidigungsfähigkeit der Ukraine auch mit schweren Waffen, geschützten Fahrzeugen und Aufklärungstechnik mit Drohnen.“

Aus der SPD kommen indes auch skeptische Stimmen. Der Bundestagsabgeordnete Joe Weingarten, Mitglied im Verteidigungsausschuss, sagte der „Welt“: „Wir dürfen uns nicht schrittweise in einen Krieg mit Russland treiben lassen. Wenn wir schwere Waffen liefern, stellt sich schnell die Frage, ob dann auch deutsche Ausbilder nötig sind oder Freiwillige aus Deutschland, die die Systeme bedienen.“

© dpa-infocom, dpa:220412-99-895617/27

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