Würzburg (dpa)

„Da war viel Blut“: Messerstecher von Würzburg vor Gericht

Angelika Resenhoeft, dpa
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Von Angelika Resenhoeft, dpa
| 17.04.2022 06:16 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
Jens Kleefeld steht in einer Straße in der Nähe seiner Düsseldorfer Wohnung. Kleefeld war am Tag der Messerattack für die Hochzeit eines Freundes nach Würzburg gereist und wurde unmittelbar Zeuge der Tat. Foto: Rolf Vennenbernd/dpa
Jens Kleefeld steht in einer Straße in der Nähe seiner Düsseldorfer Wohnung. Kleefeld war am Tag der Messerattack für die Hochzeit eines Freundes nach Würzburg gereist und wurde unmittelbar Zeuge der Tat. Foto: Rolf Vennenbernd/dpa
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Ein Mann stürmt in ein Kaufhaus, nimmt sich ein Messer aus der Auslage und sticht wahllos auf die Menschen in seiner Nähe ein - auch auf der Straße attackiert er Passanten. Nun steht er vor Gericht.

25. Juni 2021, kurz nach 17.00 Uhr: Hossein Moradi beobachtet in einem Würzburger Kaufhaus einen barfüßigen Mann.

„Ich suche ein Messer“, sagt der Unbekannte nach Erinnerung des Kaufhausdetektivs zu einer Verkäuferin. Kurz danach hat der vermeintliche Kunde ein Küchenmesser aus einer Auslage in der Hand, „bestimmt 30 oder 40 Zentimeter groß“. Und damit sticht der Mann unvermittelt zu.

Nach wenigen Augenblicken sind drei Frauen im Alter von 24, 49 und 82 Jahren aus dem Leben gerissen. Auf der Straße sticht der wahrscheinlich psychisch kranke Flüchtling weiter offenbar wahllos auf Passanten ein. Vier Frauen, ein damals 11-jähriges Mädchen und ein 16-Jähriger werden schwer verletzt. Zudem gibt es drei Leichtverletzte. Eine der Angegriffenen bleibt unversehrt.

„Damit rechnet man nicht“

Jens Kleefeld aus Düsseldorf kommt an diesem Nachmittag per Zug in der fränkischen Mainstadt an. Auf der Suche nach Mitbringseln für eine abendliche Hochzeit streift er durch die Innenstadt, ist in Tatortnähe am Barbarossaplatz unterwegs. „Ich habe telefoniert und dabei auf mein Handy geschaut“, erzählt er. Als der 28-Jährige hochschaut, um nicht mit einer Laterne oder ähnlichem zu kollidieren, sieht er eine Frau zu Boden fallen. „Da war relativ viel Blut“, sagt er. „Machen wir uns nichts vor: Damit rechnet man nicht.“

Kleefeld hält kurz inne, beendet sein Gespräch. „Natürlich sind viele Menschen schreiend losgelaufen.“ Der Unternehmensberater sieht einen Mann mit einem Messer, keine 15 Meter weit weg. „Die Leute sind schnell in die Geschäfte rein, haben die Türen abgeschlossen, manche haben sogar ein Fallgitter vorgemacht.“

Dann entdeckt er den damals 16-Jährigen. Als der durch die Messerstiche schwer verletzte Jugendliche auf der Straße zusammenbricht, greift Kleefeld sich den Jungen. Der 28-Jährige hakt das Opfer unter und schleppt es in ein Café. „Der Junge hatte schon wirklich sehr viel Blut verloren.“

Kleefeld kann sich kaum noch an seinen weit zurückliegenden Erste-Hilfe-Kurs erinnern. Dennoch drückt er kurzerhand die Wunden so gut wie möglich ab und redet auf den Verletzten ein. „Mein Plan war einfach, ihn am Leben zu halten. Ich habe ihn gefragt, was er da gemacht hat, wann sein letzter Urlaub war.“

Währenddessen klemmt sich Kaufhausdetektiv Moradi an die Fersen des Angreifers. Der 57-Jährige rennt ihm wie auch andere mutige Passanten durch die Innenstadt hinterher, redet auf den Flüchtling ein. Im Internet ist in kurzen Videos zu sehen, was sich nach dem Angriff in der Universitätsstadt abspielt. Der mutmaßlich heute 33 Jahre alte Somalier - die Behörden wissen nicht sicher, wann er geboren wurde - taumelt über das Pflaster. Er ist barfuß, in der linken Hand hält er das Messer.

Ein Passant in blauem T-Shirt versucht, den Angreifer mit einem Besen zu überwältigen. Andere Männer haben sich Holzstühle geschnappt, um den Täter in Schach zu halten. Ein Helfer wirft eine Tasche in Richtung des 33-Jährigen, der in den Kurzvideos zeitweise etwas verloren wirkt.

„Kann seinen schwarzen Blick nicht vergessen“

Moradi, 2005 aus dem Iran nach Deutschland geflüchtet und wie Kleefeld für seine Courage vom Land Bayern bereits ausgezeichnet, kann den Messerstecher schließlich nach eigener Darstellung überwältigen. Er hält ihn fest, bis die Polizei übernimmt. „Ich kann seinen schwarzen Blick nicht vergessen“, erzählt er kurz vor Prozessbeginn gegen den Somalier.

Vom 22. April an will das Landgericht Würzburg in einem Sicherungsverfahren herausfinden, was den 33-Jährigen zu der Messerattacke trieb. Kurz nach der Tat waren die Spekulationen über sein Motiv nur so ins Kraut geschossen. Ein Terrorakt, ein islamistischer Anschlag, religiöser Wahn, die Tat eines Irren? Mittlerweile sind sich die Ermittler sicher, dass der Täter psychisch krank ist und bei der Attacke schuldunfähig war. Dabei stützen sie sich auf zwei psychiatrische Gutachten.

2015 wird der Solmalier erstmals in Deutschland registriert. Seither fällt er mehrmals wegen psychischer Probleme auf. Bis zum Tattag hatten die Behörden aber nach eigenen Angaben keine Hinweise darauf, dass der Mann andere Menschen gefährden könnte.

Die Generalstaatsanwaltschaft München will den Flüchtling nun dauerhaft in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses unterbringen lassen. „Die Ermittlungen ergaben keine Hinweise auf islamistische Motive für die Tat“, so die Behörde. „Der Beschuldigte gab an, „Stimmen in seinem Kopf“ hätten ihn angewiesen, mit einem Messer möglichst viele Menschen zu töten. Er habe sich in Deutschland ungerecht behandelt gefühlt und sich deshalb rächen wollen.“ Für das Verfahren vor einer Schwurgerichtskammer unter anderem wegen Mordes in drei Fällen sowie versuchten Mordes in elf Fällen sind bisher 27 Verhandlungstage angesetzt.

Opfer blicken mit „Bauchgrummeln“ auf Prozess

Erwin Manger, Ansprechpartner in Bayern für Opfer von Terroranschlägen und Gewalttaten, hat seit dem für die Universitätsstadt so aufwühlenden Tag mehrfach mit Opfern und Angehörigen gesprochen. Monate nach dem Angriff blickten sie mit „einigem Bauchgrummeln auf den Prozess, da sie eventuell als Zeugen geladen werden“, sagt Manger, der beim Zentrum Bayern Familie und Soziales in Bayreuth angegliedert ist. „Das ist eine Situation, in der man dem Täter wieder begegnet.“ Einige Opfer wollen nach seiner Kenntnis möglichst nicht vor Gericht erscheinen, viele seien als Nebenkläger durch einen Anwalt vertreten.

Sollte der Täter schuldunfähig sein und nach Paragraf 63 Strafgesetzbuch (Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus) verurteilt werden, „kann das faktisch lebenslang bedeuten“, erklärt Gerichtssprecher Michael Schaller. Externe Gutachter müssten den in der forensischen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses untergebrachten Mann dann in regelmäßigen Abständen untersuchen. Und solange seine Erkrankung fortbestehe und er als gefährlich eingestuft werde, sei eine Freilassung ausgeschlossen.

© dpa-infocom, dpa:220417-99-942697/2

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