Mariupol (dpa)

Schlacht um Mariupol: Fällt die umkämpfte Hafenstadt?

Andreas Stein und Ulf Mauder, dpa
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Von Andreas Stein und Ulf Mauder, dpa
| 18.04.2022 17:03 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
Ein Mann geht in der Nähe eines durch Beschuss zerstörten Wohnhauses in Mariupol. Foto: -/victor/XinHua/dpa
Ein Mann geht in der Nähe eines durch Beschuss zerstörten Wohnhauses in Mariupol. Foto: -/victor/XinHua/dpa
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Die Schlacht um die Hafenstadt Mariupol gilt als richtungsweisend für Russlands Krieg in der Ukraine. Kiew gibt die Metropole noch nicht verloren. Aber Russlands Drohungen sind scharf und eindeutig.

Nach rund 50 Tagen Belagerung durch russische Truppen gilt Mariupol als das „Herz des Krieges“ in der Ukraine.

Wenn Mariupol fällt, dann fällt die Ukraine, warnen seit Wochen die ukrainischen Kämpfer, die sich nun in dem Stahlwerk Asovstal verschanzt haben – für die wohl letzte und entscheidende Schlacht. Rund 2500 Kämpfer haben sich in dem für die Region symbolträchtigen Betrieb zurückgezogen, darunter 400 Söldner, wie das russische Verteidigungsministerium mitteilt. Nach ukrainischen Medienberichten sollen dort aber auch 1000 Zivilisten, darunter viele Kinder, Zuflucht gesucht haben.

Ein russisches Ultimatum, die Waffen niederzulegen und sich zu ergeben, haben die ukrainischen Kämpfer verstreichen lassen. Sie räumen am Montag ein, die russischen Soldaten seien deutlich in der Überzahl. Trotzdem werde um die Stadt weiter gekämpft. In Moskau droht der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, derweil damit, dass jeder vernichtet werde, der Gegenwehr leiste.

Selenskyj fordert seit Wochen schwere Waffen

Schon seit Wochen haben die ukrainischen Soldaten auf Hilfe aus Kiew gesetzt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj versichert zwar immer wieder, alles dafür zu tun, um einen Fall von Mariupol zu verhindern. Er fordert dafür vom Westen schleunigst schwere Waffen. Und er droht Russland, sollten die Menschen in dem eingekesselten Werk Asovstal sterben, dann bedeute das auch das Ende der Verhandlungen für eine Beendigung des Krieges.

Der ukrainische Geheimdienst SBU lässt nun sogar den inhaftierten russlandfreundlichen Abgeordneten Viktor Medwedtschuk per Video um das Leben der Menschen in dem Werk bitten. Medwedtschuk, der beste Kontakte in den Kreml in Moskau hat, appelliert an den russischen Präsidenten Wladimir Putin und an Selenskyj, sie mögen ihn eintauschen gegen die Kämpfer bei Asovstal. Und auch die ukrainische Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk bittet eindringlich, Russland möge für Frauen und Kinder sowie andere Zivilisten in dem Werk einen humanitären Korridor einrichten, um deren Leben zu retten.

Zehntausende Tote in Mariupol beklagt

Schon jetzt beklagen die Behörden Zehntausende Tote in der weitgehend zerstörten Großstadt. Mariupol ist der letzte Punkt an der Küste des Asowschen Meeres, der noch nicht komplett von den russischen Kräften kontrolliert wird. Sollten die von Russland anerkannten Separatisten-Republiken Luhansk und Donzek formal eigenständig bleiben, dann hätten sie mit Mariupol den Zugang zu den Weltmeeren. Sie könnten über den gut ausgebauten größten Hafen am Asowschen Meer ihre Produktion unabhängig von russischen Landrouten auf dem kostengünstigen Wasserweg selbst exportieren.

Viel diskutiert wird auch der Landweg von Mariupol zu der seit 2014 von Russland annektierten Halbinsel Krim. Die Straßenverbindungen dürften jedoch wegen ihres schlechten Zustands für Russland kaum von Interesse sein. Als wichtig auch im militärischen Sinne gelten vielmehr die weiter nördlich verlaufenden Eisenbahnverbindungen über das kürzlich von den russischen Truppen eroberte Wolnowacha in Richtung des bereits seit Ende Februar von Russland kontrollierten Melitopol und von dort zur Krim.

Vor dem Krieg stellte die nach der Separatistenhochburg Donezk zweitgrößte Stadt des Gebietes einen großen Teil des ukrainischen Exports. „Die Werke von Mariupol tragen zu mehr als einem Drittel der Stahlproduktion der Ukraine bei“, sagte der Generaldirektor des Konzerns Metinvest, Jurij Ryschenkow, Ende März. Allein durch die Zerstörungen dürfte der Verlust dieses Devisenbringers sich negativ auf den Kurs der Landeswährung Hrywnja und damit auf das allgemeine Wohlstandsniveau der Ukraine nach dem Krieg auswirken.

Fall Mariupols dürfte Teilsieg Russlands sein

Mariupol hat aber vor allem auch für das von Neonazis und Nationalisten gegründete und bis heute von ihnen dominierte Nationalgarde-Regiment „Asow“ eine große symbolische Bedeutung. Dem Gründungsmythos der Einheit nach befreite die Anfang Mai 2014 von Freiwilligen gegründete Einheit knapp einen Monat später die damals von Separatisten kontrollierte Hafenstadt.

Mittlerweile aber hat „Asow“ bereits seine Basis bei der benachbarten Hafenstadt Berdjansk verloren. Sollte Mariupol nun auch noch fallen, wäre das die Niederlage des Kerns der von den russischen Truppen mit besonderer Härte bekämpften Einheit. Russland dürfte das als einen großen Teilsieg in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine feiern.

Der beharrliche Widerstand in Mariupol gegen die russische Invasion sorgt bisher dafür, dass nach ukrainischen Angaben eine russische Gruppierung von etwa 14.000 Soldaten mit schwerer Technik gebunden ist. Mit dem Fall der Hafenstadt würden diese frei werden. Die russischen Soldaten könnten für die seit langem erwartete russische Offensive in Richtung Slowjansk und Kramatorsk das entscheidende Übergewicht bringen.

Separatistenchef: „Wir sind hier für immer“

Der Donezker Separatistenchef Denis Puschilin verspricht unterdessen bereits den Wiederaufbau der Stadt. „Wir sind hier für immer. Russland ist hier für immer“, meint der 40-Jährige bei einem Auftritt am östlichen eroberten Stadtrand vor dort verbliebenen Einwohnern. Das aktuell von ukrainischen Soldaten gehaltene Stahlwerk Asovstal aber hält er für nicht erhaltenswert - wegen der Luftverschmutzung. „Asovstal gestattete es der Stadt nicht, zu einem Erholungsort zu werden“, meint Puschilin.

In der nahezu komplett zerstörten Stadt, in der vor dem Krieg knapp 440.000 Menschen lebten, soll schon bald wieder der Alltag regieren. Wie das gehen soll, erklärte er nicht.

© dpa-infocom, dpa:220418-99-955133/2

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