Was Sie heute wissen müssen

Hausgemachte Atomangst | Schwimmen für Auswärtige teurer | Leserdialog zum Verkehrskonzept

Joachim Braun
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Eine Kolumne von Joachim Braun
| 27.04.2022 06:26 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
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Das Wichtigste aus der Region, jeden Morgen um 6.26 Uhr zusammengefasst von der Chefredaktion der Ostfriesen-Zeitung.

Jetzt also doch. Die Bundesregierung gibt ihre Zurückhaltung auf und liefert nun Panzer und mehr an die ukrainischen Streitkräfte. Bei einer Unterstützerkonferenz in Ramstein gab die Verteidigungsministerin den Strategiewechsel der Scholz-Regierung bekannt. Die Erkenntnis, dass die Notwendigkeit, den russischen Imperialismus zu stoppen, höher zu bewerten ist, als die abstrakte Sorge vor dem Einsatz russischer Atomwaffen, hat sich endlich durchgesetzt. Letzteres wäre ohnehin eine Entscheidung Putins, die nicht nach verbindlichen Spielregeln getroffen würde, sondern ganz nach des Diktators Gusto.

Der Kieler Politikwissenschaftler Joachim Krause hält die Furcht vor einem russischen Atomangriff ohnehin für „hausgemacht“, weil ein Atomkrieg Putins „reiner Selbstmord“ wäre: „Die Zeiten, in denen Russland an taktische Durchbrüche mit Kernwaffen geglaubt hat, sind seit den 1980er-Jahren vorbei.“ Martin Schulte hat mit dem Experten gesprochen, der bei einem russischen Sieg damit rechnete, dass die baltischen Staaten, Moldawien „oder sogar Polen“ die nächsten Ziele von Putins Herrschaftsdrang wären.

Historisch betrachtet sind die Waffenlieferungen von Drittstaaten in einem Krieg ja auch nichts Neues. Wer weiß, vielleicht hätte Hitler-Deutschland den Zweiten Weltkrieg gewonnen, wenn nicht ab Sommer 1940 die damals noch neutralen USA die Briten und - Ironie der Geschichte - ab 1941 auch die Sowjetunion massiv mit Waffen aller Art versorgt hätten. Der „Lend-Lease Act“ (Leih- und Pachtgesetz), der im Februar 1941 verabschiedet wurde, brachte der Roten Armee 14.000 Kampfflugzeuge, 7000 Panzer und vieles weitere Kriegsgerät zuzüglich Nahrungsmittel-Lieferungen. Dagegen sind die bisherigen Ukraine-Hilfen des Westens Kleinkram.

Kleinkram, wie angesichts der sterbenden Ukrainer so viele Probleme, über die wir hier gerade diskutieren. Etwa der Vorschlag der Auricher Grünen-Fraktionschefin Gila Altmann gestern Abend im Finanzausschuss, im städtischen Schwimmbad De Baalje höhere Eintrittspreise für auswärtige Besucher zu verlangen. Okay, das ist jetzt ziemlich unfair, einen solchen Zusammenhang zu setzen. Aber unfassbar finde ich den Vorschlag trotzdem. Ist in Ostfriesland die Kleinstaaterei tatsächlich so weit gediehen? Kommt als nächstes der Wegezoll in Aurich, für Reisende, die von Leer nach Emden fahren? Marion Luppen berichtet über die Sitzung und erinnert an die Proteste, die es vor neun Jahren gab, als bei Bad-Eröffnung auch schon unterschiedliche Preise galten.

Kleinkariert ist auch der gestern am Verwaltungsgericht Oldenburg eingegangene Eilantrag gegen die Stadt Aurich, der AfD die Sparkassen-Arena zur Verfügung zu stellen. Dabei hat die Stadt gar kein Verfügungsrecht über die an einen privaten Betreiber verpachtete Veranstaltungshalle. Was für ein absurdes Verfahren.

Großartig ist hingegen die anhaltende Spendenbereitschaft der OZ-Leser für die ukrainischen Flüchtlinge. Unterstützt wird mit dem Geld, das auf die Konten unseres Hilfswerks „Ein Herz für Ostfriesland“ eingeht, unter anderem auch die Caritas, die sich an vier Standorten in Ostfriesland an der Flüchtlingshilfe beteiligt. Das Spektrum der Unterstützungsleistungen ist groß: von der Tafel in Emden, über Beratungsstellen bis zu Sozialen Kaufhäusern. Geschäftsführerin Stefanie Holle räumt im Gespräch mit Franziska Otto auch mit einem Vorurteil auf, das mich im Zusammenhang mit Flüchtlingen schon lange nervt, nämlich die Behauptung, dass es den Leuten ja offenbar gut gehe, weil sie ein Smartphone besitzen. Holle: „Nach dem Personalausweis wäre das Handy das erste, was ich einpacken würde.“ Man informiere sich zum Beispiel über Fluchtrouten. Außerdem sei das Smartphone die einzige Möglichkeit, um mit Freunden und Familie Kontakt zu halten.

Die Folgen des Krieges (und der Lockdowns in China) sind derzeit auch in der Nordsee, vor den Ostfriesischen Inseln sichtbar. Dutzende Containerschiffe stauen sich dort, weil sie im Hamburger Hafen nicht abgefertigt werden können. Das kostet nicht nur viel Zeit und Geld, es verpestet auch die Umwelt, wie die Borkumer Grünen-Abgeordnete Meta Janssen-Kucz beklagt. Welche Vorschläge sie zur Lösung des Problems macht, hat Martin Alberts aufgeschrieben.

Zum Schluss noch Werbung in eigener Sache: Lokaljournalismus lebt vom Dialog mit den Leserinnen und Lesern. Unsere Redaktion in Emden probiert gerade eine neue Form des Austauschs aus, mit einer speziell dafür entwickelten Software aus Lüneburg namens „100 Eyes“ (100 Augen). Mit ungefähr 50 interessierten Menschen wollen die Kollegen über Messenger-Dienste oder E-Mail darüber diskutieren, wie der Autoverkehr in der Innenstadt künftig geregelt werden soll. Ein angesichts der vielen Versuche der Stadtverwaltung durchaus kontroverses Thema. Titel des Projekts, das Nina Harms vorstellt: „Eine Stadt sucht ein Verkehrskonzept“.

Was heute wichtig wird:

  • Der Circus Probst gastiert ab morgen in Leer. Mit den Artisten sind auch vier aus der Ukraine geflüchtete Familien hier angekommen. Dorothee Hoppe war vor Ort.
  • Seit einem Monat wird im Landkreis Leer das Altpapier in der Tonne abgeholt. Wie ist es bisher gelaufen? Was geht noch besser? Karin Lüppen hat nachgefragt.
  • Elterntaxis sind an vielen Schulen ein Ärgernis, auch an der KGS Wiesmoor. Die Politik sucht Lösungen. Jens Schönig berichtet.
  • Touristiker bitten Langeoog-Urlauber immer wieder darum, ohne Auto anzureisen. Doch dabei lauern Fallstricke. Imke Oltmanns berichtet über gestrandete Inselurlauber.
  • Wohnungen für Flüchtlinge aus der Ukraine sind dringend gesucht. Nicole Böning erklärt, wie der Landkreis Aurich vorgeht.
  • Immer wieder werden Autos auf Bahnübergängen zwischen den Schranken „gefangen“. Heiko Müller hat nachgefragt, wie man sich als Autofahrer an Bahnübergängen verhält.
  • Hinte will zusammen mit der Hochschule Emden/Leer ein Tourismuskonzept entwickeln. Nun wurden erste Ergebnisse vorgestellt, die sich Claus Hock näher anschaut.
  • In Emden werden Straßen benannt, unter anderem die neue Hauptstraße durch das geplante Mega-Baugebiet Conrebbersweg-West. Gordon Päschel hat sich damit befasst.
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