Jahrestag des Hochwassers So geht es den Betroffenen der Flutkatastrophe heute
Wir haben noch einmal mit den Vereinen gesprochen, die damals Spenden von unserem Hilfswerk bekommen haben. In Stolberg und Eschweiler herrscht nach wie vor Ausnahmezustand.
Stolberg/Eschweiler - Ein Jahr ist vergangen, seitdem das Hochwasser in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 im Westen Deutschlands verheerende Zerstörung anrichtete. Die Flut riss über 130 Personen in den Tod und nahm unzähligen Betroffenen ihr Zuhause und ihre Lebensgrundlage. Gemeinsam mit der Aachener Zeitung (AZ) sammelte „Ein Herz für Ostfriesland“ (EHFO), das Hilfswerk der Zeitungsgruppe Ostfriesland, zu der auch diese Zeitung gehört, Spenden für die Betroffenen. Die Städte Eschweiler und Stolberg liegen im Verbreitungsgebiet der AZ und sind besonders stark von der Katastrophe betroffen.
Insgesamt 305.771,19 Euro gingen auf dem Konto von EHFO ein. Diese Spendengelder konnten im Oktober übergeben werden, nachdem sich Vertreter von EHFO ein Bild von der Lage vor Ort gemacht hatten. Wir haben nun noch einmal mit den Betroffenen und Vereinen gesprochen und gefragt, wie es ihnen ein Jahr nach dem Hochwasser geht.
Viele Häuser stehen vor dem Abriss
Von Normalität kann in den beiden Städten keine Rede sein, berichtet Michael Grobusch. Er ist Redakteur bei der AZ und für Eschweiler und Stolberg zuständig. Seit dem Hochwasser hat sich sein Alltag sehr verändert. Noch immer hat etwa jeder zweite Termin des Journalisten etwas mit der Flut zu tun und auch in den Stadtbildern sind die Schäden noch deutlich sichtbar. „Man kann heute noch sehen, mit welcher Wucht das Wasser durch Stolberg gerauscht ist“, sagt Grobusch. Bei unzähligen Gebäuden, darunter das Stolberger Rathaus, stand oder steht der Abriss an, die Planungen für Neubauten ziehen sich hin. Die Beantragung und Auszahlung der Fällen als kräftezehrend, frustrierend und kompliziert heraus, wurde von der Landesregierung doch das Gegenteil versprochen. Gutachter, Architekten und Handwerker sind Mangelware und auch das immer knapper werdende Baumaterial macht sich an jeder Ecke bemerkbar.
Gleiches gilt für Eschweiler. Der Schaden ist dort ein anderer, da das Wasser steigend von unten kam. „Auf den ersten Blick sieht man den betroffenen Gebäuden nicht an, dass sie kurz vor dem Abriss stehen“, sagt der Journalist. Anders sieht das aus, wenn man hinter die Fassade blickt. Die Fundamente etwa der Förderschule wurden komplett unterspült. Das Gebäude steht vor dem Abriss – eine provisorische Lösung wurde gefunden. Aber bis das neue Gebäude steht, werden laut Grobusch mindestens fünf Jahre vergehen, in denen die Schüler in Containern unterrichtet werden müssen.
Betroffene haben Alpträume
Auch das Eschweiler Schwimmbad steht vor dem Abriss. Die Wassermassen hatten das Schwimmbecken und die Technik im Keller zerstört. „Dass unser Schwimmbad abgerissen werden muss, ist sehr traurig“, sagt Christophs Herzog, Vorsitzender des Eschweiler Schwimmvereins „Delphin“. Aktuell finde das Training in den umliegenden Orten oder im Freibad statt. Der Verein konnte durch die Spende von EHFO neues Material sowie einen Vereinsbulli anschaffen, mit dem die Kinder zum Training in die umliegenden Orte und zu Wettkämpfen gefahren werden können. „Das hätten wir uns ohne Ihre Spende wirklich nicht leisten können. Das hat uns ganz viel gegeben“, sagt Herzog dankbar.
Der Verein „Inde Insel“ aus Eschweiler konnte das Spendengeld nutzen, um Material anzuschaffen. Die Gruppe hatte sich nach dem Hochwasser gegründet und bietet Beratungen an. „Etwa 60 Prozent unserer Klienten sind betroffen vom Hochwasser“, berichtet Andrea Reuscher, eine der Beraterinnen. In den wöchentlichen Gesprächen berichten die Betroffenen von Alpträumen und Schockzuständen, die sie auch ein Jahr nach den Ereignissen noch heimsuchen. „Viele haben ein richtiges Trauma“, sagt Reuscher. Aktuell ist der Verein auf der Suche nach einem festen Standort, um die Beratungen in einem geschützten Rahmen anbieten zu können.
„Corona hat uns nicht so niedergeknickt wie das Hochwasser“
Beim Talbahnhof Eschweiler, einer Kultureinrichtung und Konzertstätte, ging es in den vergangenen Monaten eher schleppend voran. „Corona hat uns nicht so sehr niedergeknickt wie das Hochwasser“, sagt der Betreiber Walter Danz. „Es hat ganze neun Monate gedauert, bis wir unser Bistro wieder in Betrieb nehmen konnten.“ Ohne die Spende aus Ostfriesland, so vermutet er, hätte der Talbahnhof nicht wieder öffnen können. „Dank der Spende konnten wir einen Foodtruck anschaffen und so unseren Gästen zumindest etwas zu essen anbieten, da ja unsere Küche komplett zerstört war. Das hat uns finanziell gerettet, dafür sind wir unseren unbekannten Freunden aus dem Norden wirklich unglaublich dankbar.“
„Es hapert wirklich an allen Ecken“, sagt Claudia Niederhäuser vom Eschweiler Geschichtsverein. Bis auf die wenigen Kisten, die die Vereinsmitglieder aus dem Archiv im Keller der Stadtverwaltung retten konnten, ist das ganze Inventar hin. „Alles schimmelt oder ist kontaminiert. Wir dürfen unsere Räume nur mit einer Maske betreten“, sagt Niederhäuser, die auch privat von der Flut betroffen ist und erst in etwa zwei Wochen wieder in ihr Haus zurückziehen wird. Von den Spenden von EHFO wird der Geschichtsverein demnächst Server und neue Bücher anschaffen, da ein Großteil nicht zu retten war.
„Es fehlt immer noch an allen Enden“
Ähnlich schleppend ist es dem Ehepaar Medic gegangen. Mit dem „Auenland“ haben Monika und Zoran Medic einen Jugend- und Familienhof in der Nähe von Stolberg betrieben, der durch die Flut regelrecht weggespült wurde. Bereits vor der Umweltkatastrophe stand fest, dass die Einrichtung umziehen muss. Durch den entstandenen Schaden klafft aber nun ein riesiges Loch im Finanzierungsplan des Projekts. „Wir stellen seit Monaten Anträge, warten auf Rückmeldungen, warten auf Gutachten und darauf, dass endlich alles genehmigt wird. Das ist echt frustrierend“, sagt Zoran Medic. Zwischendurch waren die Eheleute kurz davor aufzugeben, „doch dann kam der Zuspruch. Und die einzigartige Spende aus Ostfriesland. Da war für uns klar: Natürlich machen wir weiter!“ Wenn es dann losgeht, soll das Geld für die Baukosten des neuen Auenlandes verwendet werden.
Mit dem Versorgungscamp „Willy“ und dem Verein „Mühle für Stolberg“ gibt es in Stolberg zwei Vereine, die sich in der akuten Notsituation nach dem Hochwasser gegründet haben und ganz direkte Hilfe für die Betroffenen geleistet haben – und es immer noch tun. Beide Vereine konnten mittlerweile in Container umziehen, auch dank der Spende von EHFO. Christoph Giebeler von „Willy Stolberg“ und Duygu Ulfig von „Mühle für Stolberg“ berichten, dass es noch immer an allen Enden fehlt. Die Spenden und die freiwilligen Helfer werden weniger und gerade bei den Betroffenen, die sozial schwächer aufgestellt sind, scheitert es oft schon bei dem Stellen der Anträge. Die beiden Vereine haben sich gerade deshalb vorgenommen, nicht aufzuhören. Sie wollen den Betroffenen weiter Orte bieten, an denen ihnen geholfen wird. Denn auch, wenn die Hochwasserkatastrophe mittlerweile ein Jahr her ist, „stecken und leben wir nach wie vor mittendrin“, sagt Duygu Ulfig.