Best of 2022 Die Hells-Angels-Wiesmoor-Connection
Was hat ein Firmengeflecht in Wiesmoor mit einem Motorrad-Club zu tun? Es geht um mutmaßlichen Millionenbetrug, Prostitution, Verschleierung – und um Fußballer.
Diese erste große Geschichte über die Wiesmoor-Connection war der Auftakt zu bislang rund 70 weiteren. Der Enthüllungsartikel stellte die Durchsuchungen der Testzentren erstmals in einen größeren Kontext und legte das Fundament für die weiteren Recherchen. Ein Hinweis zur Grafik: Sie gibt den Zustand des Firmengeflechts zum Erscheinungstag im April wieder – inzwischen hat sich an den Eigentumsverhältnissen einiges geändert. Auch mehrere Geschäftsführerwechsel hat es gegeben.
Wiesmoor/Bremen - Es ist Mittwoch, der 30. März 2022, als die Polizei zuschlägt. In Wiesmoor, Aurich, Oldenburg und Hannover werden Corona-Testzentren, Privat- und Firmenräume durchsucht. Im Fokus der Beamten steht eine 31 Jahre alte Auricherin. Sie soll den Staat um mehr als eine Million Euro betrogen haben – mit Corona-Tests, die ihr Unternehmen zwar abgerechnet, aber nicht durchgeführt haben soll. Diese Frau, deren Bank stutzig wurde, als auf einmal viel Geld auf ihrem Konto einging, heißt C. H. H. Ihren Namen nennen wir aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht. Er hat aber auch kaum eine Bedeutung, denn C. H. H. ist kein kriminelles Genie. Nein, die 31-Jährige ist, so haben es unsere Recherchen ergeben, nur ein Bauernopfer in einer viel größeren Sache – in die auch der Chef eines gefürchteten Motorrad-Clubs involviert ist.
C. H. H. ist dem Handelsregister zufolge seit Sommer 2021 Geschäftsführerin der KS Consult GmbH in Wiesmoor – der Firma, die Beamte am 30. März durchsucht haben. Damit ist sie juristisch auch verantwortlich für rund 20 weitere Gesellschaften, für die die KS Consult GmbH persönlich haftet. Unter den Firmen, die teils auch weit außerhalb Ostfrieslands angesiedelt sind, befinden sich unter anderem eine Shishabar, ein Friseur und Barbier, ein Hotel, ein Dönerladen und ein Wettbüro. C. H. H. ist auch Geschäftsführerin der Dr. Rademacher/Jelten und Sinning GmbH, die den Namen eines Mannes trägt, der für kriminelle Machenschaften bekannt und vorbestraft ist sowie ebenfalls dort als Geschäftsführer auftritt: Christian Rademacher-Jelten. Hört man sich in Wiesmoor um, weiß allerdings fast niemand von unseren Gesprächspartnern, wer diese Frau, wer C. H. H. ist. „Die ist verrückt nach Katzen“, ist die einzige Information, die über sie in der kleinen Stadt zu bekommen ist.
Katzen- statt Geschäftsfrau
Tatsächlich spiegelt das ihre Aktivität in den sozialen Netzwerken wider: Auf Fotos ist sie mit den Katzen zu sehen, zu ihrem Geburtstag sammelt sie Spenden für behinderte Tiere. Ab und zu organisiert sie offenbar Flohmärkte in ihrem Stadtteil. Sie wirkt nicht wie eine Geschäftsfrau, der mehr als 20 Unternehmen unterstehen und die krumme Dinger mit einem Wirtschaftsstraftäter dreht. Schaut man sich die Unterlagen der KS Consult GmbH und des riesigen Firmengeflechts genauer an, das 2020 und 2021 nach und nach in Wiesmoor geknüpft wurde, tauchen immer wieder zwei weitere Namen auf: A. K. aus Großefehn und H. P. S. aus Wiesmoor. Die beiden jungen Männer spielen Fußball – und zwar in dem Verein, in dem Rademacher-Jelten jahrelang die Geschäfte führte. Der Sitz der diversen Unternehmen ist eine Halle, die ebenfalls in Verbindung mit Rademacher-Jelten steht.
Ehe im Sommer 2021 C. H. H. Geschäftsführerin wurde, waren die beiden Fußballer die offiziellen Chefs des Unternehmens. Mehrere Wiesmoorer Quellen sagen allerdings übereinstimmend, die beiden Männer hätten davon gesprochen „für Christian (Rademacher-Jelten)“ zu arbeiten. Den Büchern zufolge waren sie nicht nur Geschäftsführer, sondern auch Gesellschafter – sprich: Inhaber – der KS Consult GmbH. Mit der Übernahme der Geschäftsführung durch C. H. H. wechselten allerdings auch die Eigentumsverhältnisse: M. A. wurde alleiniger Gesellschafter des Unternehmens. Und er stellt die KS Consult GmbH in einen ganz anderen Bezug, weil er auch Geschäftsführer der Joy Company GmbH ist. Die ist den Behörden zufolge fest in der Hand der Motorrad-Rocker von den Hells Angels.
Ostfriesen mischen in Hells-Angels-Bordell mit
Die Joy Company GmbH ist ein Prostitutionsgewerbe und führte das „Eros 69“ in Bremen – bis die Wirtschaftsbehörde das Bordell im April 2021 schließen ließ. Der Grund: Die damaligen Geschäftsführerinnen Stephanie P. und Martina P. sind Schwester beziehungsweise Frau des unter anderem wegen Menschenhandels vorbestraften Andree P. – dem Ex-Chef der in Bremen verbotenen Hells Angels, der nun in Delmenhorst aktiv ist. Behördenmitarbeiter hatten ermittelt, dass in Wahrheit P. hinter dem Bordell steckte. Die Behörden erklärten Frau und Schwester zu „Strohfrauen“ – und machten das „Eros 69“ aufgrund deren gewerberechtlicher Unzuverlässigkeit dicht. Nun kam die KS Consult GmbH ins Spiel. Und so mischten auf einmal auch die „für Christian“ tätigen Fußballer H. P. S. und A. K. in einem Bremer Hells-Angels-Bordell mit.
Denn nur kurze Zeit nach der rechtlichen Niederlage für den Rocker-Chef kauften die Fußballer im Namen der KS Consult GmbH Familie P. deren Anteile ab. Damit gehörte das Bremer Bordell plötzlich zwei jungen Männern aus Ostfriesland. Geschäftsführer wurden H. P. S. und ein weiterer Fußball-Kumpel: B. K. Wiederum wenig später verkauften H. P. S. und A. K. die KS Consult GmbH an M. A., dem nun nicht nur das geschlossene Bordell in Bremen gehört, sondern der auch gemeinsam mit dem Auricher Fußballer B. K. dort die Geschäfte führt. Laut Ermittlungsergebnissen in Gerichtsunterlagen aus Bremen haben aber weiterhin die Hells Angels das Sagen in diesem Firmenkonstrukt.
Woher kam das Geld?
Wie die Polizei und die Ex-Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts Bremen, Ilsemarie Meyer, herausgefunden haben, sei Hells-Angels-Boss Andree P. faktisch der Chef der Joy Company GmbH und damit auch von M. A., dem über die KS Consult GmbH das Wiesmoorer Firmengeflecht gehört. Dazu haben die Ermittler einiges an Indizien zusammengetragen: Zum Beispiel, dass ein junger Mann aus Ostfriesland, B. K., ohne Beziehungen nach Bremen, ohne Führerschein, mit „mangelnden Kenntnissen im Geschäftsleben“ und aus einem „sozial schwachen Umfeld“ nicht imstande sei, ein Großbordell in Bremen zu führen. Zum Beispiel, dass die beiden Wiesmoorer Fußballer, H. P. S. und A. K., aus eigenen Mitteln nicht das Geld hätten, um für jeweils 75.000 Euro die Joy Company GmbH zu kaufen und deren alleinige Gesellschafterin KS Consult GmbH nur Wochen später für jeweils einen Euro an M. A. weiter zu verkaufen.
Die Fahnder kommen den Unterlagen zufolge zu dem Schluss, „die Kontroll- und Besitzverhältnisse“ des Firmengeflechts würden „gezielt verschleiert“. Ein Ende des bereits zuvor bestehenden Einflusses von Andree P. und damit der Hells Angels sei „nicht ersichtlich“. Darauf deutet übrigens auch der aktuelle Firmensitz der Joy Company GmbH hin: Im selben Gebäude in Stade befindet sich der Friseursalon der Schwester des Hells-Angels-Bosses, die drei weitere Unternehmen – alle im Immobilienbereich – registriert hat.
„Katalog-Beispiel für Geldwäsche“
Wir wollten mit den beteiligten Ostfriesen über die Sache sprechen, vor allem mit dem mehrmals vorbestraften Christian Rademacher-Jelten. Wir haben versucht, sie telefonisch zu erreichen, wir haben ihnen SMS geschrieben und wir waren am Firmensitz in Wiesmoor, an dem ein Briefkasten mit zahlreichen Firmennamen beklebt ist. Niemanden außer Bordell-Geschäftsführer B. K. aus Aurich haben wir erreicht. Am Telefon haben wir gesagt, dass wir mit ihm gern über die Joy Company GmbH sprechen würden. „Ich möchte mich nicht dazu äußern“, so der Geschäftsführer. Er sei unterwegs und habe „die Unterlagen zu Hause“. Er hat sich nicht wieder gemeldet.
Unklar ist: Wie viel Einfluss haben die Hells Angels auf die mehr als 20 Firmen des Wiesmoorer Geflechts? Sollte die Million aus dem mutmaßlichen Corona-Testbetrug in die Kasse von Andree P. fließen? Sind die Dönerbude, der Friseursalon, die Shishabar und die anderen Betriebe Geldwaschmaschinen für den Motorrad-Club? Die Staatsanwaltschaft Oldenburg, die die Ermittlungen zum mutmaßlichen Betrug mit den Testzentren führt, schreibt uns: „Die Frage, von wem die Testzentren tatsächlich betrieben wurden, ist Gegenstand der laufenden Ermittlungen.“ Ein Geldwäsche-Experte sagte der Redaktion, dass ein Firmengeflecht wie das in Wiesmoor, als „Katalog-Beispiel für Geldwäsche“ dienen könnte: Betriebe wie Shishabars eigneten sich sehr gut zum Einschleusen illegalen Geldes, weil kaum nachvollzogen werden könne, wo die Einnahmen tatsächlich herkämen.
In der Öffentlichkeit zeigen sich die Hells Angels Angaben von Wiesmoorern zufolge in der kleinen Stadt nicht – zumindest nicht auf Motorrädern. Auffällig seien bloß Luxuskarossen, die zunehmend in dem Ort zu sehen und zwischenzeitlich auch von den in das Firmengeflecht eingebundenen Fußballern gefahren worden seien. Woher das Geld für die Autos stammte, weiß offenbar niemand. Ein Bekannter von Rademacher-Jelten sagte der Redaktion, dass sein Freund mit der Hälfte seiner „vielleicht nicht ganz legalen Aktionen“ krachend scheitere, mit der anderen Hälfte aber durchaus Geld verdiene. Der mutmaßliche Betrug wäre wohl in die erste Kategorie einzustufen. In welche das „Eros 69“ in Bremen fällt, lässt sich noch nicht sagen. Die Joy Company GmbH mit ihrem Auricher Geschäftsführer versucht gerade vor Gericht, die Wiedereröffnung zu erstreiten.