Was Sie heute wissen müssen Ein Jahr Krieg in der Ukraine | Schicksale, Sorgen - und Mutmacher

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Eine Kolumne von Carmen Leonhard
| 24.02.2023 06:26 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 6 Minuten
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Das Wichtigste aus der Region, jeden Morgen um 6.26 Uhr zusammengefasst von der Chefredaktion der Ostfriesen-Zeitung.

Heute jährt sich der russische Angriff auf die Ukraine zum ersten Mal. Ein Jahr Krieg in Europa mit unfassbaren Verwüstungen, schrecklichem Leid und enormen Auswirkungen auf unser Leben. An diesem Tag vor einem Jahr war ich dankbar dafür, nicht frei zu haben. Die Arbeit in der Redaktion, das Sichten der fürchterlichen Nachrichten mit einem dienstlichen Blick, das Planen unserer journalistischen Beiträge, das alles hat mir geholfen, meine Gefühle zu sortieren.

Der 24. Februar 2022 hat unsere Welt verändert. Die anhaltenden Kämpfe in der Ukraine, die Energiekrise, die Inflation, die Situation der vielen geflüchteten Menschen, die Frage, wo das alles noch hinführen soll: Das beschäftigt mich fast jeden Tag. Wenn nicht bei der Arbeit, dann privat. Die Redaktion hat den Jahrestag zum Anlass genommen, wie damals direkt nach Ausbruch des Krieges, einen Themenschwerpunkt zu setzen. Die Artikel finden Sie heute in der gedruckten Zeitung, im E-Paper und auf der Webseite, dort auch gebündelt in einem Dossier.

Oleksandra Levyk war eine der ersten Ukrainerinnen, die es auf der Flucht vor dem Krieg in der Heimat nach Ostfriesland verschlug. Sie schilderte meinem Kollegen Daniel Noglik, wie sie mit ihrem elfjährigen Sohn und der gerade erst acht Monate alten Tochter in einen Bus stieg und ihren Mann zurücklassen musste. Nach Ostfriesland kam sie, weil hier ihre mit einem Deutschen verheiratete Mutter lebt. Oleksandras Schicksal bewegte viele Leser. Wie geht es der Ukrainerin und ihren Kindern heute? Das wollte Daniel zum Jahrestag wissen. Er erwischte seine Gesprächspartnerin zu einem besonderen Zeitpunkt: Sie hat gerade Besuch von ihrem Mann. Roman Levyk hatte - nach reichlich viel Papierkram - von den Behörden die Erlaubnis bekommen, die Ukraine zu verlassen und drei Wochen mit seiner Familie zu verbringen. Ein paar Tage hat er noch, dann muss er zurück in die Ukraine.

Beim Lesen von Oleksandras Geschichte musste ich schon einige Male schlucken. Das Schicksal ihrer kleinen Familie bewegt mich sehr. Richtig feuchte Augen bekam ich dann bei diesem Text von Imke Oltmanns. Die Kollegin hat sich in einem Wittmunder Café mit Helga Groeneweg und Sandra Bröske getroffen. Die beiden Frauen arbeiteten im Februar 2022 im Impfzentrum, das plötzlich zu einer Anlaufstelle für die geflüchteten Menschen aus der Ukraine wurde. „Nie hätte ich gedacht, dass ich mal eine Kriegswunde versorgen müsste“, sagt Sandra Bröske. Die Frauen berichten von Kindern, die bei ihrer Ankunft in Wittmund nicht einmal Socken an den Füßen trugen, weil sie bei einem Angriff so überstürzt ihr Zuhause verlassen hatten. Von einem elf Jahre alten Mädchen, das mit seiner Mutter in einem Keller verschüttet war und erst nach Tagen herauskrabbeln konnte - über Leichen hinweg. Es sind grausame Schilderungen, mit denen die beiden Helferinnen konfrontiert wurden. Und die den ganzen Schrecken des Krieges verdeutlichen.

Der Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine stellte auch die hiesige Wirtschaft vor ungeahnte Herausforderungen. Lieferanten brachen plötzlich weg: „Aus der Ukraine stammte eine Masse an Zulieferteilen“, blickt Johann Doden vom Arbeitgeberverband für Ostfriesland und Papenburg zurück. Die Betriebe mussten schnell reagieren. Doch es sollte nicht bei den Lieferproblemen bleiben. Mein Kollege Tobias Rümmele hat mit Unternehmern über ihre Lage heute gesprochen. Die Landesregierung hat jetzt die schon lange versprochene Unterstützung für kleine und mittlere Unternehmen an den Start gebracht, die besonders hart von den Energiepreissteigerungen betroffen sind. Seit gestern können Anträge für diese Härtefallhilfe gestellt werden. Infos dazu gibt es hier. Für einige kommt diese Hilfe schon zu spät.

Schlossermeister Manfred Decker aus Marcardsmoor möchte den Berufskollegen in der Ukraine helfen, die im wahrsten Sinne des Wortes vor den Trümmern ihrer Existenz stehen. „Ich glaube, in ungefähr jedem Handwerksbetrieb gibt es Maschinen und Geräte, die durch neuere ersetzt worden sind. Schlagbohrmaschinen, die noch tadellos funktionieren, aber eben keinen Akku, sondern noch ein Stromkabel haben.“ Seine Auflistung möglicher Sachspenden geht noch weiter. Die Handwerkskammer in Aurich unterstützt seinen Aufruf. Dass gerade von Mitgliedsbetrieben bislang noch kaum Resonanz gekommen ist, sei „schade – aber vielleicht tut sich ja noch etwas“, so Jörg Frerichs, Hauptgeschäftsführer der HWK. Ole Cordsen stellt Manfred Decker und seine Initiative in diesem Beitrag vor. Übrigens hat der Marcardsmoorer schon etwas Werkzeug bekommen - von Privatleuten.

Manfred Decker ist nur ein Beispiel für die vielen Menschen in der Region, die seit dem Ausbruch des Krieges auf ganz unterschiedliche Weise geholfen haben oder heute noch helfen - mit Sachspenden, mit Geld, mit ehrenamtlichem Engagement für Hilfstransporte oder Projekte mit Geflüchteten vor Ort. Nikola Nording beispielsweise berichtet, wie das Willkommenscafé in Leer zu einer Sprachschule wurde. Auch der Emder Politiker Matthias Arends fuhr damals spontan an die polnisch-ukrainische Grenze, um dringend benötigte Sachspenden zu liefern. Er blickt im Gespräch mit Heiko Müller darauf zurück. Erwähnen möchte ich an dieser Stelle die vielen Leser, die dafür gesorgt haben, dass „Ein Herz für Ostfriesland“, unser gemeinnütziges Hilfswerk, viele derartige Aktionen unterstützten konnte. Mehr als 480.000 Euro kamen zusammen. Ein so enormer Betrag, dass noch immer etwas übrig ist. Erst vor wenigen Tagen konnten dem Verein Hilfsanker aus Westoverledingen 6000 Euro für einen Hilfstransport in die Ukraine zugesagt werden. Es macht mir Mut und schenkt mir Hoffnung, dass so viele Ostfriesen in diesen schwierigen Zeiten noch immer an andere denken, denen es schlechter geht.

Was heute wichtig wird:

  • Mit Kreativität gegen das Kneipensterben: Holger Haarmann und Klaas Freese haben in Nenndorf eine alte Dorfkneipe übernommen. Als Hobby, damit sie erhalten bleibt. Die Kneipe läuft mittlerweile so gut, dass Personal gebraucht wird. Susanne Ullrich stellt die Männer vor.
  • Nach dem großen Erfolg im vergangenen Jahr soll es erneut eine Großdemo gegen Tiertransporte in Aurich geben. Marion Luppen berichtet.
  • Die Stadt Emden will Umwelt-Aktionen besser bündeln. Deswegen wurde „Emden macht“ ins Leben gerufen. Heiko Müller erklärt, für welche Projekte man sich anmelden und welche man selbst starten kann.
  • In der Gemeinde Krummhörn stehen wichtige Entscheidungen unter anderem zu Ferienhäusern in Greetsiel an. Dazu waren zuletzt hitzige Diskussionen entbrannt. Mona Hanssen berichtet, was im zuständigen Ausschuss des Gemeinderats los war.
  • Fällt der Pflichtunterricht an ostfriesischen Schulen wirklich nur in Einzelfällen aus, wie von den Behörden behauptet? Das wollte mein Kollege Andreas Ellinger von unseren Lesern wissen. Von den Antworten und den Reaktionen der Schulen wird er heute berichten.
  • Nach einem Pilotprojekt zwischen Leer und Rhauderfehn soll es künftig im ganzen Landkreis Leer mehr Busse in den Abendstunden geben. Tobias Rümmele erklärt, was genau geplant ist.
  • Im Juli werden in Leer 200 Jahre Stadtrechte gefeiert. Die Vereine waren aufgefordert, sich mit Ideen einzubringen. Das haben sie überaus eifrig getan, wie Katja Mielcarek berichtet.
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