Dokumenten-Wahnsinn Werden Kassenbons immer länger?


Sind Bons von heute die Tapeten von morgen? Das hatte sich ein Leser gefragt, als er beim Einkauf einen 50 Zentimeter langen Streifen Thermopapier in die Hand gedrückt bekam. Was steckt dahinter?
Aurich - Es ist schon ein dickes Ding: Auf volle 50 Zentimeter Länge brachte es der Kassenbon. Und nein, es war kein Großeinkauf, den ein Leser, der namentlich nicht genannt werden möchte, im Auricher Raiffeisen-Markt am Wallster Weg in Aurich in die Hand gedrückt bekam. Auf dem gefühlt endlos langen Streifen blau-grauen Thermopapiers findet man genau ein Produkt, dazu den Beleg für die Kartenzahlung und einen QR-Code zum Einscannen fürs digitale Haushaltsbuch. Am Ende steht „Vielen Dank für Ihren Einkauf“. Das Übliche, keine Werbung, trotzdem kommt der Bon auf die stattliche Länge.
Was und warum
Darum geht es: Ganze 50 Zentimeter misst der Beleg, den ein Leser an die Redaktion schickte. Was steckt dahinter, wenn man solche „Tapeten“ in die Hand gedrückt bekommt?
Vor allem interessant für:alle – denn jeder Einkauf erzeugt Papiermüll
Deshalb berichten wir: Der Leser hatte seine „Tapete“ an die Redaktion geschickt.
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Diese beeindruckte den Leser so sehr, dass er den Beleg in einen Umschlag steckte und an die Redaktion schickte. „Es ist noch gar nicht so lange her, da gab es einen lebhaften Streit und seitens des Bäckerhandwerks sehr lauten Protest“, schreibt er. Damals sollte es Pflicht werden, „einen Kaufbeleg auszudrucken, sobald der Kunde auch nur ein Brötchen kauft“. Es sei von Tonnen von Papiermüll gesprochen worden, die das zur Folge hätte. Beklagt wurden unzählige zu fällende Bäume. Mit dem Blick auf seinen Mammut-Beleg, den er schlicht als „Tapete“ bezeichnet, sei ihm aufgefallen, wie ruhig dieser Protest geworden ist. Offenbar zu Unrecht. Denn seiner Meinung nach werden Bons generell immer länger.
Seit 2020 gibt es die Bonpflicht
Über das Kassengesetz (Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen) wurde die seit dem 1. Januar 2020 geltende Bonpflicht eingeführt. Wer ein elektronisches Kassensystem verwendet, muss seitdem seinen Kunden einen Beleg bereitstellen. Entweder in Papierform oder digital. Sonst gibt es Ärger mit dem Finanzamt. Eine solche Kasse hat auch der Raiffeisen-Markt. „Seit wir SAP und das neue Kassensystem eingeführt haben, sind die Belege bei uns so lang“, erklärt eine Mitarbeiterin des Marktes am Telefon. Auch sie möchte ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. SAP ist der Hersteller des gleichnamigen Warenwirtschaftssystems. „Wir haben uns selbst schon gefragt, was das soll. Viele Kunden finden das ebenfalls nicht gut.“ Aber wie der Bon aussieht, werde vom System vorgegeben. Sie selbst könnten daran nichts ändern.
Fassungslos über diese Papierverschwendung ist auch Johann Doden, Geschäftsführer des Einzelhandelsverbands mit Sitz in Emden. „50 Zentimeter stehen in keinem Verhältnis zu einem einzigen gekauften Produkt“, sagt er. Zwar sei fest vorgegeben, was auf einem Beleg stehen muss und das sei nicht gerade wenig. „Bei 50 Zentimetern denke ich aber eher spontan an einen Großeinkauf.“ Man müsse bei so etwas den Lieferanten des Kassensystems bitten, Lösungen zu finden – empfiehlt er.
Thermopapier gehört nicht in den Papiermüll
Doch so einfach sei das nicht, sagt Oliver Lehniger von der Firma H + L Kassen- und Computersysteme in Leer. „Wie die einzelnen Informationen auf dem Beleg abgebildet sind, das ist voreingestellt“, erklärt er. Man habe nur wenig Einfluss auf die Länge des Belegs. Wenn überhaupt, könne man die Zeilenabstände reduzieren. „Will man die Belege effektiv verkleinern, muss das programmiert werden. Das würde den Raiffeisen-Markt aber wahrscheinlich mehr kosten, als eine lebenslange Ration Thermopapier.“ Er macht die Bonpflicht generell für die Verschwendung von Ressourcen verantwortlich, weniger die Kassensysteme. „Über diesen Unsinn rege ich mich schon lange auf, das können Sie ruhig schreiben.“
Ein Problem sei auch das Thermopapier selbst, aus dem die meisten Kassenbons bestehen. Das sei mit Chemikalien beschichtet und gehöre definitiv nicht in den Papiermüll. Auch das Umweltbundesamt empfiehlt deshalb aus Vorsorgegründen, alle Thermopapiere im Restmüll zu entsorgen. Kritische Inhaltsstoffe der oft enthaltenen Farbentwickler können sich im Altpapier verteilen und über Recyclingprodukte wie Toilettenpapier zurück zum Verbraucher und in die Umwelt gelangen. So wird die Umwelt durch die Bonpflicht doppelt belastet.
Was also kann der Verbraucher tun? Beim Auricher Raiffeisen-Markt gibt es immerhin die Funktion, den Bon für den Kunden anzeigen zu lassen und ihn nicht zu drucken. „Das nutzen die meisten Kunden vor allem für den Kauf von Futtermitteln“, so die Mitarbeiterin. Nur für technische Geräte und teurere Dinge wie Grills würden die meisten noch auf den klassischen Bon zurückgreifen. Alternativ könnten die Kunden den Beleg auch über den QR-Code scannen und so für die Unterlagen speichern. Die Lösungen sind vielfältig. Supermärkte erfassen zum Beispiel den Kunden meist über ein Kartensystem und senden den Bon bei Vorlage der Karte automatisch per Mail. Auch wenn längst nicht alle Kassensysteme die Möglichkeit bieten, digitale Belege bereitzustellen, können die Verbraucher doch wenigstens ein bisschen dafür tun, die Papierverschwendung einzudämmen.