Synchronschwimmen im Hafen Im Leeraner Hafen lernen Seeleute alles, um auf See zu überleben
Einfach mal ins Hafenbecken springen: Für angehende Seeleute hat dieser Spaß einen ernsten Hintergrund.
Leer - Jonathan Enseroth atmet tief durch. Dann geht er einen Schritt nach vorne und stürzt in die Tiefe. Mit einem dumpfen Schlag kommt er auf. Das Wasser des Leeraner Hafenbeckens schlägt über seinem Kopf zusammen.
Was und warum
Darum geht es: Im Leeraner Hafen finden regelmäßig Trainings für angehende Seeleute statt.
Vor allem interessant für: Alle, die sich vorstellen können, auf See zu arbeiten
Deshalb berichten wir: Leer ist ein wichtiger Standort der maritimen Wirtschaft. Hier wird der Nachwuchs ausgebildet. Den Autoren erreichen Sie unter: m.kierstein@zgo.de
Für einen Bruchteil einer Sekunde ist er nicht mehr zu sehen. Dann schießt er aus dem Wasser und atmet tief ein. Dass er so schnell wieder an die Oberfläche kam, liegt an dem Anzug, den er trägt. Er erinnert entfernt an den Anzug eines Astronauten, allerdings in knalligem Orange beziehungsweise Gelb.
Sicherheitstraining der Mariko GmbH
Dieser Lebensrettungsanzug ist einer der wichtigsten Gegenstände an Bord aller Schiffe. Sollte die Crew gezwungen sein, das Schiff zu verlassen, erhöhen die Anzüge die Überlebenschance massiv. Sie geben Auftrieb und halten den Körper länger warm. Gerade auf hoher See kann jede Minute darüber entscheiden, ob der Seemann überlebt.
Doch, die angehenden Seeleute müssen lernen, wie man den Anzug anzieht und, wie man sich mit ihm am besten bewegt. Ohne den Kursus dürfen sie zudem nicht zur See fahren. Der Anzug aus Neopren bietet nämlich zwei große Tücken: Er muss relativ eng anliegen und, die Luft muss, so gut es geht, raus aus dem Anzug. Meist helfen sich die Seeleute auch dabei, die Anzüge anzuziehen. Anschließend wird herumgelaufen und immer wieder in die Hocke gegangen. So wird die Luft aus dem Anzug rausgepresst. Erst dann wird die Haube übergezogen, der Reißverschluss ganz geschlossen und die Handschuhe angezogen. „Das Tragen ist ungewohnt, aber man fühlt sich auf jeden Fall sicherer“, sagt Enseroth.
Übungen im Hafen
Bei knapp 30 Grad Temperatur in das etwa 15 Grad kalte Wasser zu springen, hat für die Teilnehmer etwas Erfrischendes. „Aber schon bei der Wassertemperatur kann es gefährlich werden“, betont Jörg Bontjer, Leiter Maritimes Training beim Mariko. Und die Wassertemperatur auf den Weltmeeren ist meist deutlich geringer.
„Bei einer geringen Wassertemperatur ist ein Mensch ohne die Anzüge nach maximal 15 Minuten so ausgekühlt, dass Bewegungsunfähigkeit einsetzt und es zum Tod kommen kann. Mit Anzug soll die Kerntemperatur eines Menschen in kaltem Wasser erst nach sechs Stunden um zwei Grad absinken. Das erlaubt bei gesunden Menschen viel länger eine gewisse Koordination der Bewegungen und somit ist ein Überleben deutlich wahrscheinlicher“, erklärt er“, erklärt er.
Formation zum Stadtrechte-Jubiläum
Die Anzüge erschweren jedoch auch die Bewegungsfreiheit. „Auf dem Rücken zu schwimmen ist am einfachsten. Aber generell ist es schon anstrengend“, sagt Jonathan Enseroth. Am Montag war es besonders anstrengend, weil die rund 20 Teilnehmer sowie Freiwillige in bestimmten Formationen schwimmen sollten. So waren sie gezwungen, sich durchgehend zu bewegen und gegen den Auftrieb des Anzugs anzukämpfen. In Gefahrensituationen sind bestimmte Formationen wichtig, um sich in rauer See nicht zu verlieren. An diesem sonnigen Nachmittag haben sich die Teilnehmer etwas anderes überlegt: Sie formten erst eine zwei und anschließend zwei Nullen. Ein kleiner Spaß, um an das in diesem Jahr stattfindende Jubiläum zu 200 Jahre Stadtrechte zu erinnern, das die Mariko GmbH, Hochschule Emden-Leer und Fraunhofer Arbeitsgruppe Nachhaltige Maritime Mobilität im Rahmen einer „Langen Nacht am Maritimen Campus“ am 1. Juli mit Aktionen für Klein und Groß feiert.
Im Anschluss schwammen die 20 Teilnehmer wieder zur Treppe und stiegen auf die Plattform. Die meisten mit vor Anstrengung gerötetem Gesicht. „Aber, es hat schon Spaß gemacht“, sagt Jonathan Enseroth und lacht. Dass das ganze einen ernsten Hintergrund hat, war den Teilnehmern bewusst. Das Schwimmen im Überlebensanzug gehört zu den „Basic Safety“-Lehrgängen. Dabei lernen angehende Seeleutebeispielsweise die Brandbekämpfung an Bord von Seeschiffen, das Überleben auf See und Erste Hilfe beziehungsweise Medizinische Versorgung an Bord. „Das Training ist für zukünftige Besatzungsmitglieder von Seeschiffen verpflichtend, aber es können auch Privatpersonen teilnehmen. Voraussetzung dafür ist die sogenannte Seediensttauglichkeitsuntersuchung, die von bestimmten Ärzten, die sich darauf spezialisiert haben, durchgeführt wird“, erklärt Bontjer.
Gute Jobchancen
Die Teilnehmer müssen zudem im Rahmen vom Lehrgang theoretische Tests bestehen als auch das vorher in der Theorie Gelernte im Rahmen von praktischen Übungen umsetzen. Die Lehrgänge bestehen ungefähr zur Hälfte aus Theorie und Praxis. „Nach spätestens fünf Jahren werden Kenntnisse und Fähigkeiten erneuert beziehungsweise geübt“, sagt Bontjer. Die Mariko GmbH bietet das Training in regelmäßigen Abständen an. Dafür kann man sich über die Website anmelden. Der gesamte Kursus dauert zehn Tage und kostet 839 Euro. „Er befähigt dazu, zur See zu fahren“, sagt Bontjer.
Und auf See stehen die Jobchancen gut. Die Reeder entlang der Emsachse suchen nahezu durchgehend Leute. „Wir bekommen wenig Bewerbungen und das Problem haben alle Reeder genauso wie andere Branchen auch“, sagte Heika Iwwerks, bei der Leeraner Ems-Fehn-Group für die Auszubildenden zuständig vor Kurzem. Deshalb griffen die Reeder auch zu einem besonderen Event. Sie mieteten in Leer einen Kinosaal und luden alle Interessierten zu einem Filmabend ein. Nebenbei warben sie für eine Ausbildung bei den Unternehmen. Die Grundqualifikation mitzubringen, schmälert die Chancen dabei auf keinen Fall. „Außerdem macht es Spaß“, sagt Jonathan Enseroth.