Angeklagter trägt Kosten des Verfahrens Wie kommen Beteiligte an ihr Geld, wenn der Verurteilte nicht zahlt?

| | 17.07.2023 19:27 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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Je nach Aufwand kann ein Strafprozess fünf- oder gar sechsstellige Summen verschlingen. Foto: Reinhardt/dpa
Je nach Aufwand kann ein Strafprozess fünf- oder gar sechsstellige Summen verschlingen. Foto: Reinhardt/dpa
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Wer zu einer Geld- oder Freiheitsstrafe verurteilt wird, muss die Kosten des Verfahrens tragen. Ist das mehr als eine Floskel?

Aurich - „Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens“: Wann immer in Deutschland ein Erwachsener zu einer Geld- oder Freiheitsstrafe verurteilt wird, fällt dieser Satz. Doch was bedeutet er genau? Von welchen Summen spricht man da? Und wie realistisch ist es, dass ein Mensch, der nach einem Mammutprozess für mehrere Jahre ins Gefängnis muss, jemals so viel Geld aufbringen kann? Wir haben mit dem Landgericht Aurich, der Staatsanwaltschaft Aurich, einem pensionierten Richter und einem Strafverteidiger gesprochen.

Wieso muss der Angeklagte für das Verfahren zahlen?

Diese Vorschrift ergibt sich aus der Strafprozessordnung. In Paragraf 465 ist die Kostentragungspflicht des Verurteilten geregelt. Nur in Verfahren gegen Jugendliche kann laut Jugendgerichtsgesetz davon abgesehen werden, dem Angeklagten Kosten und Auslagen aufzuerlegen.

Um welche Summen geht es?

Das ist sehr unterschiedlich und hängt vom Aufwand ab. In Verfahren wegen eines Tötungsdeliktes, umfangreichen Betrugsprozessen oder anderen Verfahren mit vielen Verhandlungstagen kommen fünf- oder gar sechsstellige Beträge zusammen. Kostentreiber sind vor allem Gutachter – beispielsweise Mediziner, Lebensmittelchemiker oder Kfz-Sachverständige. Sie erhalten je nach Fachgebiet Stundensätze von 85 bis 155 Euro, zuzüglich Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschlägen. Außerdem müssen An- und Abreise, gegebenenfalls auch Hotelzimmer bezahlt werden. „Es hat durchaus Fälle gegeben, in denen ich Sachverständige aus München hatte“, sagt der pensionierte Richter Ulrich Kötting (Aurich).

Justitia ist blind, aber teuer. Foto: Dedert/dpa
Justitia ist blind, aber teuer. Foto: Dedert/dpa

Manche Gutachter, beispielsweise psychiatrische Sachverständige, sind während der gesamten Verhandlung vor Gericht anwesend. Jede einzelne Stunde muss honoriert werden, einschließlich Wartezeiten. Hinzu kommen die Stunden für die Begutachtung selbst. Verglichen damit sind die Gerichtskosten eher moderat. Sie liegen je nach Strafmaß zwischen 155 Euro (Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis sechs Monate) und 1100 Euro (lebenslänglich). Der Verurteilte muss außerdem für die Kosten der Verteidigung und der Nebenklage aufkommen. Deren Gebühren sind im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz geregelt. Je länger der Prozess dauert und je höher die Instanz ist, desto mehr Geld erhalten sie. Neben einer Grund- und einer Verfahrensgebühr fallen für einen Pflichtverteidiger zum Beispiel bei einer Verhandlung am Amtsgericht 242 Euro pro Tag an. Befindet sich der Beschuldigte in Haft, erhält der Verteidiger einen Haftzuschlag. Auch die Auslagen der Zeugen (Fahrtkosten, Verdienstausfall) werden dem Verurteilten in Rechnung gestellt. Dolmetscherkosten hingegen werden vom Staat getragen, ebenso die Auslagen der Schöffen.

Wer stellt die Rechnung?

Das ist Sache der Staatsanwaltschaft. Sie schickt dem Verurteilten eine Rechnung. Wer nicht zahlt, wird gemahnt und erhält schließlich Besuch vom Gerichtsvollzieher, wie in jedem Vollstreckungsverfahren. Durch langjährige Freiheitsstrafen kann man sich dem nicht entziehen. „Wir können 30 Jahre vollstrecken“, sagt Erster Staatsanwalt Jan Wilken. Nach der Entlassung aus dem Gefängnis erwartet den Mörder also womöglich eine fette Rechnung.

Wie realistisch ist es, dass der Verurteilte zahlt?

Wer zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt ist, verdient währenddessen nur wenig Geld. Auch nach einem Gefängnisaufenthalt sind die Verdienstmöglichkeiten meist begrenzt. Dass ein verurteilter Mörder eine fünf- oder sechsstellige Rechnung jemals begleichen wird, ist daher eher unwahrscheinlich – es sei denn, es handelt sich um eine vermögende Person. Die Masse der Strafprozesse endet aber nicht mit langjährigen Freiheitsstrafen und ist auch nicht so aufwendig und teuer wie beispielsweise ein Mammutprozess wegen eines Tötungsdeliktes. Wer zu Geld- oder kürzeren Freiheitsstrafen verurteilt wird, ist in der Regel durchaus in der Lage, die Verfahrenskosten zu übernehmen. Dabei kann mit der Justiz Ratenzahlung vereinbart werden. „Ich empfehle meinen Mandanten immer, guten Willen zu zeigen“, sagt Michael Schmidt, Fachanwalt für Strafrecht aus Großefehn. Sie sollten eine Anzahlung leisten und dann um Ratenzahlung bitten, und sei es im zweistelligen Bereich.

Wie kommen die Beteiligten an ihr Geld, wenn der Verurteilte nicht zahlt?

Die Honorare und Auslagen für Sachverständige, Pflichtverteidiger, Zeugen etc. übernimmt zunächst die Staatskasse. Der Staat holt sich das Geld anschließend beim Verurteilten zurück. Wenn dies nicht gelingt, geht dies zulasten der Staatskasse, also des Steuerzahlers. Der bleibt im Zweifel auf den Kosten sitzen.

Wird ein Pflichtverteidiger nicht ohnehin vom Staat bezahlt?

Nein. Die Gebühren für den Pflichtverteidiger gehören zu den Verfahrenskosten, die vom Verurteilten zu tragen sind. Ein Pflichtverteidiger wird einem Angeschuldigten in der Regel dann beigeordnet, wenn dieser eine schwere Straftat begangen hat und/oder in Untersuchungshaft sitzt. Dann kann der Pflichtverteidiger direkt mit der Staatskasse abrechnen. Wahlverteidiger können das Honorar frei vereinbaren. Sie erhalten in der Regel mehr Geld als ein Pflichtverteidiger. Sollte ihr Mandant nicht zahlen, springt allerdings nicht die Staatskasse ein. „Ich bin sehr oft auf solchen Kosten sitzen geblieben“, sagt Michael Schmidt. Wenn sich der Mandant in Haft befinde, empfehle es sich, mit Angehörigen oder Freunden vorab eine Vereinbarung über die Kostenübernahme zu schließen, sagt der Rechtsanwalt.

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