Erfolgreiche Chefärztin im Porträt Ihr Blick entlarvt Nervenkrankheiten und erkennt Schlaganfälle
Prof. Dr. Sylvia Kotterba arbeitet als Chefärztin im Klinikum Leer. Bereits sechs Mal wurde die 62-Jährige als Top-Medizinerin ausgezeichnet. Wer ist diese Frau?
Leer - Sylvia Kotterba sitzt am Besprechungstisch in ihrem Büro im Klinikum Leer. Hinter ihr hängen fünf Urkunden, eine sechste liegt noch auf dem Besprechungstisch. „Top Medizinerin 2023“ steht darauf. Seit 2018 zeichnet das Magazin „Focus“ die Medizinerin aus. Grundlage ist eine Studie, die das Institut MINQ im Auftrag des Magazins durchgeführt hat. Kotterba zeichne sich durch hervorragende Leistungen im Bereich Schlafmedizin aus.
Was und warum
Darum geht es: Prof. Dr. Sylvia Kotterba ist mehrfach ausgezeichnet worden. Sie ist Chefärztin, Professorin und wackere Ostfriesin.
Vor allem interessant für: Menschen, die wissen möchten, welche Experten in unseren Krankenhäusern arbeiten
Deshalb berichten wir: Prof. Dr. Kotterba ist kürzlich ausgezeichnet worden. Wir wollten wissen, wer die Frau ist, die so viele Preise abräumt. Die Autorin erreichen Sie unter: n.nording@zgo.de
Großen Wert legt sie darauf nicht. Ihr Job fasziniert sie aus anderen Gründen: „Ich wollte immer nah am Menschen sein“, sagt sie. Forschung in Laboren sei sicherlich wichtig, aber für sie sei die Klinikarbeit immer wichtiger gewesen. Schon in der Schule sei sie davon fasziniert gewesen. „Kurz vor dem Abitur stand für mich fest: Medizin oder Musik“, erzählt sie. Am Ende sei es Medizin geworden, „ohne familiäre Vorbelastung“. Nur eine Tante sei Krankenschwester gewesen, sagt die 62-Jährige.
Vater bei VW
Aufgewachsen ist sie in Emden, geboren in Wolfsburg. „Mein Vater war bei VW“, sagt sie. Dass Frauen Anfang der 1980er Jahre studieren gegangen seien und dann auch noch Medizin, sei nicht selbstverständlich gewesen. „Ich habe immer hart gearbeitet“, sagt sie. Das Abitur habe sie mit 1,0 bestanden, danach ging es zum Studium nach Bochum. „Dort sei knallhart aussortiert worden“, erinnert sie sich. „Die Zeiten waren ganz anders als heute.“
Schnell sei ihr allerdings klar gewesen, dass die Neurologie ihre Fachrichtung werde. Denn in kaum einem Fach nehme die ausführliche Untersuchung des Menschen so viel Zeit in Anspruch und könne so viel aufdecken: „Man kann zum Beispiel an der Gangart oder der Art zu sprechen viel ablesen“, sagt sie. Wobei das im Alltag manchmal zu kuriosen Situationen führt. „Ich denke schon manchmal, wenn im Supermarkt jemand vor mir läuft: Der müsste mal in meine Praxis kommen“, sagt sie. Als Neurologe sei man Experte für alles, was mit Nerven zu tun hat. „Wir müssen immer alles können – von Multipler Sklerose über Schlaganfälle bis zu Parkinson“, sagt sie.
Heimweh nach Norddeutschland
In Bochum blieb sie auch nach ihrer Studienzeit. „Ein Professor sprach mich damals an“, sagt sie. Sie ging ans BG Universitätsklinikum Bergmannsheil, das 1890 als weltweit erste Unfallklinik zur Versorgung von verunglückten Bergleuten gegründet wurde. Sie arbeitete dort in der Intensivmedizin, kümmerte sich um Themen wie Hirnschäden und Hirntod. Immer mehr Wissen anzueignen, es zu vertiefen und sich breit aufzustellen, gehört zu Kotterbas deutlichsten Eigenschaften. Daher trägt sie nicht nur die Titel Professor und Doktor, sondern hat auch zahlreiche Zusatzausbildungen gemacht. Kotterba ist Fachärztin für Neurologie, Geriatrie, Palliativmedizin, Neurologische Intensivmedizin und Schlafmedizin und führt die Zusatzbezeichnung Physikalische Therapie und Balneologie. „Eine der Prüfungen habe ich sogar während meines Umzugs, quasi auf den Weg von NRW zurück nach Norddeutschland, bei der Ärztekammer Westfalen abgelegt“, erzählt sie und lacht. „Mein Auto auf dem Parkplatz war voller Umzugskram.“
Die Liebe zu Norddeutschland hat die Ostfriesin nie losgelassen „Ich habe eigentlich seit dem ersten Semester, Anfang der 1980er Jahre, gesagt, dass ich zurück in den Norden will. Zurück war ich dann 2007“, sagt sie. Zunächst ging sie in die Ammerlandklinik nach Westerstede, mittlerweile ist sie Chefärztin am Klinikum in Leer. Dort wird sie auch die künftige neurologische Abteilung leiten.
Professorin in Bochum, Oldenburg und Groningen
Bochum hat sie nicht hinter sich gelassen. Dort hat sie noch immer eine Lehrtätigkeit an der Universität, ebenso wie an der European Medical School in Oldenburg und Groningen. Die Unitätigkeit erfüllt sie: „Die Arbeit mit den jungen Menschen macht mir unheimlich viel Spaß“, sagt die 62-Jährige. „Keine meiner Vorlesungen ist gleich. Ich mag es, mit den jungen Leuten zu diskutieren“, sagt sie.
Die jungen, motivierten Medizinerinnen und Mediziner begeistern sie. „Allerdings frage ich mich auch manchmal: Wo sind die alle nach dem Studium?“, sagt sie. Nur wenige Ärztinnen und Ärzte blieben in der Region. „Vor diesem Problem stehen allerdings auch Kliniken in Großstädten“, sagt sie. Die Fachkräfte könnten doch nicht alle in die Forschung oder ins Ausland gegangen sein. Generell bräuchte es noch mehr Ärztinnen und Ärzte: Den Numerus Clausus, also die Zugangsbeschränkung anhand der Abiturnote für den Medizinstudiengang, sehe sie kritisch: „Ich habe in der Klinik viele Menschen in der Pflege kennengelernt, die super Ärzte werden, aber erst die Wartesemester-Zeit rumkriegen müssen“, sagt sie. Sie wünsche sich durchaus ein anderes System für ihren Berufszweig.
Pflegeroboter werden die Zukunft sein
Personal sei ohnehin die größte Herausforderung für den Medizinbereich, sagt die Chefärztin. „Ich gehe davon aus, dass wir um Pflegeroboter zur Unterstützung nicht herumkommen werden“, sagt sie. Das sei aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Zudem komme, dass Fachkräfte immer mehr Wert auf die Work-Life-Balance legten. „Das finde ich auch gut“, sagt sie. Sie selber hat es allerdings jahrelang anders gemacht. Ihre Habilitation hat sie neben dem Job am Wochenende und nach Feierabend geschrieben. „Das war hart“, sagt sie. Heute sehe sie es gelassener: „Fünf Jahre mehr an der Uni hätten mir heute auch nicht wehgetan. Aber so waren wir damals“, sagt sie. Mittlerweile seien Freizeittermine fest in ihrem Terminkalender angelegt. Sie fährt Inline-Skates, häkelt und strickt gern und verbringt Zeit mit ihrer großen Familie. „Die Chorprobe jede Woche lasse ich mir nicht verplanen“, sagt sie. Sie ist Vorsitzende des Emder Singvereins. Sie hat immer in Chören gesungen – sogar einmal in der Londoner Royal Albert Hall. „Das war ein Erlebnis“, sagt sie. „Das brauche ich einfach zum Ausgleich.“ In dieser Zeit legt sie auch Wert darauf, nicht Ärztin zu sein. „Ich sage dann immer, ruf mich morgen in der Praxis an“, erzählt sie und lächelt.