Hochschule feiert Jubiläum So viel Spannendes gibt es am Maritimen Campus in Leer zu entdecken

| | 02.08.2023 18:02 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
Einmal an San Francisco vorbeifahren: Zumindest im Schiffsführungs-Simulator ist das möglich. Fotos: Hanssen
Einmal an San Francisco vorbeifahren: Zumindest im Schiffsführungs-Simulator ist das möglich. Fotos: Hanssen
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Anlässlich des Hochschuljubiläums haben wir uns an der Bergmannstraße umgesehen. Der Standort muss sich nicht verstecken.

Emden/Leer - Mehr als 1000 Interessierte schauten sich vor Kurzem bei der langen Nacht den maritimen Campus der Hochschule Emden/Leer in Leer an. Warum? Was ist denn so spannend an den Gebäuden an der Bergmannstraße? Eine ganze Menge, wie diese Zeitung bei einem mehrstündigen Besuch feststellen durfte.

Hinter dem historischen Gebäude an der Bergmannstraße finden sich hochmoderne Studieneinrichtungen.
Hinter dem historischen Gebäude an der Bergmannstraße finden sich hochmoderne Studieneinrichtungen.

Von einem Schiff aus auf eine Windkraftanlage klettern, ein riesiges Containerschiff an San Francisco vorbeisteuern, die Form und den Antrieb der Zukunftsschiffe entwickeln und testen - und die Sterne beobachten: All das und noch mehr lässt sich im Fachbereich Seefahrt und Maritime Wissenschaften lernen und entdecken. Wir stellen den Campus anlässlich des 50-jährigen Hochschulbestehens vor.

Ab in den virtuellen Raum!

Wir starten bei Lars Ostrowitzki. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und kennt sich mit virtuellen Welten aus. Dem einen oder der anderen mag die Virtual-Reality-Technik schon bekannt sein - etwa durch Videospiele oder Museen. Dabei trägt man eine besondere Brille, durch die man eine künstliche Realität in 3D sieht, durch diese spaziert und dort auch etwas verändern kann.

Ganz schön die Orientierung verlieren kann man mit der Virtual-Reality-Brille, wenn man gerade eine Windkraftanlage „hochklettert“. Lars Ostrowitzki aber ist Experte.
Ganz schön die Orientierung verlieren kann man mit der Virtual-Reality-Brille, wenn man gerade eine Windkraftanlage „hochklettert“. Lars Ostrowitzki aber ist Experte.

In Leer kann ich damit über ein Schiff gehen, mir die Container anschauen und eine Windkraftanlage erklimmen. Es sind häufig Programme, durch die logistische Abläufe durchgespielt und verbessert werden können, erklärt Lars Ostrowitzki. Bei einer anderen Station kann ich mir ein Schiffsmodell genau anschauen und auch um dieses herumgehen. Die Funktion ist dazu da, um mögliche Schwachstellen vor dem Bau eines Schiffs zu entdecken und so viel Geld einzusparen. VR wird schon in vielen Projekten und Betrieben wie etwa Volkswagen oder der Meyer Werft eingesetzt, so der Wissenschaftler.

Lars Ostrowitzki führt durch den virtuellen Raum. Hier schaut er sich durch seine Virtual-Reality-Brille einen Frachter in 3D an und überprüft diesen auf Schwachstellen.
Lars Ostrowitzki führt durch den virtuellen Raum. Hier schaut er sich durch seine Virtual-Reality-Brille einen Frachter in 3D an und überprüft diesen auf Schwachstellen.

Der besondere Blick zu den Sternen

Ein absolutes Kontrastprogramm erwartet mich im Planetarium. Burkhard Petzold ist hier der Experte. Der runde Raum mit der Kuppeldecke wurde in den 1960er Jahren eingerichtet. Hier lernen angehende Nautikerinnen und Nautiker „das, was sie ausmacht“, sagt er. Anhand der Sterne zu navigieren, ist komplex. Dabei reicht es nicht allein, den Polarstern finden zu können. Auch der Sextant will bedient werden, um anhand der Sterne die Position des Schiffes zu bestimmen und zu schauen, ob man die angepeilte Route einhält.

Mit allerlei Knöpfen und Drehern können unterschiedliche Szenarien im Planetarium nachgespielt werden.
Mit allerlei Knöpfen und Drehern können unterschiedliche Szenarien im Planetarium nachgespielt werden.

Burkhard Petzold bedient im Dunkeln des Planetariums geschickt die fast schon historischen Gerätschaften, lässt die Sternbilder erscheinen, uns an den Nordpol wandern, die Sonne scheinen. „Bei der langen Nacht war das Planetarium der absolute Renner“, sagt Dekanatsassistent Felix Agostini. Nur schade: An Bord eines modernen Schiffes gibt es nur noch selten einen Sextanten, so Petzold. Die Nautiker müssen nicht mehr die Sterne zurate ziehen, die Schiffe sind mit GPS ausgestattet, mit Autopilot und anderem.

An die verdunkelte Kuppel des Planetariums schauen Studierende und lernen die Navigation anhand von Sternen.
An die verdunkelte Kuppel des Planetariums schauen Studierende und lernen die Navigation anhand von Sternen.

Einmal an San Francisco vorbeischippern

Wie technisch hochmodern die Schiffe mittlerweile sind, erlebe ich im Navigationslabor bei Professor Rudolf Kreutzer. In einem Bereich ist das komplette Equipment einer Schiffsbrücke an mehreren Arbeitsplätzen aufgebaut. In einer Datenbank stehen mehr als 40 Eigenschiffe und mehr als 30 verschiedene Seegebiete zur Auswahl, die man „durchspielen“ kann. So lernen die Studierenden, wie sie ein Schiff führen, wie sie Radargeräte und Seekarten richtig lesen. Unweit davon steht der mit vier Arbeitsplätzen ausgestattete „Liquid Cargo Simulator“, also Flüssig-Ladung-Simulator, durch den die Beladungsvorgänge von Gas-, Chemikalien-, Produkten- und Rohöltankern simuliert werden.

Bevor es auf ein echtes Schiff geht, lernen die Studierenden an Simulatoren unter anderem, wie sie Radargeräte richtig bedienen und Seekarten lesen.
Bevor es auf ein echtes Schiff geht, lernen die Studierenden an Simulatoren unter anderem, wie sie Radargeräte richtig bedienen und Seekarten lesen.

Ein absolutes Highlight ist der große Simulatorraum: Hier hat man das Gefühl, wirklich auf einer Schiffsbrücke zu stehen. Durch die „Fenster“ schaut man - in unserem Fall - auf die Bucht von San Francisco. Die Metropole liegt auf der linken Seite, rechts ist die Gefängnisinsel Alcatraz zu erkennen. Die „Brücke“ ist mit aller nötigen Technik ausgestattet, die es auch auf den echten Frachter-Riesen gibt. „Das Schiff muss sich verhalten wie in echt,“ sagt Kreutzer. Bei Übungen - teilweise mit anderen Bildungsstandorten mit so einem Simulator weltweit - werden Szenarien entwickelt, in denen Routen erstellt, abgefahren und in kritischen Situationen schnell Fehler erkannt und behoben werden.

Die Bucht von San Francisco ist im Schiffsführungs-Simulator durch die „Fenster“ zu sehen. Bei Tag, Nacht, Sturm und Nebel müssen die Studierenden ihr „Schiff“ sicher führen können. Das wird hier geübt.
Die Bucht von San Francisco ist im Schiffsführungs-Simulator durch die „Fenster“ zu sehen. Bei Tag, Nacht, Sturm und Nebel müssen die Studierenden ihr „Schiff“ sicher führen können. Das wird hier geübt.

Das Schiff der Zukunft wird hier entwickelt

Die letzte Station führt zu Professor Jann Strybny. Im Maritimen Technikum, in der seine Hauptarbeit stattfindet, geht es um die wichtigen Fragen einer umweltfreundlicheren Schifffahrt. Am Leeraner Standort des Fraunhofer-Instituts für Windenergiesysteme werden Segeltechnologien für die Schifffahrt entwickelt und optimiert. Die großen Schiffe fahren dort, wo viel Wind ist, sagt er. Außer an leistungsfähigen Segelsystemen wird aber auch an der Weiterentwicklung der Flettner-Technologie gearbeitet. Der Flettner-Rotor ist ein der Windströmung ausgesetzter rotierender Zylinder. Er wirkt wie ein Segel und erzeugt durch einen besonderen physikalischen Effekt eine Kraft quer zur Anströmung. Der Rotor wird mit einer an die herrschende Windgeschwindigkeit angepassten Geschwindigkeit gedreht - meist mit einem elektrischen Motor. Ganz ohne Treibstoff kommt das Schiff also nicht aus.

Im Maritimen Technikum finden sich unter anderem ein Versuchsbecken, in das rund 300.000 Liter Wasser passt, einen Windkanal und ein Schlepptank.
Im Maritimen Technikum finden sich unter anderem ein Versuchsbecken, in das rund 300.000 Liter Wasser passt, einen Windkanal und ein Schlepptank.

Ansonsten wird hier praktisch erforscht, welche Schiffsform am besten durchs Wasser gleitet. Dafür gibt es einen Schlepptank und ein multifunktionales Versuchsbecken für Untersuchungen in Wasserbau, Meerestechnik und Küstenschutz. Rund 300.000 Liter Wasser passen in das Becken. Das wird je nach Bedarf aus dem Keller hochgepumpt und muss nicht neu aus der Leitung aufgefüllt werden. Außerdem gibt es unter anderem einen Windkanal für aerodynamische Untersuchungen im Bereich Windenergie und Segelantriebe, der Windgeschwindigkeiten bis 180 Kilometer pro Stunde simulieren kann, und ein Labor für Schiffsakustik.

Mit einem Schlepptank kann getestet werden, wie gut ein Schiffsmodell im Wasser liegt und was vielleicht noch an der Form verbessert werden muss.
Mit einem Schlepptank kann getestet werden, wie gut ein Schiffsmodell im Wasser liegt und was vielleicht noch an der Form verbessert werden muss.

→ 1854 wurde der Standort als Städtische Navigationsschule Leer gegründet. Seit 1973 gehört der Campus zur Hochschule Emden-Leer. Bis zu 400 Studierende sind im Fachbereich. Zum Vergleich: Am Emder Standort sind es etwa 4500. Am Maritimen Campus kann man neben den Studiengängen zum Bachelor in Nautik und Seeverkehr und Wirtschaftsingenieurwesen Maritime Wissenschaften die Fachschulbildungsgänge Nautik absolvieren. Außerdem kann man den Master in Maritime Operations machen - und auch den Doktorgrad erlangen. Das geht in Kooperation mit der Technischen Universität Berlin. In Leer gibt es auch noch den Business Campus in der Altstadt.

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