Serie „Fehntjer Geschichte(n)“ Warum die Fehntjer es gerade und ordentlich lieben
Die Initialzündung zur Gründung Großefehns kam aus Emden. Die Fehntjer Identität geprägt aber haben vor allem die Torfpütten – obwohl die lange schon verschwunden sind.
Großefehn - Mit Fug und Recht darf wohl behauptet werden, dass die Gründerväter von Großefehn Emder waren. Und die bekamen Unterstützung von einem findigen Niederländer. Mit Simon Thebes, Claas Behrends, Cornelius de Rekener und Gerd Lammers haben vier Emder Kaufleute im Jahr 1633 gemeinsam als Großefehngesellschaft Hochmoorflächen von ihrem Landesherren gepachtet. Sie machten sich daran, das Moor zu entwässern und anschließend Torf zu stechen. Der meiste Torf ging von Großefehn direkt nach Emden. Die Stadt hatte um 1600 bereits 30.000 Einwohner, schrieb der Geograf Hans-Jürgen Nitz, der sich unter anderem mit historischer Kolonisation und Plansiedlung befasste. Die Stadt war hungrig auf Torf und zählte auf den Brennstoff vom Fehn. Eine enge Verbindung, von der heute allerdings nichts mehr übrig ist. Damit ist Großefehn den Forschungen Karl-Ernst Behres zufolge übrigens die älteste Fehnsiedlung in Ostfriesland. In seinem Werk „Ostfriesland. Die Geschichte einer Landschaft und ihrer Besiedlung“ hat er die Gründungsjahre der ursprünglich insgesamt 17 Fehnkolonien zusammengetragen. Älter ist nur Papenburg mit Ursprung 1630.
Was und warum
Darum geht es: Vier Emder und ein Niederländer ließen Großefehn erst entstehen. Ihre ganz eigene Identität aber haben die Fehntjer dank der prägenden Arbeit in den Pütten.
Vor allem interessant für: Fehntjer und regionalgeschichtlich Begeisterte
Deshalb berichten wir: Im Rahmen der Serie „Fehntjer Geschichte(n)“ wirft die Redaktion Schlaglichter auf Besonderheiten in der Geschichte Großefehns. Es sind Ereignisse, die die 14 Ortschaften und die in ihnen lebenden Menschen zu dem gemacht haben, was sie heute sind. Die Autorin erreichen Sie unter: s.ullrich@zgo.de
Während der Torf bis zu diesem Zeitpunkt nur für den Eigenbedarf genutzt wurde, gab es jetzt den nächsten Schritt: Die Ostfriesen brachten die Idee vom Abbau „vom Kleinen ins Große“, sagt Kerstin Buss. Der Blick gen Westen habe gezeigt, wie es geht, sagt die Leiterin des Fehnmuseums „Eiland“: Rund um Antwerpen, Gent und Brügge sei bereits im großen Stile Brennstoff für die Städte abgebaut worden. Über die Niederlande schwappte so die Idee des gewerblichen Abbaus gen Ostfriesland. Der Erbpachtvertrag, den Graf Ulrich II. von Ostfriesland und die vier Emder Kaufleute schlossen, ist für die frühere Geschichtslehrerin Buss noch aus heutiger Sicht bemerkenswert. Der Landesherr aus dem Hause Cirksena sei nicht gerade für seine hervorragenden Herrscherqualitäten bekannt gewesen, gibt sie zu bedenken.
Landwirtschaftliche Flächen statt unfruchtbarer Brachen
Aber: „Er hatte einen schlauen Kanzler.“ Dothias Wiarda hatte niederländische Wurzeln und erkannte somit die Möglichkeiten dieses Handels: Im Vertrag ließ er festlegen, was den Grundstein der Verfehnung bedeutete. Die Folge war ein blühendes Handelszentrum statt einer Brache, sagt die Historikerin. Anderenorts nämlich wurde erst Raubbau an der Natur betrieben, dann zogen die Siedler weiter. Dothias Wiarda aber ließ sich zusichern, dass die Fehngesellschaft dem Land nicht nur den Schwarz- und Weißtorf entnehmen, sondern auch die verbliebenen Erdschichten darunter umgraben, düngen und nutzbar machen solle.
Er wollte damit neue Impulse für die Landwirtschaft geben – und letztlich Steuern in die Kassen seines Herrschers spülen.
Die Fehnunternehmer waren somit die Ersten, die den chaotischen und punktuellen Abbau des Torfs hier professionalisierten. Natürlich machten sich die Kaufleute ihre Hände nicht selbst schmutzig: Erst heuerten sie Tagelöhner an. Die schufen systematisch Entwässerungskanäle, entlang derer nach einigen Monaten auf beiden Uferseiten der Brennstoff abgebaut wurde. Insgesamt sieben Fehntjer Tief-Fehne sollten in den kommenden Jahren entstehen. Das funktionierte nur durch die anteilige Trockenlegung des Moores: Durch den Entzug des Wassers wurde das Hochmoor verdichtet. Es wurde also nicht nur fester und tragfähiger, sondern sackte auch in sich zusammen. Das Hochmoor, gewachsen dank des Torfmooses in 4000 bis 6000 Jahren, wurde erst binnen weniger Jahrzehnte terrassenförmig abgebaut und im weiteren Verlauf weitestgehend flächendeckend abgetragen. Davon zeugt die heute relativ gerade Oberfläche der Fehnsiedlungen.
Torf brachte bis 1900 Reichtum und Fortschritt
Später verpachteten die Kaufleute die Parzellen an Kolonisten unter, erklärt Buss. Im Jahr 1672 waren von den vier Emder Unternehmern nur noch Gerd Lammers und dessen Familie als Gesellschafter übrig geblieben. Das sei für die Gesellschafter schlichtweg billiger gewesen, als auf Dauer die Tagelöhner bezahlen zu müssen. Und die Kolonisten konnten so in Eigenverantwortung agieren. „Sie mussten Pütten kaufen zum Abtorfen.“ Jede Familie war nun selbst dafür verantwortlich, Torf abzubauen. Und möglichst gewinnbringend zu verkaufen, wenn sie satt werden wollte. Je gleichmäßiger der Brennstoff gestochen war, desto besser. Denn so konnte er platzsparend gestapelt werden. Diese Liebe zu Gradlinigkeit und Ordnung habe die Fehntjer nachhaltig geprägt, verrät Buss. „Es sind besondere Menschen.“
Zweieinhalb Jahrhunderte bestimmte der Torf das Leben auf dem Fehn. Um 1880 erlebten die Fehne ihre Blütezeit. Durch den Verkauf von Torf und die Möglichkeiten der Schifffahrt kam Reichtum aufs Fehn. Um die Jahrtausendwende nahm die Bedeutung des Brennstoffs immer weiter ab. „Die Blütezeit der Fehne ging um 1900 zu Ende“, fasst Buss zusammen. Geheizt wurde jetzt vermehrt mit Steinkohle, die kostengünstig in Bergwerken in Nordrhein-Westfalen abgebaut wurde. Segelfrachtschiffe aus Holz wurden abgelöst durch Eisenschiffe, die wegen ihrer Größe nicht mehr auf den Fehnen gebaut werden konnten. Der Dampfantrieb löste zudem das Segeln ab.
Der Wunsch nach Ordnung aber war augenscheinlich längst Teil der Fehntjer Identität. Das blieb auch Heinrich Tebbenhoff nicht verborgen. Der im Jahr 1890 geborene und 1968 verstorbene Lehrer und Organist legte im 1963 erschienenen „Großefehn – seine Geschichte“ dar, wie strukturiert die Siedlung ist: „Beiderseits des Kanals verlaufen breite Fußwege. An der einen Seite ist die Straße durchgehend gepflastert. Dahinter reiht sich an beiden Seiten Haus an Haus. Jedes besitzt seinen eigenen Gemüse- und Ziergarten (Tuun), dessen Anlage und Sauberkeit schon immer der Stolz der Fehntjer war.“ Doch damit nicht genug. Auch im Haus setze sich diese Sauberkeit fort, stellt er klar. „Allwöchentlich werden sowohl die Fenster als auch die Backsteinfassungen der Häuser mit Strömen von Kanalwasser gereinigt.“ Kerstin Buss heiratete in eine alteingesessene Fehntjer Familie ein. Sie sagt, sie habe genau diese Eigenschaften stets mit großer Bewunderung, beispielsweise an ihrer Schwiegermutter, erlebt. Fehntjer seien einfach kittig.
Die Mühle in Westgroßefehn wird in diesem Jahr 250 Jahre alt. In einem neuen Teil unserer Serie erzählt ihr Besitzer Heyo Gerhard Onken, wie sie 1892 in den Besitz seiner Familie kam.