Serie „Unser Aurich“ Die Pfälzer haben den Frohsinn in den Norden Aurichs gebracht
Plaggenburg wäre ohne die Einwanderer aus der Pfalz nicht so früh besiedelt worden. Die Ureinwohner haben ihre Spuren hinterlassen − wenn auch nicht für jeden sichtbar.
Aurich - Kampf bis zuletzt. In den Augen von Margaretha Wendeling fand man diese Mischung aus Stolz und Unnachgiebigkeit, die erforderlich ist, um auch die hartnäckigsten Widerstände niederzuringen. Die Auricherin gehörte zu den Ureinwohnern von Plaggenburg. Sie entstammte einer der sechs Familien, die sich 1777 im Moor nördlich von Aurich niedergelassen hatten. Ihre Wurzeln liegen in der Pfalz. Sie hatten ihre Heimat verlassen, um woanders ihr Glück zu suchen. Eigentlich wollten sie laut verschiedener Chroniken nach Amerika auswandern. Was sie letztlich daran gehindert hat, ist nicht überliefert. Sie bewegten sich in Etappen auf ihr Ziel zu: Die erste Station war Goch, ein kleiner Ort am Niederrhein. Dort fanden sie nicht das Auskommen, das für ein bescheidenes Leben erforderlich ist. Also ließen sie sich nördlich von Sandhorst Land zuweisen. Einer der Pfälzer war Nicolaus Wendeling, der Ur-Ur-Großvater von Margaretha Wendeling.
Deren Bildnis hängt im Kolonistenhaus in Plaggenburg an der Esenser Straße. Sie hat noch erlebt, dass im August 1995 ihr Zuhause erhalten blieb. Es sollte eigentlich abgerissen werden. Der Vertrag war fertig, die Kaufsumme ausgehandelt. Ein Architekt hatte bereits Interesse bekundet. Doch dann intervenierte der Ostfriesische Pfälzerbund erfolgreich. Es könne nicht angehen, dass ein historisches Haus zerstört werde, hieß es. Früher mahlten die Mühlen der Verwaltung offenbar bei Bedarf geschwind. Der damalige Stadtbaurat Hans Rogalla sorgte dafür, dass das Haus unter Denkmalschutz gestellt wurde. Das sicherte seinen Erhalt.
Die Hütten bestanden aus Plaggen
28 Jahre später trifft sich die Redaktion im Kolonistenhaus mit Ortsbürgermeister Wolfgang Kahmann (SPD), dem Ratsherrn und Ortsratsmitglied Artur Mannott (CDU) und Pastor Roman Ott, um über Plaggenburg zu sprechen. Der Ortsteil, der in der Beschreibung des Amtes Aurich 1735 noch eine Wüstung war. Mit Beginn der planvollen Besiedlung dieser Gegend diente der Flurname zur Bezeichnung der Pfälzer-Kolonie. Plaggenburg leitet sich von den so genannten Plaggen ab. Das sind gestochene Grassoden. Daraus haben die ersten Siedler ihre Häuser gebaut. Sie haben sich sehr stark plagen müssen, um den schweren Boden zu kultivieren. Es war keine gute Erde, keine, auf der man Landwirtschaft betreiben konnte.
„Da haben die Sandhorster ihre Schafe drüber gejagt, das wollte keiner haben“, bringt es Pastor Ott auf den Punkt. Nach einer 1803 erfolgten Vermessung lebten 42 Kolonisten in Plaggenburg. 1823 soll es laut der Historischen Ortsdatenbank der Ostfriesischen Landschaft nur noch wenige Lehmhütten gegeben haben.
Was ist von den Pfälzern geblieben? Die Antwort von Artur Mannott ist eindeutig: „Das sind die Namen. Etliche Pfälzer hießen Friederich. Daraus ist Friedrich oder Friedrichs geworden. Von denen findet man noch viele im Ortsteil.“ Einer der bekanntesten Plaggenburger dieses Namens war Nikolaus Friedrichs, der auch Ortsbürgermeister war und im April 2022 verstorben ist. Am 4. August wäre er 80 Jahre alt geworden. Doch noch etwas anderes stammt von den Pfälzern, sie haben aus ihrer Heimat die Kirmes und das Schützenfest mit nach Ostfriesland gebracht. Pastor Ott weist auf den Ursprung des Wortes hin: Kirmes leite sich ab von Kirchmess und stamme ganz eindeutig vom katholisch dominierten Teil der Republik. Die Pfälzer haben also etwas Frohsinn und Geselligkeit in die Region gebracht. Davon kündet auch die Trachtengruppe, die es viele Jahrzehnte lang gab. 1977 hatte sie noch 103 Mitglieder, also eine stattliche Zahl. Mittlerweile hat sich die Gruppe aufgelöst.
Feuerwehr ist besonders aktiv
Doch das ist offenbar eine Ausnahme. Wolfgang Kahmann schwärmt davon, wie viele Vereine es gibt, angefangen beim Landfrauenbund Plaggenburg über den Sportverein „Eintracht“ Plaggenburg bis hin zum Ostfriesischen Pfälzerbund. Besonders hervorzuheben sei die „sehr aktive“ Feuerwehr mit äußerst lebendiger Jugendarbeit. Die Feuerwehr ist für die beiden anderen Pfälzerdörfer mitzuständig, nämlich für Dietrichsfeld und Pfalzdorf. Beide sind, wie der Name vermuten lässt, ebenfalls von Einwanderern aus der Pfalz gegründet worden. Beim Gespräch über die Vereine wird schnell deutlich, dass stark differenziert wird zwischen denjenigen, die immer schon in Plaggenburg ansässig waren, und denen, die sich angesiedelt haben, weil es plötzlich Platz in einem Gebäude gab. Das gilt etwa für den Tauchclub Beluga, der sich auf der Suche nach neuen Räumen an der Esenser Straße niedergelassen hat. Alles ist im Wandel, Vereine lösen sich auf, andere siedeln sich an.
Was Bestand hat, ist die evangelisch-lutherische Andreaskirche, die 1904 von dem Auricher Bauunternehmer Johann Berger errichtet wurde, also eigentlich relativ spät, wenn man bedenkt, wie lange es Plaggenburg bereits gab. „Das liegt daran, dass wir früher zur Lambertigemeinde gehört haben“, sagt Pastor Ott. Die Kirche sei in der damals üblichen schematischen Bauweise errichtet worden, fast wie nach Katalog. Kurios: Die Gründung der Gemeinde Plaggenburg erfolgte erst 1930. „Und erst damals haben wir den ersten eigenen Pastor erhalten, nämlich Pastor Sierske, dessen Grabstein noch auf dem Friedhof steht“, sagt Pastor Ott.
Und die, die noch leben, wo treffen die sich, nachdem schon vor vielen Jahren die beiden einzigen Kneipen im Ort dichtgemacht haben? Die einzige Möglichkeit sei das Sportheim beim Waldstadion. Es wird von Margrete Janssen betrieben. Die sei immer im Laufschritt unterwegs, heißt es. Viel zu tun. Es ist in gewisser Weise wie zu den Zeiten von Margaretha Wendeling. Es bleibt ein Kampf bis zuletzt.
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