Serie „Fehntjer Geschichte(n)“ Wieviel Groningen steckt in Großefehn?

| | 20.08.2023 16:04 Uhr | 1 Kommentar | Lesedauer: ca. 5 Minuten
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Für alle technischen Einrichtungen wie Schleusen, Klappbrücken und Wieken stand Historikern zufolge Groningen Modell für die Entstehung Großefehns ab 1633. Foto: Archiv/Cordsen
Für alle technischen Einrichtungen wie Schleusen, Klappbrücken und Wieken stand Historikern zufolge Groningen Modell für die Entstehung Großefehns ab 1633. Foto: Archiv/Cordsen
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Groningen gilt als Vorbild für die Entstehung Großefehns. Manche Ähnlichkeiten springen direkt ins Auge. Andere sind spürbar. Beispielsweise die Zufriedenheit der Fehntjer, sagt ihr Bürgermeister.

Großefehn - Torf spielte im Leben der Menschen in Ostfriesland schon immer eine Rolle. Weit vor dem Aufbau der Großefehncompagnie ab 1633 und der Gründung des „Großen Veens“ beziehungsweise „Großen Fehns“ baute jeder das ab, was er benötigte, um durch den Winter zu kommen. Diese Planlosigkeit zum Eigenbedarf gipfelte später im systematischen Abbau mit Bagger und Torfpresse. Die Inspiration dazu, das ursprünglich so karge Moor planvoll abzubauen und den Untergrund zu bewirtschaften, kam Historikern zufolge von den Niederländern. Die hatten schon Ende des 14. Jahrhunderts mit der Verfehnung der Hochmoore begonnen. Und sich wiederum die Inspiration dazu in den Städten Flanderns (Belgien) abgeschaut, erklärt Kerstin Buss. Die Leiterin im Fehnmuseum „Eiland“ in Westgroßefehn hat viel zur Geschichte der Gemeinde recherchiert. Eine zentrale Arbeit dabei waren die Untersuchungen des Siedlungsforschers Hans-Jürgen Nitz. Der ist sicher: „Das Vorbild für die Gründung der deutschen Fehne liegt selbstverständlich in Groningen.“

Was und warum

Darum geht es: Historikern zufolge ist die niederländische Stadt Groningen das Vorbild für die Erschaffung Großefehns. Was ist heute davon übrig?

Vor allem interessant für: Fehntjer und regionalgeschichtlich Begeisterte

Deshalb berichten wir: Im Rahmen der Serie „Fehntjer Geschichte(n)“ wirft die Redaktion Schlaglichter auf Besonderheiten in der Geschichte Großefehns. Es sind Ereignisse, die die 14 Ortschaften und die in ihnen lebenden Menschen zu dem gemacht haben, was sie heute sind.

Die Autorin erreichen Sie unter: s.ullrich@zgo.de

In der Chronik von Pekela, dem ältesten Groninger Fehn, sei bereits ab dem Jahr 1000 das Graben des viereckigen Torfs belegbar. Torf also, der bereits mit dem Spaten gestochen worden musste, fand Buss heraus. Doch aus dem Nachbarland kam mehr als die Inspiration: Es seien während der Gründung Großefehns auch Fachleute wie niederländische Ingenieure zur Rate gezogen worden, schreibt Nitz. „Die Gemeinsamkeiten liegen im Kanalsystem für die Entwässerung und für den Abtransport mit Torfkähnen.“ Die Stadt sei Vorbild „für alle technischen Einrichtungen wie Schleusen, Klappbrücken und Wieken – die fischgrätenartigen Seitenkanäle“, fasst er im 1993 erschienenen „Grenzenlos – Die Identität der Landschaft in der Ems Dollart Region“ zusammen.

In Groningen lässt es sich zufrieden leben

Eigentlich sollten das beste Voraussetzungen für ein Leben auf dem Fehn sein: Denn Groningen schneidet in Studien unter anderem überdurchschnittlich gut in Punkto Lebensqualität ab. 2007 sagten beispielsweise 97 Prozent der befragten Bewohner der niederländischen Stadt in einer von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen Umfrage aus, mit der Lebensqualität dort zufrieden zu sein. Auch in weiteren Umfragejahren war Groningen in dieser Kategorie stets in der Spitzengruppe europäischer Städte. Seit 1997 wird das Urban Audit regelmäßig durchgeführt. Doch damit nicht genug: Groningen hat die sauberste Luft aller Großstädte in den Niederlanden und schafft es unter die europäischen Spitzenreiter, hat die Europäische Umweltagentur (EUA) in einer Studie zur Luftqualität in diesem Jahr festgestellt.

Kerstin Buss vor dem Fehnmuseum "Eiland" in Westgroßefehn. Dort informieren die Leiterin und andere Ehrenamtliche Besucher über die Geschichte der Gemeinde. Foto: Ullrich
Kerstin Buss vor dem Fehnmuseum "Eiland" in Westgroßefehn. Dort informieren die Leiterin und andere Ehrenamtliche Besucher über die Geschichte der Gemeinde. Foto: Ullrich

Natürlich wird ein gravierender Unterschied auf den ersten Blick deutlich: Während in der niederländischen Stadt Anfang des Jahres mehr als 238.000 Einwohner lebten, bringt es die Gemeinde Großefehn nur auf rund 14.500 Einwohner (Stand Mitte 2022). In Punkto Lebensqualität sieht Erwin Adams dennoch Parallelen. „Der Menschenschlag hier ist zufrieden und mit sich im Reinen“, ist der parteilose Bürgermeister der Gemeinde Großefehn auch ohne repräsentative Umfrage unter den Bürgern sicher. Der Fehntjer sei stolz auf sein kulturelles Erbe. „Das pflegt man. Und man lebt die Tradition.“ Das Ehrenamt, die gelebte Gemeinschaft und der große Zusammenhalt machten seine Gemeinde zu etwas Besonderem. Auch das historische Erbe werde geschätzt und bewahrt: „Die Landschaft liegt den Menschen am Herzen.“

Lohnarbeiter versus Unternehmertum

Das hätten die Fehntjer mit ihren niederländischen Nachbarn in Groningen ebenso wie der Großefehntjer Partnergemeinde Pekela in der Provinz Groningen durchaus gemeinsam. „Man versteht sich – sehr gut sogar.“ Und das nicht zuletzt sprachlich: Groninger und Ostfriesisches Platt seien nicht unähnlich. Dazu verbinde die bis heute erkennbare Grundstruktur, mit der die Ahnen dem Land durch Kanäle und Wieken ihren ganz eigenen Stempel aufgedrückt haben, die Menschen diesseits wie jenseits der Grenze. Ein Besuch im Nachbarland habe für Adams stets etwas Vertrautes: „Man fühlt sich gleich heimisch.“

In Spetzerfehn gabelt sich der Spetzerfehnkanal in Norder- und Süderwieke an einer idyllisch anmutenden Klappbrücke. Foto: Archiv/Cordsen
In Spetzerfehn gabelt sich der Spetzerfehnkanal in Norder- und Süderwieke an einer idyllisch anmutenden Klappbrücke. Foto: Archiv/Cordsen

In der Entstehung gibt es dann jedoch früh einen Punkt, der Großefehn deutlich von seinem Vorbild unterscheidet. Dort hatten Lohnarbeiter die Groninger Fehne entstehen lassen. In Ostfriesland aber war der Fehntjer schnell ein „selbstständiger kleiner Torfproduzent im Familienbetrieb“, fasst Nitz zusammen. Die oberste Schicht, die Bunkerde, wurde zunächst entfernt. Dann konnten der Weiß- und Schwarztorf abgebaut werden. Was zurückblieb, wurde mit der Bunkerde vermischt – teils auch mit einer noch tiefer gelegenen Tonschicht. So sollte eine Verbindung zum Grundwasser sichergestellt werden. Der verbliebene Untergrund wurde schließlich aufgewertet mit Dünger.

Schlamm und Fäkalien machten den Unterschied

Entscheidend war somit neben dem Abbau des Torfs der Transport in die Städte, in denen er verkauft wurde. Über das ausgeklügelte System aus Wieken, Kanälen und Flüssen fuhren die Schiffe der Fehnkolonisten zumeist gen Emden. Doch sie kehrten nicht leer zurück: An Bord hatten sie übel riechende Ladungen Stallmist, Fäkalien oder auch Schlick aus der Ems. So aber konnte der eigentlich nährstoffarme Untergrund nun zur Selbstversorgung ertragreich bewirtschaftet werden. Der Torf sorgte zunehmend dafür, dass der Handel auf dem Fehn prosperierte. Bald kamen andere Gewerke und ließen sich nieder. Dr. Lübbert Eiken Lübbers bezeichnet die Fehntjer in seinem Fachbeitrag „Ostfrieslands Seefahrt und Seefischerei“ als Pioniere: Sie erst haben die Idee der Verfehnung nach dem Vorbild Groningens mit viel Fleiß und Durchhaltevermögen Realität werden lassen. Und wie wir heute wissen auch ihre ganz eigene Version dessen erschaffen, was jenseits der Grenze entstanden war.

Der Fehntjer war nicht nur ein Pionier. Er war auch von je her ein Unternehmer, unterstreicht Kerstin Buss. Er kam mit fast nichts ins Moor – und erschuf etwas mit seinen Händen und seinem Verstand. Schnell erkannte er beispielsweise, wie essentiell ein eigenes Torfschiff für den unabhängigen Handel war. Und genau diesen Schiffen wird sich die nächste Folge unserer Serie widmen.

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