Serie „Fehntjer Geschichte(n)“ Krafttraining nach Fehntjer Art
Früher war nicht alles besser: Schiffe voll beladen mit 10.000 Stücken Torf wurden oft getreidelt, nicht gesegelt. Nicht selten hatte man darum einen tonnenschweren Kahn im Schlepptau.
Großefehn - Eines dürfte sicher sein: Vor fast 400 Jahren mussten sich die ersten Generationen Fehntjer keine Sorgen um ihre körperliche Fitness machen. Auch das, so könnte man sagen, verdanken sie dem Torf. Im Jahr 1633 wurde beschlossen, den Rohstoff abzubauen. Nach und nach ließen die Menschen sich im Moor nieder. Der Torf diente ihnen zunächst als Lebensgrundlage. Der damals kostbare Brennstoff war das Handelsgut der Fehntjer, der an Bord von Schiffen vor allem nach Emden gebracht wurde: „Die Leute heizten damit ihre Häuser, brauchten Torf zum Kochen, Backen, Braten“, erläutert Gunnar Ott. Der Verwaltungsbeamte und Auricher Kreispolitiker (Die Grünen) ist Kenner der Regionalgeschichte und Mitglied der Ostfriesischen Landschaft.
Was und warum
Darum geht es: Was wären die Fehntjer ohne ihre Schiffe? Mit der Torfschifffahrt begann Ende des 17. Jahrhunderts eine spannende Entwicklung.
Vor allem interessant für: Fehntjer und regionalgeschichtlich Begeisterte
Deshalb berichten wir: Im Rahmen der Serie „Fehntjer Geschichte(n)“ wirft die Redaktion Schlaglichter auf Besonderheiten in der Geschichte Großefehns. Es sind Ereignisse, die die 14 Ortschaften und die in ihnen lebenden Menschen zu dem gemacht haben, was sie heute sind. Die Autorin erreichen Sie unter: s.ullrich@zgo.de
Einer seiner historischen Schwerpunkte ist die Schifffahrtsgeschichte Norddeutschlands. Er ist mit den Schiffstypen der damaligen Zeit vertraut und hält Vorträge über sie. Er weiß: „Die Torfschiffe vergangener Zeiten waren für gewöhnlich Tjalken oder die deutlich kleineren Mutten.“ Schon das Stechen des Torfs war eine körperlich anspruchsvolle Arbeit. Dazu kam das Verladen. Und letztendlich der Transport. Natürlich wurde gesegelt, sobald dies möglich war. Doch das war auf den Kanälen im Binnenland längst nicht immer der Fall. Brücken und Schleusen stellten Hindernisse dar. „Meist herrschten Westwinde vor, so dass in östlicher Richtung gesegelt werden konnte“, so Ott. „Doch bei Fahrten in westliche Richtung musste getreidelt werden – eine mühsame Plackerei.“ Pferde hatten die Fehntjer normalerweise nicht: „Die konnte man sich nicht leisten.“ Immerhin waren zum Beispiel der Schiffsjunge oder die mitfahrende Ehefrau echte „Arbeitstiere“: Sie zogen die schweren Wasserfahrzeuge vom Rand des Kanals aus mit dem Tau. Der Schiffer blieb an Deck und steuerte das Frachtschiff. „Oder er quälte sich am Pultstock, um das Schiff voranzuschieben.“
Die Schiffe waren mehrere Tage unterwegs
Das Treideln hatte eine lange Tradition auf dem Fehn: „Mein Vater Karl Ott aus Großefehn, geboren 1933, erlebte noch als Kind die Torfmutjes und Tjalken auf dem Fehn. Er erzählte mir, wie mühsam das Torfstechen und Verladen war. Auch was die Schiffer für zähe Leute waren und wie beeindruckt er einmal war, als eine Schiffersfrau im Schleppgeschirr beim Treideln lag. Der Mann hinten mit Pultstock. Er berichtete, sie hätten sich wie die Ackergäule abgemüht.“ Oft war das Ladegut Torf auf dem Weg nach Emden und Schlick auf dem Rückweg. „Denn der Schlick kam auf die abgetorften Flächen, um die Qualität des Bodens zu verbessern.“ Treideln war also ein echter Kraftakt – und eine Gemeinschaftsaufgabe. Auch Otts Oma Gudrun Maaß, geboren 1903, habe ihm noch aus ihrer Kindheit in Aurich davon berichtet. Heute sieht man solche Bilder nicht mehr. „Der lange Niedergang der Fehnschifffahrt begann mit dem Eisenschiffbau“, resümiert Gunnar Ott. „Und die Kanal- und Schleusenabmessungen erlaubten keine allzu großen Schiffe. Erst ging der Torfabbau zurück, dann verschwand der Holzschiffsbau. Und nach dem Zweiten Weltkrieg gab der Lastwagen dann der Fehnschifffahrt den Todesstoß.“ Mit dem Verschwinden der kleinen Schiffe kam auch das Muskel- und Ausdauertraining in Form des Treidelns aus der Mode. Um 1960, sagt Ott, war die große Zeit der Fehnschifffahrt endgültig vorbei.
Die Mutte war Ott zufolge bis 1717 das Standardschiff auf dem Fehn. Mit einer Länge von meist etwa elf Metern und einer Breite von drei Metern konnte dieser Frachtsegler rund 10.000 Stücke Torf laden. Wichtig aber war der umklappbare Mast: Nur so konnten Brücken passiert werden. Damit fuhr der Kahn über die Flumm sowie andere Kleingewässer und Kanäle. Dr. Lübbert Eiken Lübbers beschreibt die Mutten in „Ostfrieslands Seefahrt und Seefischerei“ als „niedrige, vorn und hinten runde Fahrzeuge mit offenem Verdeck, mit einem Mast, Gaffelsegeln und mit Schwertern, die auf den Flüssen und den Watten beim Lavieren benutzt werden“. Die Spitzmutte hingegen ist fast baugleich, jedoch vorn und hinten spitz. Gefahren wurde stets mit ein bis zwei Mann Besatzung. Und die musste vorübergehend auf dem Schiff leben: „Günstigsten Falles vermag der Schiffer in drei Tagen, Verladen, Fahrt und Ausladen je zu einem Tage gerechnet, eine Schiffsladung Torf abzusetzen“, rechnete Lübbers auf. Dazu eine Tagestour für die Rückfahrt. Zusätzlich aber habe je nach Art der Rückfracht Zeit unterwegs eingeplant werden müssen.
Großefehn lag bei der Länge seiner Wasserwege vorn
Schon da war der Fehntjer somit mehr als ein bloßer Torfschiffer. „Der Einsatz der Torfschiffe war gleichzeitig der Beginn der sich stetig entwickelnden Binnenschifffahrt“, erläutert Gunnar Ott. „Aus Torfgräbern werden Schiffer“, fasst Kerstin Buss zusammen. Die Historikerin und Gästeführerin ist Vorsitzende des Fehnmuseums „Eiland“ in Westgroßefehn, das Besuchern die Geschichte Großefehns vermittelt. Die Aufgaben der Schiffe und damit auch ihre Beschaffenheit veränderten sich in den folgenden Jahrzehnten. Zuverlässige Transporte auf dem Land waren lange unmöglich. Befestigte Wege gab es kaum. „Es wurde immer das Schiff benutzt“, sagt Buss.
Die Wasserstraßen waren zwar nicht immer top gepflegt, aber dennoch gut ausgebaut. 280 Kilometer Fehnkanäle schreibt Lübbers dem Regierungsbezirk Aurich zu. Für Ostfriesland sind es fast 22 Kilometer Wasserwege je 100 Quadratkilometer Fläche. Bundesweit kommt er auf einen Schnitt von lediglich 2,3 Kilometer. Selbst Holland bleibt seinen Berechnungen zufolge mit 13,6 Kilometern Wasserwegen weit hinter den Ostfriesen.
„Die Fehntjer begannen zwar mit dem Torftransport, wandten sich aber dann auch dem Fernverkehr mit anderen Handelsgütern zu“, berichtet Ott. Grund war, dass die Landstücke zum Abtorfen und die eigenen Hofstellen nur sehr klein waren. Es waren nur wenige Hektar. Das habe kaum ausgereicht, um eine Familie zu ernähren. „Und so wurde die Seefahrt zu einem weiteren Standbein vieler Fehntjer.“ Ihre kleinsten Schiffe waren Mutten, dann folgten die Tjalken. Beides sind Plattschiffe – Schiffe mit einem platten Schiffsboden, um auch seichte Gewässer befahren zu können, fasst Ott zusammen. „Die Tjalken konnten so auch im Wattenmeer fahren.“ Doch die Fehntjer machten hier nicht halt: Sie bereisten die Küsten Europas. Und sie nahmen Handelsbeziehungen mit Nord- und Südamerika auf. „Für die eigentliche Hochseeschifffahrt aber wurden auf dem Fehn andere Schiffstypen gebaut. Neben der seit dem 18. Jahrhundert meist in der Küstenschifffahrt eingesetzten Kuff waren dies später insbesondere Briggs und Schoner. Und die gingen dann so richtig auf Weltfahrt.“ Doch das ist ein weiteres Kapitel in der wechselvollen Geschichte Großefehns und Stoff für einen neuen Teil dieser Serie.
So fing auf dem Fehn alles an
Wie die Gräben ins Moor kamen
Warum die Fehntjer es gerade und ordentlich lieben
Ein Erbstück hat Geburtstag
Wieviel Groningen steckt in Großefehn?