Analysedefizit in Niedersachsen Unterrichtsausfall – was andere Bundesländer erfassen und auswerten
Niedersachsens Schulverwaltung hat keine Ahnung, wie viel Unterricht in Ostfriesland ausfällt. Bildungsministerien anderer Länder führen Statistik. Darin steht oft mehr als die Zahl der Fehlstunden.
Ostfriesland/Hannover/Deutschland - Niedersachsens Schulgesetz beschert Kindern und Jugendlichen in Ostfriesland ein „Recht auf Bildung“. Werden die Landesregierung und die Landesschulverwaltung ihrer daraus resultierenden Pflicht gerecht, die Unterrichtsversorgung sicherzustellen? Gegenwärtig wird nicht einmal statistisch erfasst, wie viele Schulstunden ausfallen, weil Lehrer krank, auf Fortbildung, bei einer Klassenfahrt oder anderweitig verhindert sind.
Im Unterschied dazu lässt Brandenburgs Kultusministerium eine Unterrichtsausfall-Statistik führen. Die Ursachen für den Vertretungsbedarf und den nicht erteilten Unterricht sowie das Ausmaß der betroffenen Schulstunden seien „wesentlich für die interne und externe Verwaltungskontrolle“, heißt es aus Potsdam. Die Notwendigkeit begründet das Ministerium mit dem „Anspruch auf Unterricht“, den Schülerinnen und Schüler nach dem Brandenburgischen Schulgesetz haben.
Ist eher das brandenburgische Modell in Deutschland die Regel oder die niedersächsische Praxis? Unsere Zeitung hat eine Umfrage unter allen Kultus- und Bildungsministerien zum Thema Unterrichtsausfall gestartet. Außer Schleswig-Holstein und den Stadtstaaten Hamburg und Berlin haben alle geantwortet. Im Folgenden werden die Bundesländer betrachtet, die es anders machen als Niedersachsen – das sind die meisten.
Wird der Unterrichtsausfall erfasst?
Die Ministerien aus Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Bayern, Bremen und Nordrhein-Westfalen bejahen die Frage, ob sie den Unterrichtsausfall erfassen lassen. Baden-Württemberg überarbeitet nach einer coronabedingten Aussetzung gerade die Erhebung – weil angedacht sei, sie wieder einzuführen. Und in Hessen läuft „ein Projekt zu einer zukünftigen elektronischen Erfassung des aktuellen Unterrichtsausfalls“.
Wie werden ausgefallene Schulstunden erfasst?
Es gibt Unterschiede in der Erfassung des Unterrichtsausfalls. Bayern hat sich zuletzt mit einer repräsentativen Stichprobe für zehn Schularten einen Eindruck verschafft.
Thüringen macht flächendeckend eine Stichprobenerhebung – ähnlich, wie das Baden-Württemberg vor der Pandemie praktiziert hat. Dabei wird drei Mal pro Jahr eine Woche lang an staatlichen allgemeinbildenden Schulen eine „Statistik zur Unterrichtserfüllung“ erhoben – an berufsbildenden Schulen macht das Thüringen zwei Mal pro Jahr. Die Daten werden über das Internet von den Schulleitungen eingegeben.
Rheinland-Pfalz arbeitet mit zwei Systemen: „Die größeren Schulen erfassen den Vertretungsbedarf und den Ausfall von Unterricht monatlich“, berichtet das Bildungsministerium. „Die Zusammenfassung und Überprüfung durch die Schulaufsicht erfolgt hier halbjährlich und für die kleineren Schulen nach einer repräsentativen Woche im Jahr.“
Sachsen-Anhalt lässt sich über den Vertretungsbedarf und den Ausfall von Unterricht monatlich berichten. „Die Meldung erfolgt monatlich über ein Online-Formular auf der jeweiligen Schulinformationsseite“, erläutert das Bildungsministerium. „Die Schulen erhalten in Abhängigkeit der Schulferien Zeit zur Dateneingabe bis zur ersten Kalenderwoche des Folgemonats. Nach Schließung des Zeitfensters erfolgt der durch das Landesschulamt initiierte Datentransfer zur Datenzentrale. Diese stellt der obersten Schulbehörde per Datenspiegel die Rohdaten für Auswertungen zur Verfügung.“
Aus Sachsen berichtet das zuständige Ministerium: „Der Unterrichtsausfall wird in Sachsen über den gesamten Zeitraum eines Schuljahres erfasst und zwei Mal im Jahr im Internet transparent dargestellt.“ In Brandenburg läuft das ähnlich: „Die Schulen führen täglich die Unterrichtsausfallstatistik.“ Die Meldung an das Ministerium erfolge nach jedem Schulhalbjahr.
„In der Stadt Bremen werden die Daten an Schulen durch die tägliche Vertretungsplanung erfasst und sind monatlich an die Behörde zu liefern“, heißt es aus dem Büro der Bildungssenatorin. „Die Unterrichtsausfallstatistik wird von den Schulen immer zwei Wochen nach Monatsende abgegeben, danach finden noch Plausibilisierungen statt.“ Die Abgabe werde „einerseits technisch überwacht und die Schulen bei fehlenden Daten automatisch erinnert, anderseits wird bei weiterhin fehlenden Daten die Schulaufsicht eingeschaltet“.
Welche Daten werden erfasst?
„Erfasst wird in der Ausfallstatistik der Vertretungsbedarf“, erklärt Brandenburgs Ministerium. „Dazu zählen alle Unterrichtsstunden, bei denen die zuständige Lehrkraft nicht zu ihrer Stunde antritt beziehungsweise keine Lehrkraft zur Verfügung steht, also alle Stunden, die nicht planmäßig erbracht werden (wegen Krankheit, Klausuren, Prüfungen, Klassenfahrten, Fortbildung, Hitzefrei, et cetera).“ Als Differenz zwischen Vertretungsbedarf und Vertretungsunterricht ergebe sich „der tatsächliche ersatzlose Unterrichtsausfall“, erläutert das Kultusministerium. Die Daten werden „schulscharf erhoben und nach Schulformen und Schulstufen ausgewertet“.
In Sachsen-Anhalt werden nach Auskunft des Bildungsministeriums „zunächst die Ursachen für den zeitweilig nicht planmäßig erteilten Unterricht“ aufgeschlüsselt. Es stehen elf Kategorien zur Verfügung. Dazu gehören folgende Gründe für den Ausfall von Lehrkräften: „kurzfristige Erkrankung“, „Beschäftigungsverbot/Mutterschutz/Elternzeit“, „sonstige Gründe einschließlich Krankheit des Kindes“, Fortbildung, Weiterbildung, „Mitarbeit in Kommissionen“ und „Lehrkräfte sind für anderweitige schulische Veranstaltungen eingesetzt“.
Zudem wird in Sachsen-Anhalt ermittelt, „mit welchem Instrumentarium an Maßnahmen die Schulleitungen Totalausfall für den zeitweilig nicht planmäßig erteilten Unterricht verhindern konnten“. Zu den Instrumentarien gehören unter anderem Reservestunden, Klassen- und Lerngruppen-Zusammenlegungen, Lehrkräfte-Abordnungen aus anderen Schulen und befristete Einstellungen.
Das Ministerium aus Sachsen-Anhalt erläutert: „Die Angabe, wie viele Stunden letztendlich ersatzlos ausfallen mussten (Totalausfall), erfolgt nicht in Zuordnung zu den jeweiligen Ursachen.“ Das wäre laut Ministerium „ein unzumutbarer bürokratischer Aufwand für die Schulleitungen“. Deshalb werde der Totalausfall als „Summe und Quotient zum zugewiesenen Gesamtbedarf an Unterrichtsstunden“ erfasst.
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