Gedenken in Leer Ein Stück Erinnerungskultur für Leeraner Sinti
Mehr als 70 Jahre ist es her, dass die Leeraner Stadtverwaltung den Sinti einen festen Wohnort am Königskamp zur Verfügung stellte. Nun erinnert ein Gedenkstein an die Ansiedlung der Sinti.
Leer - Unter großer Anteilnahme ist am vergangenen Donnerstag der Gedenkstein am Königskamp in Leer eingeweiht worden. Die Ausgrenzung der deutschen Sinti und Roma hatte 1945 nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Befreiung der Überlebenden aus den Vernichtungslagern kein abruptes Ende gefunden. Vielerorts wurde es ihnen nicht gewährt, länger als wenige Tage an einem festen Platz zu bleiben. Zeitzeugenberichten zufolge soll die Stadt Leer mit den Sinti "weniger schlimm" umgegangen sein. Als Resultat waren sie am Königskamp in einer ersten Ansiedlung geduldet worden.
Das bedeutete allerdings nicht, dass die Lebensbedingungen sonderlich angenehm waren, erinnerte sich der ehemalige Bewohner Johann Wagner bei der Gedenkveranstaltung. Die Bleibe der Sinti befand sich direkt neben einer Müllkippe, man teilte sich einen Wasserhahn, der im Winter oft zugefroren war, erzählte er.
Zusammenarbeit verschiedener Institutionen
Der Gedenkstein ist in Zusammenarbeit des 1.Sinti Verein Ostfriesland, der Stadt Leer und der evangelisch lutherischen Kirche Leer-Emden geplant und umgesetzt worden. Durch die Corona-Pandemie war die Verwirklichung der Idee jedoch immer weiter nach hinten verschoben worden, so berichtete der Vorsitzende des Vereins, Ingo Lindemann, in seiner Rede. Nach ihm sprachen bei hohen Temperaturen noch sieben weitere Redner vor den zahlreich erschienenen Menschen, unter ihnen Sinti, Schulklassen, aber auch der Holocaust-Überlebende Albrecht Weinberg. Für die Enthüllung des Gedenksteins war zudem die niedersächsische Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne) angereist. In ihrer Rede bezeichnete sie Leer als Vorbild in Niedersachsen. Die Duldung einer Ansiedlung der Sinti sei seiner Zeit außergewöhnlich gewesen. Sie erklärte jedoch auch, dass der Gedenkstein als Mahnung an die Ereignisse des Krieges und die Ausgrenzung, die danach folgte, dienen solle.
Warum das gerade so wichtig ist, brachte André Raatzsch, Vertreter des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg, zum Ausdruck. Denn offiziell wurde der NS-Völkermord an den Sinti und Roma erst 1982 anerkannt, rund vierzig Jahre nachdem sich die Verbrechen zugetragen hatten. Raatzsch zitierte zudem den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, der im vergangenen Jahr von einer „Zweitverfolgung“ der Sinti und Roma in Deutschland gesprochen hatte. Gerade deshalb sei es wichtig, auch weiterhin für die Anerkennung der Sinti und Roma in der Gesellschaft zu kämpfen. Er formulierte zudem die Hoffnung, dass auch im nächsten Jahr viele Menschen erscheinen mögen, um Kränze niederzulegen und dem Gedenkort seine vorgesehene Funktion der Erinnerung zu verleihen. Landrat Matthias Groote stellte in seiner Rede die Bedeutung des Gedenksteins heraus. „Da ist etwas ins 'Rutschen gekommen“, konstatiert er im Bezug auf politische Debatten, weshalb es umso wichtiger sei, dass die Ausgrenzung der Roma und Sinti nicht in Vergessenheit gerate.