Krankenkassen nicht bezahlt Gericht verurteilt Ausbeuter von Emder Leiharbeitern

| | 13.09.2023 19:27 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
Jonas P. (Name geändert) leistete sich auf Kosten der Leiharbeiter ein Luxusleben. Grafik: Fischer
Jonas P. (Name geändert) leistete sich auf Kosten der Leiharbeiter ein Luxusleben. Grafik: Fischer
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Der Firmen-Chef, der in Emden Leiharbeiter ausgebeutet hat, ist am Mittwoch verurteilt worden – wegen Insolvenzverschleppung und nicht gezahlter Krankenkassenbeiträge. Wir waren mit im Gerichtssaal.

Köln - Der Saal 33 des Kölner Amtsgerichts ist schmucklos: weiße Decke und Wände, helles Holz am Richterpult, blaue Auslegeware auf dem Fußboden und an unbequeme Schulstunden erinnernde Stühle für die Zuschauer. Die schwarzen Roben von Richter, Staatsanwältin, Verteidiger und Protokollkraft passen gut in diese Verwaltungsszenerie. Der Angeklagte jedoch sticht heraus mit seinem gut sitzenden, beigefarbenen Jackett, dem weißen Slim-fit-Hemd und den hellen Sneakern. Eine Sonnenbrille hätte den Look wohl gut abgerundet. Aber Sonnenbrillen sind im Gerichtssaal verboten.

Der schwarzhaarige Angeklagte ist Jonas P. (Name geändert), der im Umfeld des Emder VW-Werks polnische Leiharbeiter ausgebeutet hat. Vor Gericht steht er, weil er Krankenkassenbeiträge nicht abgeführt und die Insolvenz seines Unternehmens verheimlicht haben soll, obwohl die Firma längst pleite war. „Das können wir etwas abkürzen“, sagt Richter Dr. Tino Vollmar, als die Staatsanwältin zur Verlesung der langen Anklageschrift ansetzt. „Fassen Sie das etwas zusammen.“ Später wird der Richter überschlagen, dass P. der AOK Rheinland-Hamburg und anderen Kassen mindestens 50.000 Euro vorenthalten habe.

„Ich habe Fehler gemacht“

Zunächst stellt der Strafrichter aber klar, dass sich Gericht, Staatsanwaltschaft und P.s Anwalt Kai Müncheberg nicht auf eine im Wirtschaftsstrafrecht nicht ungewöhnliche Verständigung, einen sogenannten Deal, geeinigt haben. Es wirkt, als wolle Vollmar die Sache schnell hinter sich bringen. Punkt für Punkt wird abgehakt: persönliche Angaben, Anklageschrift, jetzt schnell die Einlassung des Angeklagten, sofern er denn möchte. Die Hast wundert nicht: Für P.s Verfahren ist der Saal nur für eine halbe Stunde reserviert. Noch während des Prozesses kommen schon die Beteiligten der nächsten Sache in den Saal. Massenabfertigung in der Strafjustiz.

P. möchte sich äußern – und gibt direkt im ersten Satz alles zu: Ja, er habe sich als Geschäftsführer nicht um die Krankenkassenbeiträge gekümmert. Ja, die Insolvenz habe er auch nicht rechtzeitig angemeldet. „Ich habe Fehler gemacht“, sagt der Mann, der seinen Mitarbeitern in Ostfriesland den Lohn entweder gar nicht oder viel zu spät zahlte und sie in unwürdigen Verhältnissen hausen ließ. Der Grund für die Fehler: Er sei sehr jung Unternehmer geworden, dann habe er erfahren, dass er Vater werde – und dann habe Corona zugeschlagen. „Ich war überfordert, das gebe ich zu“, sagt er.

„Wie machen Sie das mit dem Geld?“

In der Pandemie habe er die Buchhaltung aus den Händen gegeben, das alles seinen Mitarbeitern anvertraut. „Ich war am Ende nur noch im Vertrieb tätig, Kunden-Akquise“, sagt er. Und ergänzt: „Zumindest bei den Kunden, die in der Corona-Zeit überhaupt noch Personal einstellen wollten.“ Er sehe ein, dass er als Geschäftsführer anders hätte handeln müssen – „aber ich zahle jetzt alles ab“. Damit meint P. monatliche Zahlungen, die er an den Insolvenzverwalter seiner Ex-Firma zahlen muss. 217.000 Euro muss er bezahlen, einer Vereinbarung zufolge je 2000 Euro monatlich. „Was ist Ihr Plan? Wie machen Sie das mit dem Geld?“, fragt Richter Vollmar.

Die Frage ist berechtigt, den eigenen Angaben bei Gericht zufolge ist P. inzwischen arbeitslos, schätzt sein Arbeitslosengeld auf 1700 Euro monatlich. Einen gewissen Luxus scheint er sich allerdings noch immer zu gönnen: Mitte Mai postete P. bei TikTok einen kurzen Video-Clip aus einem Airbus A 380 – in der Business-Class mit einem Glas Champagner in der Hand. Was die 2000 Euro, die er jeden Monat in die Insolvenzmasse einzahlen muss, angeht, habe er „familiäre Unterstützung“, wie er sagt. Und Unternehmer wolle er auf Sicht auch nicht mehr werden. In der Personal-Branche wolle er trotzdem bleiben – und seine „Expertise“ weiter einbringen, sagt er.

„Also, mir reicht das Geständnis“

So schnell wie sie begonnen hat, ist die Beweisaufnahme auch schon wieder vorbei: „Also, mir reicht das Geständnis“, sagt Vollmar. Der Richter blickt in Richtung der Staatsanwältin. Die nickt und beginnt wenige Augenblicke später mit ihrem Plädoyer: Für P. spreche sein Geständnis und dass er alles zurückzahle. Gegen ihn spreche die lange Dauer der Straftaten – die 45 Fälle der nicht gezahlten Krankenkasse-Beiträge datieren schließlich zwischen Dezember 2020 und Oktober 2022. Auch die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens hatte schon Ende 2020 vorgelegen, ohne dass diese gemeldet wurde.

Am Ende fordert die Staatsanwältin eine Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen zu je 40 Euro – also 3600 Euro. Verteidiger Müncheberg schließt sich an, und auch Richter Vollmar geht mit. Am Ende sind sich auch ohne Deal alle Beteiligten einig – und sowohl Staatsanwältin als auch P. verzichten noch im Gerichtssaal auf Rechtsmittel, womit das Urteil rechtskräftig ist. „Dann warten Sie bitte auf ein Schreiben der Staatsanwaltschaft, in dem Sie zur Zahlung der Strafe aufgefordert werden“, sagt Vollmar noch, ehe P. und Müncheberg schnell den Raum verlassen. Saal 33 muss schließlich frei gemacht werden für die nächste Sache.

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