Serie „Unser Aurich“ Als die Gräfin sich in Schirum vom öden Hofleben erholte
Schirum wird meist in einem Atemzug mit dem Gewerbegebiet genannt. Doch einer der größten Stadtteile Aurichs hat in seiner Geschichte etwas erlebt, das für einen Roman taugt.
Aurich - Felder und Äcker, so weit das Auge reicht. Dieser Blick bot sich dem Auge noch vor 30 Jahren entlang der Bundesstraße in Aurich-Schirum. Nur hier und da belebte ein langgezogenes Hofgebäude das monotone Bild. Nach Spuren der Landwirtschaft sucht man aktuell vergebens. Auf einer Fläche von 71 Hektar erstreckt sich links und rechts der Leerer Landstraße das Gewerbegebiet Schirum mit seinen derzeit 130 Firmen. Die Erschließung begann 1996. „Der Landwirt Roelf Roelfs wollte seinen Hof an der Tjüchkampstraße nicht mehr weiterführen und hat ihn zum Verkauf angeboten“, erinnert sich Ortsbürgermeister Georg Saathoff (SPD). Dieser Wunsch sei von der Stadt dankbar aufgegriffen worden. Die war auf der Suche nach einem Areal zur Ansiedlung von Betrieben. Nach Debatten in den Ratsgremien und gründlicher Planung siedelten sich rasch die ersten Firmen auf dem Gelände an.
Einer der ersten war Theo Bohlen. Der Unternehmer etablierte sich dort 1998 mit seinem Kunststoff-Recycling-Unternehmen B-Plast 2000, zunächst auf einer Fläche von 8000 Quadratmetern. Im Lauf der Jahre seien daraus acht Hektar geworden, sagt Theo Bohlen im Gespräch mit der Redaktion. Erst 2019 hat er einige Millionen Euro in den Bau seiner elften Halle investiert, weitere sind in Planung. Er sei sehr froh, so Bohlen, dass diese Expansion durch den Zukauf von weiteren Flächen unproblematisch möglich gewesen sei. Das Gewerbegebiet Schirum bezeichnet er als „Erfolgsgeschichte“. Die Lage am Stadtrand von Aurich sei ideal, der Branchen-Mix gut. Entscheidend vorangetrieben worden seien die Entwicklung und der Ausbau vom damaligen Ersten Stadtrat Hardwig Kuiper. Zu dessen offensiver Wirtschaftsansiedlungspolitik gehörte der Verzicht auf Beiträge für den Anschluss an die Abwasserkanalisation. Seit rund 25 Jahren wird Firmen, die sich in Gewerbegebieten ansiedeln, diese Gebühr erlassen. Die Stadt übernimmt die Kosten und entrichtet sie an die dafür zuständige Stadtentwässerung.
Ränkespiel erster Güte
Stichwort Wasser: Damit gab es in dem südlichen Ortsteil selten Probleme. Schirum ist ein Geestdorf. Wie auch bei Walle und Kirchdorf handelt es sich um sehr alte Siedlungsorte, die aus einzelnen Bauernstellen entstanden, wie Klaas-Frerich Lüken in seiner 1997 erschienenen Chronik schreibt. Zur Herkunft des Namens Schirum gebe es keine eindeutige Aussage. Im Volksmund werde Schirum von schkier, schier, also sauber abgeleitet. Erwähnt wird der Ort erstmals 1431 unter dem Namen Schijrna. In den Wirren des Dreißigjährigen Krieges war Schirum zeitweise Schauplatz eines aristokratischen Ränkespiels, das Stoff für historische Romane bieten könnte. Auf einer kleinen Anhöhe am Rande des Ortes lag der Mahrenholtz-Plaats, ein Gehöft, in dem eine Zeitlang Elisabeth von Ungnad gelebt hat, die schöne, aber verstoßene Geliebte des Grafen Anton Günther von Oldenburg. Sie hatte sich mit Gräfin Juliane angefreundet, der Frau des phlegmatischen und trinkfreudigen Grafen Ulrich. „Der Landsitz in Schirum war oft das Ziel einer Spazierfahrt von Juliane, die hier eine willkommene Abwechslung vom langweiligen Hofleben in Aurich fand“, heißt es in der Chronik von Lüken. Elisabeth heiratete später Johann von Mahrenholtz, einen einflussreichen Berater am Auricher Hof, der wegen einer falschen Beschuldigung angeklagt und schließlich am 21. Juli 1651 enthauptet wurde.
Man könne noch andere blutrünstige Details aus dem früheren Leben in Schirum dort nachlesen, berichtet Hinrich Heiken (SPD) im Gespräch mit der Redaktion. Der frühere stellvertretende Bürgermeister ist in Schirum aufgewachsen und deshalb eng mit der Scholle verwurzelt. In seiner Amtszeit hat er gemeinsam mit Ex-Ortsbürgermeister Hermann Ihnen (SPD) unter anderem dafür gekämpft, dass die ehemalige Gaststätte Coordes an der Timmeler Straße von der Stadt gekauft und zum Dorfgemeinschaftshaus „Coordohms Huus“ umfunktioniert wird. Es wird unter anderem vom Rassekaninchenzuchtverein Aurich von 1918 sowie der Theatergruppe Weene genutzt. Das historische Gebäude ist ebenfalls Versammlungsraum für Mannschaftsbesprechungen des Boßelvereins Fortuna Schirum-Ostersander. Dort wird auch der Maibaum aufgestellt. Korrekterweise betont Georg Saathoff, dass es in Schirum zwei Maibäume gibt. Ein weiterer wird von der Dorfgemeinschaft in Schirumer-Leegmoor aufgestellt. Beides verlaufe friedlich nebeneinander. Das war dem Vernehmen nach nicht immer so. Traditionell seien die Schirumer und die Leegmoorer sich nicht grün.
Leegmoor ist erst seit 1830 besiedelt. Wer sich dort niedergelassen hatte, musste erstmal das Moor urbar machen, eine schwere Plackerei. Dieses Arbeiter-Image haftete den Leegmoorern noch lange an. Der Legende nach mussten sich einige von den reichen Landwirten aus Schirum Geld leihen. Das schaffte Abhängigkeiten und Unmut. Doch diese Zwistigkeiten sind Schnee von gestern. Neidlos wird anerkannt, was die Leegmoorer leisten, etwa die 320 Mitglieder des KBV „Free weg“. In dem Verein werfen die Männer I, die Männer II sowie die Frauen I in der höchsten Klasse, der Landesliga.
Oder der Schützenverein „Waldeslust“ Schirumer-Leegmoor, dessen Erste Herrenmannschaft „Luftpistole“ in der 1. Bundesliga Nord mitmischt. In Schirum sei es nicht langweilig, im Gegenteil, man könne seine Freizeit sehr gut mit Aktivitäten ausfüllen, sagt Georg Saathoff. Und dazu diene eben auch das „Coordohms Huus“, auf das alle sehr stolz sind. Es gibt nur einen kleinen Wermutstropfen: Ursprünglich sollte ein großer Versammlungsraum dort als Trauzimmer dienen. Daraus wurde nichts, die Stadt lehnte ab. Doch wer weiß? Vielleicht gibt es mal einen Hochzeits-Boom. Dann wäre das Zimmer im „Huus“ sicher erste Wahl.
Unser Aurich – Schirum
Größe: 13,19 Quadratkilometer Einwohner: 1433 Ärzte: Fünf Hausärzte im 2020 eröffneten Ärztehaus im Gewerbegebiet sowie ein Arzt an der Tjüchkampstraße. Schulen/Kitas: Es gibt eine Kooperation mit Weene (Gemeinde Ihlow) Kirche: Schirum wird betreut von Pastor Kurt Booms von der Kirchengemeinde Weene. Supermärkte: Der Bäcker Konrad Weber an der Timmeler Straße bietet ein kleines Sortiment an Lebensmitteln. Sonstiges: Boßelverein Fortuna Schirum-Ostersander, Rassekaninchenzuchtverein Aurich von 1918, Rehkitzrettung