Serie „Unser Aurich“ In Wiesens sorgt die Jugend für den Spaß
Über einen Ortsteil Aurichs, der außer Supermärkten und Ärzten alles hat: Moor, Wald, Wasser und viele Gründe zu feiern.
Wiesens - Nein, Wiesens sei keines dieser typischen Auricher Straßendörfer. Das stellt Ortsbürgermeister Gerhard Wulff (Die Linke) gleich zu Beginn des Gesprächs klar. Wiesens ist gewachsen, rund um bäuerliche Höfe, mit einer Kirche im Ortskern – ein echtes Dorf eben. Als zweiter Vorsitzender des Bootsportvereins Wiesens lädt er trotzdem nicht in den malerischen Ortsmittelpunkt ein. Dabei hätte es einiges zu sehen gegeben. Dort steht immerhin eine im 13. Jahrhundert gebaute Warftenkirche mit der wohl ältesten noch betriebenen Glocke Ostfrieslands. Nebenan wachsen die in Wiesens vielzitierten 13 Eichen, die sogar dem Sportverein seinen Namen gaben. Dass es eigentlich nur zwölf Bäume sind – dazu später mehr.
Wiesens
Einwohner: 1439
Größe: 16,73 Quadratkilometer
Ärzte: keine
Bildungseinrichtungen: Kindergarten Swaalvkenüst, Grundschule Wiesens
Nahversorgung: zwei Hofläden bei Campen und Garrelts
Kirchen: Evangelisch-lutherische Johannes-der-Täufer-Kirche
Sonstiges: Bootsportverein Wiesens, Sportclub 13 Eichen Wiesens, Posaunenchor, Dorfjugend, Singkreis, Sozialverband und mehr ...
Wulff will die andere Seite von Wiesens zeigen, des kleinen Ortes am Rande Aurichs, der fünfeinhalb Kilometer Luftline vom Auricher Zentrum entfernt liegt. Dieser Ortsteil habe nämlich alles, sagt Wulff und zählt auf: Moor, Wald und Wasser. Die nasse Seite von Wiesens will er an diesem Tag zeigen, deshalb geht es zum Bootsportverein. Dort ist es windstill und die im Jahr 1884 erbaute historische Schleuse von Wiesens am Ems-Jade-Kanal spiegelt sich effektvoll im Wasser. Zwischen Wilhelmshaven und Aurich gelegen sei der Hafen ein Anlaufpunkt für Bootstouristen vom gesamten europäischen Kontinent, sagt Wulff: „Hier kommen sogar Boote aus Kroatien und Russland durch.“
Wiesens hat Moor, Wald und Wasser
An diesem Tag geht es im benachbarten Bootshaus um das, was den drittgrößten Ortsteil Aurichs ausmacht. Wulff hat zwei eingeladen, die es wissen müssen. Eine von ihnen ist Waltraud Campen, Chefredakteurin des Ortsmagazins „Dat Wiesenser Blatt“. Campen schmunzelt, eigentlich ist sie auch die einzige Redakteurin. Jedenfalls, wenn man davon absieht, dass andere Einwohner von Wiesens und Brockzetel ebenfalls Artikel für das Magazin schreiben, das dreimal im Jahr erscheint. Im Herbst 2015 wurde auf dem Dorffest die erste Ausgabe verteilt. Seitdem ist es von anfangs 20 Seiten auf inzwischen stolze 80 Seiten gewachsen. Als Redakteurin hat Campen Einblicke, die anderen verwehrt bleiben. Sie lauscht dem Puls des Ortes.
Der zweite ist Marco Garrelts als Vertreter der Dorfjugend. Dass er auch in der Feuerwehr, im Kirchenvorstand sowie im Posaunenchor ist und zusätzlich im Sportverein boßelt, erzählt er ganz nebenbei. Das sei auch nicht wichtig, findet er. Die Dorfjugend aber schon. So sieht es auch Wulff. „Es war schon in meiner Jugend vor 50 Jahren so, dass man in Wiesens auf seine Konfirmation hinfieberte“, erklärt Wulff. „Daran hat sich bis heute nichts geändert.“ Dann nämlich dürfen die jungen Wiesenser in die Dorfjugend eintreten – und das wollen alle noch immer, bestätigt Garrelts.
Nach der Konfirmation in die Dorfjugend
84 Mitglieder zählt die Dorfjugend, berichtet er deshalb sichtlich stolz. Mitmachen dürfen alle zwischen 14 und 30 Jahren. „Auch wenn sie nicht aus Wiesens kommen“, sagt Garrelts. Schließlich gebe es in den meisten Orten keine eigene Dorfjugend mehr. Die aus Wiesens sorgt noch immer dafür, dass es neben dem großen Dorffest der Dorf-Arbeitsgemeinschaft etwas zu feiern gibt: Sie organisiert die Maibaumfeier, das Osterfeuer und in diesem Jahr zum ersten Mal auch einen Weihnachtsmarkt auf dem Sportplatz des Ortes. Dafür ist sie gut ausgerüstet: „Vor zehn Jahren haben wir den ersten Grill angeschafft“, sagt Marco Garrelts. Inzwischen besitzt die Dorfjugend vier Partyzelte und sogar eigene Fritteusen.
Dass man in Wiesens, im Gegensatz zu anderen Orten, das Feiern nicht verlernt hat, zeigt für die drei im Bootshaus auch die Anzahl der noch geöffneten Gaststätten: „Wir haben den ‚Dörpkroog‘ von Drango und Mariechen Luksa und und die Gaststätte ‚Zum Sandkrug‘“, erzählt Waltraud Campen. „Wie aktiv unser Dorfleben noch immer ist, sieht man auch am Wochenende auf dem Fußballplatz“, fällt Gerhard Wulff dazu ein. Mehr als 100 Zuschauer seien es mindestens. „Da trifft sich immer das ganze Dorf.“
Von einem Wermutstropfen berichten die drei aus dem ländlich geprägten Ortsteil am Rande Aurichs allerdings: Einen Treffpunkt wie ein Gemeinschaftshaus gebe es im Ort nicht. „Die Vereine haben keinen Platz, wo sie zusammenkommen und auch einmal Dinge lagern können“, sagt Waltraud Campen. Die Landfrauen hätten deswegen schon einiges verkaufen müssen, nachdem das bis zur Corona-Zeit genutzte Privathaus als Treffpunkt nicht mehr zur Verfügung stand. Auch die Partyzelte der Dorfjugend lagern privat, bestätigt Garrelts. Einen offiziellen Treffpunkt für die Jugendlichen abseits des Sportplatzes gibt es nicht. „Das wäre ein ganz großer Wunsch von uns“, sagt Wulff.
Die Wünsche der Wiesenser
Am Ende kommen noch mehr Wünsche zusammen: darunter der dringend benötigte Radweg entlang der Landesstraße 34 in Richtung Brockzetel, wo die Autos mit 100 Kilometern pro Stunde vorbeisausen. Schön wäre auch, die lange geplante Beschilderung für eine historische Radtour durch Wiesens endlich umzusetzen oder ein Baugebiet auszuweisen, damit die jungen Wiesenser nicht wegziehen müssen. „Seit 2015 warten wir schon auf ein Baugebiet“, sagt Gerhard Wulff. Aber die Wiesenser sind geduldig und wollen am Ball bleiben.
Wie ist das nun mit den 13 Eichen, die sogar der „Sportclub 13 Eichen“, der örtliche Sportverein, in seinem Namen trägt? Die stehen vor dem Gemeindehaus nahe der Kirche und wurden zum Deutsch-Französischen Krieg gepflanzt, der von 1870 bis 1871 ging. „Zwölf Eichen für die zwölf Wiesenser, die in den Krieg gezogen sind“, erklärt Waltraud Campen. „Die dreizehnte Eiche wurde für den Kaiser gepflanzt.“ Wer die Bäume zählt, kommt jedoch nur auf zwölf. Der dreizehnte Baum, der nicht anwachsen wollte, gehört angeblich dem Wiesenser Focke Eschen Heyen Löschen, der nicht aus dem Krieg zurückkam. So jedenfalls sagt es die Legende, erklärt Waltraud Campen.