Serie „Fehntjer Geschichte(n)“ War ein Graf Seefahrtschüler in Timmel?

| | 19.11.2023 12:06 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
War Felix Graf von Luckner Schüler oder gar Absolvent der Timmeler Navigationsschule? Foto: Archiv/Ortgies
War Felix Graf von Luckner Schüler oder gar Absolvent der Timmeler Navigationsschule? Foto: Archiv/Ortgies
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Felix Graf von Luckner gilt einigen Quellen zufolge als prominentester Absolvent der Navigationsschule in Timmel. Sein Patent erwarb er allerdings nachweislich woanders. Was ist dran an der Legende?

Timmel/Halle - Felix Graf von Luckner war eine schillernde Persönlichkeit seiner Zeit. Er war Seefahrer, Weltenbummler und Freimaurer, dazu offenbar ein äußerst begnadeter Redner und Schriftsteller. Bis heute hat das Leben und Wirken des Grafen zahlreiche Spuren hinterlassen. Auch in Timmel. Denn in Ostfriesland finden sich verschiedene Quellen dazu, dass der am 9. Juni 1881 in Dresden Geborene einst der prominenteste Schüler der Seefahrtschule Timmel gewesen sei – und dort 1907 sein Kapitänspatent abgelegt habe. Einer anderen Legende nach war er 1903 zu Besuch an der Königlichen Navigationsschule und machte dort sein Steuermannspatent.

Was und warum

Darum geht es: Felix Graf von Luckner gilt als der mit Abstand prominenteste Schüler der Seefahrtschule in Timmel. Kann das sein?

Vor allem interessant für: Fehntjer und regionalgeschichtlich Begeisterte

Deshalb berichten wir: Im Rahmen der Serie „Fehntjer Geschichte(n)“ wirft die Redaktion Schlaglichter auf Besonderheiten in der Geschichte Großefehns. Es sind Ereignisse, die die 14 Ortschaften und die in ihnen lebenden Menschen zu dem gemacht haben, was sie heute sind.

Die Autorin erreichen Sie unter: s.ullrich@zgo.de

Gerhard Meyer geht in „Timmel – Chronik eines alten Dorfes“ davon aus, dass Luckner 1903 in Timmel war. Er beruft sich auf die Aussagen zweier Augenzeugen, die er für durchaus glaubwürdig hält: Die Kapitänswitwe Tete Sophia Maria Willms, geborene van Osten, habe immer wieder erzählt, „Graf Luckner hätte für längere Zeit an ihrer für Seefahrtschüler eingerichteten Kaffeetafel teilgenommen“. Doch sie ist nicht allein: Auch der Arzt Dr. Peter Siemens habe erzählt, als Junge von der Anwesenheit des Grafen an der Seefahrtschule gehört zu haben. „Im Orte selbst hört man zu meiner Jugendzeit, der Graf sei als Schüler eine Null, ansonsten ein großer Schürzenjäger und im Aushecken von allerlei dummen Streichen immer dabei gewesen.“ Meyer geht davon aus, dass Luckner in Timmel scheiterte und erst in Lübeck sein Steuermannsexamen dank Unterstützung des dortigen Direktors erhielt. Was er jedoch „in seiner schimmernden Biographie“ nicht erwähne. Luckner veröffentlichte im Laufe seines bis 1966 andauernden Lebens zahlreiche Bücher, darunter „Seeteufel: Abenteuer aus meinem Leben“. Sogar verfilmt wurden einige der Episoden.

In Timmel würden „schwerfällige Menschen“ unterrichtet

Das Kuriose aber ist: Luckner taucht offenbar in keiner Klassenliste der Königlichen Navigationsschule auf. Kein bisher aufgefundenes Dokument gebe einen gesicherten Hinweis auf die Anwesenheit des Adeligen, sagt Kerstin Buss, Leiterin des Fehnmuseums „Eiland“ in Westgroßefehn, die die alten Dokumente durchforstet hat. „Vielleicht hat er sich für kurze Zeit 1903 in Timmel aufgehalten.“ Der Graf selbst erwähnt Timmel in seiner Biografie „Seeteufel“. Wie er schreibt, habe er nach einer Schule gesucht, an der er sein Kapitänspatent ablegen könne. Nach mehreren Absagen bekam er einen Tipp von einem Oberlehrer in Flensburg: „Da riet er mir, nach Timmel bei Papenburg zu gehen, da würden so schwerfällige Menschen unterrichtet.“

Diese Fanpostkarte zeigt den Grafen von Luckner und seine zweite Frau, die Schwedin Ingeborg. Kerstin Buss fand sie in einer Sammlung von Ansichtskarten und Feldpostkarten. Sie gehörte einst ihrem Schwiegervater Andreas oder dessen Vater Harm Buß. Foto: privat
Diese Fanpostkarte zeigt den Grafen von Luckner und seine zweite Frau, die Schwedin Ingeborg. Kerstin Buss fand sie in einer Sammlung von Ansichtskarten und Feldpostkarten. Sie gehörte einst ihrem Schwiegervater Andreas oder dessen Vater Harm Buß. Foto: privat

In der Folge dieses Hinweises aber landete er offenbar in Papenburg. Erwiesen ist, dass Luckner 1903 an der Navigationsschule Lübeck das Steuermannspatent und 1907 das Kapitänspatent in Papenburg erhielt. Damit ist klar, dass die Legende, Luckner sei Absolvent der Seefahrtschule Timmel, Fiktion ist und nicht den Fakten entsprechen kann. Dass er aber zumindest für eine kurze Weile in Timmel war, scheint zumindest möglich. Selbst in der Heimatstadt des Grafen hat man bereits von Timmel gehört. In Halle wuchs Luckner auf. Dort setzt sich die Felix Graf von Luckner Gesellschaft für die Würdigung seiner Verdienste um die Stadt ein. Er verhinderte, dass die Amerikaner sie 1945 niederbombten. Darüber hinaus habe er sich sehr für die Völkerverständigung eingesetzt.

Graf Luckner nach dem Ersten Weltkrieg. Foto: Archiv/Luckner Gesellschaft
Graf Luckner nach dem Ersten Weltkrieg. Foto: Archiv/Luckner Gesellschaft

Verschweigt Luckner seine Zeit in Timmel?

Matthias J. Maurer, Präsident der Gesellschaft, war das Gerücht, Luckner habe einen Abstecher nach Timmel gemacht, durchaus bekannt. „Er konnte es aber nicht einordnen“, sagte Steffen Wendt, Referent für Öffentlichkeitsarbeit, nach Rücksprache mit dem Präsidenten und Kenner der Luckner-Historie. Auch der Archivar war auf die Anfrage unserer Zeitung hinzugezogen worden. Der Verein verfügt nicht nur über eine Sammlung zahlreicher Dokumente und einen umfassenden Schatz an Wissen über Luckner. Er betreibt zudem ein Museum und setzt sich für den Erhalt der ehemaligen Schiffe des Grafen ein. Im Archiv der Geschichtsbegeisterten fänden sich unzählige Schriftstücke, darunter viele Schriftwechsel des Grafen. „Da tauchen Namen auf, die kennen wir gar nicht“, erläutert Wendt.

Ein Schild am Eingang der Timmeler Seefahrtschule weist noch heute auf die Geschichte des Gebäudes hin. Foto: Archiv/Ullrich
Ein Schild am Eingang der Timmeler Seefahrtschule weist noch heute auf die Geschichte des Gebäudes hin. Foto: Archiv/Ullrich

Luckner war Seeoffizier und kam im Alter von 16 Jahren zur Seefahrt. Er habe viel geschrieben und sich als Schriftsteller einen Namen gemacht. Längst nicht alles im Besitz der Luckner-Gesellschaft ist, Stand heute, erforscht und digitalisiert, ergänzt Wendt. Zudem gelänge es der Gesellschaft immer wieder, die Sammlung zu ergänzen. Und diese neuen Stücke brächten dann teilweise neue Erkenntnisse. Wendt hält es keinesfalls für ausgeschlossen, dass Luckner sich eine Weile in Timmel aufhielt. „Er ist ein Erzähler“, gibt er zu bedenken. Längst nicht alles aus dem Leben des Grafen ist von ihm selbst oder gar anderen lückenlos dokumentiert. „Was er gern möchte, schmückt er aus. Aber es gibt auch Dinge, die er auslässt.“ Möglicherweise sei es eine Episode, die ihm nicht wichtig genug war, merkt er an. Oder die, wie hingegen Meyer anmerkt, schlichtweg nicht ins Image des „Seeteufels“ passt.

Kerstin Buss verfügt über eine umfangreiche Sammlung alter Bücher. Auch ein von Felix Graf von Luckner signiertes Buch befindet sich in ihrem Besitz. Es liegt im Fehnmuseum „Eiland“ in Westgroßefehn. Foto: Archiv/Ullrich
Kerstin Buss verfügt über eine umfangreiche Sammlung alter Bücher. Auch ein von Felix Graf von Luckner signiertes Buch befindet sich in ihrem Besitz. Es liegt im Fehnmuseum „Eiland“ in Westgroßefehn. Foto: Archiv/Ullrich

Der Mann, der 1953 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde und den der US-Amerikaner Eugene F. McDonald im Jahre 1956 für den Friedensnobelpreis vorschlug, schrieb Wendts Einschätzung nach auch über andere Kapitel seines Lebens nicht: Beispielsweise sei da der Vorwurf der Pädophilie – nachdem Luckner ins Visier der Nationalsozialisten geraten war, weil er sich unkooperativ verhielt, sagt zumindest Wendt. Fakt ist: „Luckner ist eine spannende Person.“ Er habe federführend mit den Amerikanern verhandelt, als die Halle am Ende des Zweiten Weltkriegs bombardieren wollten. Luckner war in den USA kein Unbekannter: Ab 1926 hielt er eine Vielzahl von Vorträgen, erlangte internationale Popularität und verkaufte dort in der Folge seine Memoiren millionenfach. Luckner und seine Unterstützer verhandelten Wendt zufolge äußerst erfolgreich: „Halle war nach dem Krieg die am besten erhaltene deutsche Stadt.“

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