Serie „Fehntjer Geschichte(n)“ Wie ein Zehnjähriger erleuchtet und voller Freude starb
Jonas Eilers verstand es 1778, die Menschen mit dem Wort Gottes in seinen Bann zu ziehen. Das Wirken des Kinderpredigers von Timmel war kurz: Der „Prophet Jonas“ starb im Alter von nur zehn Jahren.
Timmel - Auch wenn es vielleicht unglaublich klingt: Ein Zehnjähriger schaffte es im Sommer 1778, ganz Timmel in seinen Bann zu ziehen. Jonas Eilers, zeit seines Lebens ein kränkliches und schwächliches Kind, lief einen Monat vor seinem Tod zu Höchstform auf. Aus einem sterbenden Jungen mit einem schiefen Kopf wurde binnen eines Tages „ein großer Prophet“. So schrieb es sein Seelsorger, der Pastor Rudolph Heinrich Taute, einst nieder. Er hatte von seinem Amtsbruder Hagius zuvor auf Reisen einen Brief erhalten, in dem dieser vom „Prophet Jonas“ schwärmte – und damit den offenbar vollkommen veränderten Jungen beschrieb, den Taute eigentlich längst kannte, aber nun kaum wiederzuerkennen vermochte.
Aus Jonas Eilers war am 23. Juni 1778 ein Junge geworden, der den Herrn lobte und Buße predigte, wie es Pastor Hagius dem eigenen Versichern nach nie werde tun können. Hagius wurde Zeuge dieser Wandlung und informierte Taute über die Entwicklung in einem Brief. Was die Veränderung bewirkt habe, fasste der Junge selbst den Überlieferungen Tautes zufolge in diese Worte: „Das Kindlein Jesu ist in mir geboren.“ Eine spirituelle Erfahrung machte aus dem todkranken Jonas Eilers den Propheten Jonas. Er wurde erleuchtet – und wurde kurzzeitig ein geachteter Prediger, der über Buße sprach. Hagius riet Taute, seine Reise schnell zu beenden und nach Timmel zurückzukehren. „Ganz Timmel ist darüber bewegt“, hieß es. Er höre ihm fast täglich zu, gemeinsam mit vielen anderen. Am Sonntagnachmittag sei das Haus der Eltern Eilert und Maria Janssen voll gewesen – alle Gäste lauschten dem Wort Gottes aus dem Mund dieses Kindes und sangen mit ihm Verse von Kirchenliedern.
Gedenktafel in der Kirche erinnert an Jonas Eilers
Heute erinnert eine Gedenktafel im hinteren Bereich des Kirchraums der evangelisch-lutherischen Petrus-und-Paulus-Kirche Timmel an das kurze, aber dennoch eindrucksvolle Wirken des Kinderpredigers. Pastor Taute war so fasziniert von den Vorgängen um den Jungen, dass er Aufzeichnungen machte. Er hielt die Geschichte von Jonas Eilers fest. Das kleine Buch war über Jahrzehnte hinweg vergriffen, zuletzt laut Informationen des Kirchenkreises Aurich in der vierten Auflage aus dem Jahr 1881. Was oft bedauert wurde. „Für die alteingesessenen Timmeler ist das eine ganz wichtige Geschichte“, weiß der Timmeler Pastor Christoph Schoon. Auch im Konfirmandenunterricht und bei Kirchenbesichtigungen gebe es teilweise großes Interesse an den außergewöhnlichen Begebenheiten. 2003 entschloss sich der Kirchenvorstand anlässlich des 225. Todestages von Jonas Eilers, eine Neuauflage von „Ob eine Brieftaube lesen kann?“ herauszugeben. Sie ist in der Kirche erhältlich.
Hans-Jürgen Sträter begab sich vor Jahren genau dort auf Spurensuche. Er hatte einen Tipp von jemandem bekommen, dass er dort eine außergewöhnliche Geschichte finden könne. „Er hat mich gezielt auf diese Spur gelockt“, erinnert er sich. Sträter lebte bis vor zwei Jahren in Wiesmoor. Dort gründete er 2007 den Adlersteinverlag. Zunächst verlegte er nebenberuflich seine eigenen Bücher, später auch die anderer Autoren. Bis heute liegen die Schwerpunkte der im Adlersteinverlag erschienenen Werke unter anderem in der Regionalgeschichte Ostfrieslands – das hat sich auch nach seinem Umzug nach Braunschweig aus familiären Gründen nicht geändert – sowie der hiesigen Kirchengeschichte.
Jonas Eilers und das Senfkorn
Sträter befasste sich unter anderem mit dem Werk von Pastor Taute. Der schrieb, Jonas sei von Geburt an „durch viele Leiden gegangen“. Er habe eine Bandbreite von Erkrankungen durchlebt, darunter Gicht und hitzige Fieber, „wovon ihm auch der Kopf ganz auf die Seite gezogen“. Taute sah es offenbar als seine Aufgabe an, die Geschichte „Von dem Gnadenwerk Gottes“ zu verbreiten und für die Nachwelt festzuhalten, wenn er sie auch selbst als „selten und merkwürdig“ einordnet. Wie wir heute wissen, ist ihm dies recht gut gelungen. Spuren göttlicher Vorsehung hätten ihn dazu bewogen. Sträters Wissensdurst war geweckt: „Dann hab ich die Großefehntjer Kirchengeschichte ausgegraben“, sagt er rückblickend. Das Ergebnis dieser umfangreichen Recherche verlegte er mit „Ein Senfkorn für die Welt – Die Glaubensfrüchte des Kinderpredigers Jonas Eilers aus Timmel in Ostfriesland“ im Jahr 2013 in seinem Verlag.
Sträter geht davon aus, dass das Wirken Jonas Eilers′ weite Kreise gezogen haben könnte. Er sei das „Ur-Senfkorn“ gewesen, aus dem ein wunderbarer Glaubensbaum erwachsen sei. „Das hat ausgestreut“, ist Sträter überzeugt. Das Senfkorn ist zumindest im biblischen Kontext das kleinste aller Samenkörner und aus ihm soll ein Baum erwachsen. Biologisch betrachtet ist das nicht zutreffend. Aber die Saat steht für eine kleine Ursache, aus der etwas Großes erwachsen kann. Schon Jesus verwendete dieses Gleichnis. Es symbolisiert die Hoffnung. Sträter begleitet in seinem Buch den Lebensweg des Seelsorgers Taute bis zur Mitbegründung 1798 der Missionssocietät vom Senfkorn, dem laut Kirchengemeindelexikon ältesten Missionsverein in Deutschland.
Jonas Eilers starb „in Freudigkeit“
Doch damit nicht genug: Weitere Namen, darunter der von Johann Heinrich Leiner oder Johannes Evangelista Goßner tauchen in Sträters literarisch angestellten Überlegungen auf. „Mich brachte es auf ganz neue Fährten, die mir unbekannt waren. Ich habe recherchiert, dass sich die Balken biegen.“ Kann es also sein, dass teils globale Bewegungen ihren geistigen Ursprung zumindest teilweise in Großefehn hatten? Missionen spielen in der Geschichte Großefehns eine nicht unerhebliche Rolle. „Vor 100 Jahren hatte Großefehn den Ruf, dass dort eine ungewöhnlich fromme Klientel lebt“, weiß der 70-Jährige.
Fromm war auch Jonas Eilers vor gut 250 Jahren. Als der am 23. Juli 1778 im Alter von nur zehn Jahren starb, lag seine Erleuchtung genau einen Monat hinter ihm. Ein Monat voller Predigten, voller vollmundiger Worte über die Kraft Gottes und voller Gesang. Er sei ein Gotteskind, das nun „in Freudigkeit sterben könne“. Das tat er schließlich im Beisein seiner Eltern und Pastor Tautes. Eine große Trauergemeinde nahm später Abschied von dem außergewöhnlichen Kind – und sang ihm ein letztes Lied. Die Erinnerung an Jonas Eilers ist in Timmel noch immer lebendig. Für 2024 ist sogar ein spezieller Jonas-Eilers-Gottesdienst in Planung, berichtet Pastor Schoon.
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