Serie „Fehntjer Geschichte(n)“ Großefehn – wo Frauen schon immer ihren Mann standen
Der fordernde Alltag auf dem Fehn machte Frauen stark und unabhängig. Sie hielten ihre Familien und deren Finanzen zusammen, ihrem Mann den Rücken frei. Einige Frauen fuhren sogar zur See.
Großefehn - Mehr als 800 Jahre Friesische Freiheit haben Spuren hinterlassen. Das steht für Rico Mecklenburg fest. „Eine gesellschaftliche Ordnung, in der das weibliche Geschlecht benachteiligt wird, wurde auch in den vergangenen Jahrhunderten von starken Frauen Ostfrieslands nicht akzeptiert. In Anlehnung und Bewusstsein der Friesischen Freiheit fühlten sie sich frei und gleichberechtigt“, stellte der Präsident der Ostfriesischen Landschaft anlässlich des Oll’ Mai 2018 fest. Der stand unter dem Motto „Frauenleben in Ostfriesland“.
Das gilt wohl kaum irgendwo so sehr wie auf dem Fehn. Hier lebten schon vor 400 Jahren Frauen, die ihren Mann standen. Frauen wie die Schifferfrauen, die Torf stachen oder auf dem Feld ackerten und die Ernte einbrachten, während ihre Männer mit den Torfmutten unterwegs waren. Die Rollenverteilung war aus heutiger Sicht modern: Die Frau tat, was getan werden musste. Sie organisierte Familie, Haus und Hof. Die Fehntjerin zog eine ganze Schar Kinder sozusagen im Alleingang groß. Sie hatte die Finanzen der Familie im Blick und packte an. Sie trug in der Abwesenheit ihres Mannes die alleinige Verantwortung, berichtet Gunnar Ott. Das Auricher Rats- und Kreistagsmitglied ist Kenner der Regionalgeschichte und Mitglied der Ostfriesischen Landschaft. „Nicht umsonst galten und gelten friesische Frauen als besonders selbstbewusst.“
Frauen leisteten schwere körperliche Arbeit
Doch einige Fehntjerinnen verließen auch Haus und Hof, um den Lebensunterhalt ihrer Familie zu sichern. Manche Frauen fuhren gemeinsam mit ihren Männern zur See, weiß Ott. Dokumentiert ist dies selten. „Es gibt keine richtigen Quellen“, bedauert Kerstin Buss. Die Leiterin des Fehnmuseums „Eiland“ in Westgroßefehn ergänzt: „Nur die wenigen Lebensbilder.“ Manches ist also überliefert. Vieles aber wohl nicht. „Das ist nicht untersucht worden.“ Das könnte Ott zufolge daran liegen, dass die Geschichtsschreibung meist in männlicher Hand lag. Was als gesichert gelten dürfte, ist, dass sich Fehntjerinnen regelmäßig beim Treideln ins Zeug legten.
Wenn das Schiff nicht mit dem Segel vorangebracht werden konnte, musste es vom Land aus gezogen werden. Auf den Kanälen im Binnenland war das oft so. Das Treideln war eine mühsame Plackerei. Pferde, die in anderen Gegenden in solchen Fällen zum Einsatz kamen, hatten die meisten Fehntjer nicht. Also mussten der Schiffsjunge oder die mitfahrende Ehefrau sich ins Schleppgeschirr werfen. Das war körperlich anspruchsvoll. Sie haben die großen Entwicklungen von Fehn und Schifffahrt möglich gemacht.
In Hamburg verpönt, auf dem Fehn Pflicht
Ende des 18. Jahrhunderts waren Schiffsbau und Schifffahrt zum Haupterwerbszweig der Fehntjer geworden. Um 1840, so hat es Karl-Ernst Behre in „Ostfriesland – Die Geschichte seiner Landschaft und ihrer Besiedlung“ festgehalten, waren in einigen Fehnsiedlungen die Schicksale von 90 Prozent der Menschen mit der Schifffahrt verknüpft. Neben den Seeleuten und deren Familien waren dies Handwerker wie Seildreher, Segelmacher, Schiffszimmerleute, aber auch Bäcker, Böttcher Schmiede und Tischler. Die Seefahrt hatte ihre ganz eigenen Regeln fürs Fehn geschrieben.
Die Rolle der Frau an Bord war je nach Region ganz unterschiedlich, fand Dr. Ursula Feldkamp heraus. In Hamburg sei es im 19. Jahrhundert verpönt gewesen, wenn der Kapitän seine Frau mit auf das Schiff nahm. In Ostfriesland hingegen wurde es erwartet, dass die Gattin bei Bedarf auch auf hoher See dabei war und vor allem kräftig anpackte. „Waren die Kinder noch nicht schulpflichtig und hatten die Frauen keine Stelle zu versorgen, so konnten sie ihre Männer eine Zeitlang zur See begleiten“, gab die Historikerin zum Oll’ Mai Einblicke in ihre Forschungsergebnisse. Zumeist aber blieben die Frauen an Land, während die Seefahrer unterwegs waren: Zu viel Arbeit musste schließlich auch dort erledigt werden.
Briefe lassen Rückschlüsse auf Lebensbilder zu
Viele interessante Einblicke in die Vergangenheit hat Feldkamp durch die Auswertung verschiedener Schriftwechsel und Seefahrtsbücher erhalten. Die veröffentlichte sie auch in „Frauen an Bord von Frachtsegelschiffen 1850 bis 1939 in autobiografischen Quellen“, erschienen im Oceanum-Verlag in Bremen. Feldkamp war viele Jahre im Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. Schwerpunktmäßig hat sie die Geschichte der Schifffahrt, bis heute eine Männerdomäne, aus weiblicher Sicht erforscht. Die von ihr untersuchten Quellen belegen: Nicht wenige Frauen lebten erwiesenermaßen mit ihren Familien an Bord kleiner Küstensegler, einige auch auf großen Frachtsegelschiffen. Während sie auf kleinen Schiffen sowohl Haushalt als auch Matrosenarbeit machten, seien sie auf großen Seglern vor der Besatzung verborgen gehalten worden.
Eine Fehntjerin hätte sich dies möglicherweise nicht gefallen lassen. Der Unterschied hier jedoch war wohl, dass auf dem Fehn die Schiffe ein Familienunternehmen waren und die Frauen damit nicht als Personal angeheuert wurden. Und doch ist nur wenig über die starken Frauen bekannt, die gemeinsam mit ihren nicht weniger starken Männern ein karges Fleckchen Land mitten in Ostfriesland zu Blüte und Wohlstand brachten. „Reisende des 18. Jahrhunderts berichteten, dass Fehntjerinnen ihre Säuglinge bei der Arbeit auf dem Rücken gebunden trugen, ferner, dass Frauen wie Männer in den Fehnen seit ihrem fünften Lebensjahr strickten“, berichtete Feldkamp.
Fehntjer forderten früh eine eigene Schule
Während die Männer hier strickten, gingen die Mädchen zur Schule. Neben der schieren Notwendigkeit dürfte auch die Bildung ein wichtiger Aspekt in der Gleichberechtigung von Mann und Frau in vielen Lebenslagen auf dem Fehn sein. Gräfin Anna hatte 1545 die Schulpflicht für Ostfrieslands Kinder eingeführt. Kerstin Buss geht davon aus, dass die jungen Fehntjerinnen die vollen acht Schuljahre absolvieren durften. Mit Sicherheit kann dies aus den Anfangsjahren nicht belegt werden. „Es ist nie untersucht worden“, bedauert sie. Die erste Schule in Großefehn gab es nachweislich bereits vor 1715.
Bis 1672 hätten Tagelöhner das Fehn erschlossen, skizziert Buss. Erst danach kamen die ersten Siedler. Nur rund 40 Jahre darauf forderten die Fehntjer selbstbewusst eine eigene Nebenschule. Der Leitspruch „Dem Ersten sein Tod, dem Zweiten seine Not, dem Dritten sein Brot“, bekannt aus der Besiedlung der Moore, könne darum auf Großefehn nicht zutreffen, ist sie sicher. Die Fehntjer waren offenbar nach nur einer Generation schon so gefestigt, dass sie sich über die Bildung ihrer Kinder Gedanken machten.
Gleichberechtigt in nicht allen Lebenslagen
Darüber hinaus fänden sich Beweise dafür, dass Fehntjerinnen lesen, schreiben und rechnen konnten, führt Buss aus. Ein Teil der Briefwechsel von Männern, die zur See fuhren, sind erhalten. Dort nehmen sie Bezug auf die Briefe ihrer Frauen. Briefe der Frauen aber scheint es nicht mehr zu geben. Auch gibt es Hinweise auf viele tüchtige Fehntjerinnen, die nach dem Tod ihrer Männer nicht erneut heirateten, fand Feldkamp heraus. „Diese Frauen hatten während der Abwesenheit ihrer Männer gelernt, wie man ein Geschäft führt und wie sie sich durchsetzen konnten.“ Sie meint, das hatte einen ganz wichtigen Grund: „Witwen waren relativ frei und konnten zum Beispiel das Geschäft ihres verstorbenen Mannes allein weiterführen.“
Sie sieht in den gesellschaftlichen Zwängen der damaligen Zeit und dem wirklichen Leben auf dem Fehn einen krassen Gegensatz, denn „solange sie verheiratet und nicht vermögend waren, hatten Frauen in der Öffentlichkeit keine Stimme“. Zugleich aber standen sie mitten im Leben. Ein echtes Dilemma, meint Feldkamp: „Frauen in Seefahrerfamilien waren somit einem Wechselbad von völliger Autonomie und Abhängigkeit ausgesetzt, wenn die Männer nach Hause kamen.“
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