OZ-Volontärin auf See Ein Tag an Bord bei den Seenotrettern auf Borkum
Rund um die Uhr leben und arbeiten die Seenotretter auf dem Rettungskreuzer „Hamburg“ auf Borkum. Jederzeit muss die Besatzung einsatzbereit sein. Wir haben sie einen Tag lang begleitet.
Borkum - Es ist diesig an einem der letzten Novembertage auf Borkum. Der graue Himmel setzt sich farblich kaum von der See ab, die Bäume am Rand des Schutzhafens tragen nur noch wenige Blätter. Irgendwo schreit eine Möwe, ansonsten ist es still im Hafen, der etwa fünf Gehminuten vom Fähranleger entfernt liegt. Beinahe geräuschlos schwappen leichte Wellen gegen die Ponton-Brücke II. An deren Ende liegt der Seenotrettungskreuzer „Hamburg“. In der trüben Umgebung fällt der Blick schon von weitem auf den orange-roten SAR-Schriftzug am Bug des Schiffs. Von außen deutet nichts darauf hin, dass im Inneren vier Männer ihrer Arbeit nachgehen, während der Kaffee in der Kombüse kocht und das Radio läuft.
In dieser Woche leben und arbeiten die Nautiker Michael Haack, Stephan Borowski, Tilman Hellberg und der Schiffsmaschinist Wilm Willms auf der „Hamburg“. In der Messe, dem Wohn- und Aufenthaltsraum der Besatzung, sitzen sie gegen 10 Uhr an einem rechteckigen Tisch, vor ihnen stehen dampfende Kaffeetassen. „Wir führen hier ein ganz normales WG-Leben“, sagt Stephan Borowski, der stehend mit Tasse in der Hand am Türrahmen lehnt.
Die Deutsche Gesellschaft zu Rettung Schiffbrüchiger
Der Seenotrettungskreuzer „Hamburg“ gehört mit dem Tochterboot „St. Pauli“ zur Flotte der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS). Die Seenotretter sind zuständig für den Such- und Rettungsdienst im Seenotfall in den deutschen Gebieten von Nord- und Ostsee. Die meisten der etwa 1000 Seenotretter sind Freiwillige. Ausschließlich spendenfinanziert, beschäftigt die Gesellschaft darunter 180 Festangestellte. Die DGzRS unterhält rund 60 Rettungseinheiten, die an 55 Standorten von Borkum im Westen bis zur Pommerschen Bucht im Osten stationiert sind.
Wohngemeinschaft auf Zeit
Die vier Seenotretter sind Festangestellte der DGzRS. Auf Borkum erstreckt sich ihr Einsatzgebiet über den westlichsten Teil der deutschen Bucht. Die Seenotretter der DGzRS arbeiten in 14-Tage-Schichten. Das bedeutet, dass sie zwei Wochen am Stück an Bord im Dienst sind. Anschließend haben sie zwei Wochen frei. Alle sieben Tage ist Schichtwechsel. Dann verlassen zwei Retter das Schiff und zwei andere übernehmen den Dienst.
Sie dürfen in dieser Zeit das Schiff zwar verlassen, müssen aber bei einer Alarmierung innerhalb von fünf Minuten zurück an Bord sein. „Die Entfernung reicht für eine kleine Laufrunde am Hafen“, sagt Wilm Willms. Der Hauptarbeitsplatz des 58-Jährigen befindet sich im Maschinenraum der „Hamburg“. „Achtung, nicht den Kopf stoßen und die Stufen rückwärts nehmen“, warnt der Mechaniker vor dem Weg in den unteren Teil des Schiffs.
Arbeiten im Maschinenraum
Viel Bewegungsfreiheit bietet der Maschinenraum des 28 Meter langen Rettungskreuzers nicht. Inmitten der verbauten Technik, der Selbstaufrichter (siehe Glossar) wird von zwei MTU-Dieselmotoren mit einer Leistung von 3916 PS angetrieben, steht eine kleine Werkbank für Wartungs-und Reparaturarbeiten. Willms ist für Kontrollen von technischen Geräten, Prüfen des Öltanks und die Gerätewartungen zuständig. „Es gehört zu den Aufgaben der Seenotretter dazu, die Schiffe in Stand zu halten“, sagt der 58-Jährige. Wartungsintervalle müssten eingehalten werden, das erfordere Engagement.
Rettungsleitstelle See in Bremen koordiniert Einsätze
Während Willms flink über die schmalen Leitersprossen aus dem Maschinenraum heraussteigt, ist im Eingangsraum des Schiffs die Stimme von Michael Haack zu hören. Dumpf schallt sie aus dem Deckshaus nach unten. Der Vormann telefoniert mit der Rettungsleitstelle See in Bremen. Dort werden rund um die Uhr der internationale Notrufkanal 16 überwacht und die Rettungseinsätze koordiniert. Bei den Kollegen in der Leitstelle meldet Haack eine kleine Kontrollfahrt an diesem Vormittag an.
Wenige Minuten später steuert er die „Hamburg“ dann aus dem Borkumer Schutzhafen raus auf die See. Neben den Einsatzfahrten finden in unregelmäßigen Abständen noch sogenannte Kontrollfahrten statt. Dabei vertiefen die Seenotretter ihre Revierkenntnisse oder überprüfen technische Einrichtungen. Ohne Grund fahren die Seenotretter nicht raus.
Entspannte Stimmung an Bord
Haack sitzt nun am linken der beiden Steuerstände vor dem Radarbild. Verschiedene Funkanlagen, Mess- und Navigationssysteme sind in dem hochtechnisierten Schiff auf der Brücke verbaut. Trotz modernster Geräte: einen traditionellen Kartentisch gibt es zusätzlich auf der Brücke – für alle Fälle. Wilm Willms hat an einem der beiden hinteren Plätze auf der Brücke Platz genommen. Von dort kann der Maschinist die gesamte Maschinenanlage des Schiffs überwachen und schalten. Die Seeretter bewegen sich entspannt und routiniert auf dem Schiff. Dabei strahlen sie eine tiefe Ruhe aus. So ist spürbar, dass sie mit dem Rettungskreuzer und auch untereinander vertraut sind.
Kaum fährt die „Hamburg“ an der verlassenen Seehundbank vor Borkum vorbei, prasseln Regentropfen gegen die Fensterscheiben des Deckshauses. Die Scheibenwischer surren leise, auf der Brücke ist es gemütlich warm.
Hochsaison der Seenotretter im Sommer
Neben der Suche nach und der Rettung von Schiffbrüchigen zählen Krankentransporte zum Festland oder technische Hilfeleistungen zu den Aufgaben der Seenotretter. „Das sind immer schöne Momente; wenn wir zum Beispiel eine Yacht aus der Brandung ziehen und sich im Nachhinein die Leute freuen“, sagt Willms. Da wisse er, er mache „genau das Richtige“. „Technische Hilfeleistungen sind unsere häufigsten Einsätze“, stellt Michael Haack fest. Die meisten Notrufe gibt es im Sommer. „Der Peak ist im September zur Hochsaison der Freizeitsportler“, sagt Tilman Hellberg. Seenotfälle, bei denen Menschen aus dem Wasser gezogen werden müssen, seien selten, ergänzt Haack.
Zurück im Schutzhafen: Es dauert nur wenige Minuten, dann ist die „Hamburg“ an ihrem Liegeplatz vertäut. Mit geschickten Handgriffen befestigt ein Teil der Besatzung die Leinen am Schiff.
Kurze Zeit später ertönt Borowskis Stimme aus der Kombüse: „Essen ist fertig!“ Der Mittagstisch ist gedeckt: Es gibt Penne mit Gemüse und Hackfleisch, dazu Salat. Im täglichen Wechsel übernimmt eines der Besatzungsmitglieder die Verpflegung an Bord. Geht man sich gegenseitig auf die Nerven auf so engem Raum? „Ja“, antwortet Borowski prompt und grinst.
Kaum sind die Männer mit dem Mittagessen fertig, klopft es an der Bordwand: Ein Praktikant der Wasserschutzpolizei steht vor der Tür. Er meldet sich zu einer Besichtigung auf dem Rettungskreuzer. Auch solche Termine gehören zum Arbeitsalltag der Seenotretter. Für den Nachmittag steht noch eine Winschübung im Kalender. Langweilig wird es an Bord nie.
Glossar
Bug: Der vorderste Teil eines Schiffs
Deckshaus: Der Aufbau auf dem Deck eines Schiffs
Kombüse: Küche auf einem Schiff
Nautiker: Nautik beschreibt die Lehre und Wissenschaft der Schifffahrt. Neben dem Kapitän sind Nautiker für die sichere Überfahrt eines Schiffs verantwortlich.
SAR: SAR ist die weltweit einheitliche Abkürzung der englischen Wörter „Search And Rescue“, auf deutsch „Suche und Rettung“
Selbstaufrichter: Ein Schiff, das aufgrund seiner Konstruktion nach dem Kentern in seine normale Schwimmlage zurückfindet
Vormann: Die traditionelle Bezeichnung der DGzRS für den Vorgesetzten aller Besatzungsmitglieder einer Rettungseinheit. Die Tätigkeit des Vormanns ist vergleichbar mit der eines Kapitäns.
Winschen: Beim Winschen werden Personen oder Materialien über eine Seilwinde von einem Hubschrauber transportiert. Im Notfall können so Rettungssanitäter oder verletzte Personen schnell von Schiffen oder Gebäuden aufgenommen oder abgelassen werden.