Weihnachtsaktion 2023 Reporter testet – blind von der Bahn zum Bus
Reporter Lukas Münch macht den Selbsttest: Wie ist es am Leeraner Bahnhof blind zu sein? Wie einfach kommt man von der Bahn zum Bus? Auf ihn wartet eine ekelerregende Überraschung.
Ostfriesland - Von A nach B zu kommen, kann ohne ein Auto in Ostfriesland durchaus herausfordernd sein – etwa, wenn man eine längere Strecke mit dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zurücklegen muss. Blinde Menschen haben, wenn sie nicht von anderen gefahren werden, gar keine andere Option, als den Bus oder die Bahn zu nehmen.
Reporter Lukas Münch ist daher den Selbsttest angetreten: Wie ist es, ohne sehen zu können, aus der Bahn am Leeraner Bahnhof zu steigen und auf direktem Wege in den Bus am Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) vor dem Bahnhof zu kommen? Als Assistenz steht ihm Andrea Sweers zur Seite, Sozialarbeiterin beim Blinden- und Sehbehindertenverband Niedersachsen (BVN). Der BVN in Ostfriesland ist der Begünstigte der diesjährigen Weihnachtsaktion der Ostfriesen-Zeitung und des General-Anzeigers.
OZ+GA-Weihnachtsaktion 2023
Spendenzeitraum: Ab dem 22.11.2023 bis Anfang 2024
Spendenkonto: Ein Herz für Ostfriesland gGmbH
IBAN: DE28 2859 0075 0011 1112 01 Ostfriesische Volksbank eG
Stichwort: OZ+GA-Weihnachtsaktion 2023 Die Spendernamen werden veröffentlicht. Wer dies nicht möchte, vermerke das bitte. Die Verwaltungskosten werden von der Zeitungsgruppe Ostfriesland getragen. Bei Beträgen ab 199 Euro kann per E-Mail an info@einherzfuerostfriesland.de eine Spendenquittung beantragt werden.
Die erste Tücke wartet nicht: Ausstieg Gleis 2
„Geradeaus über die Streifen geht’s eigentlich“, sage ich und stoße dabei beinah mit jemandem zusammen. Sehen kann ich die Fast-Kollision zwar nicht, aber ich spüre sie irgendwie. Andrea Sweers bestätigt: Ja, das war knapp.
Nun donnert ein Zug durch den Bahnhof. Ich lasse mir sagen, dass er mit Autos beladen sei. Für einige Momente versteht man sein eigenes Wort nicht, und durch die Blindheit wirkt alles lauter, als man es als Sehender von Güterzügen gewohnt ist. Ich merke, wie mein Stresslevel und mein Herzschlag in die Höhe schnellen.
„Geräusche sind auch ein Thema für sich. Man ist als blinde Person sehr abhängig davon, und dennoch gibt es Orte, wo einfach keine Ruhe oder Stille herrscht. Hier am Bahnhof etwa“, sagt Sweers. Man sollte darauf gegebenenfalls mehr Rücksicht nehmen und sollte selbst nicht zusätzlich als laute Geräuschquelle in Erscheinung treten. „Es gibt viele blinde Menschen, die auch Hörprobleme haben“, sagt die Sozialarbeiterin. Für sie sei diese Achtsamkeit umso wichtiger.
Die nächsten Tücken: die Treppe und der Fahrstuhl
Nun soll es vom Bahnsteig zur Unterführung unter den Gleisen gehen. Ich habe beides getestet: Fahrstuhl und Treppe. Beim Treppenlaufen werde ich eingenordet: „Immer am Geländer festhalten und daran herunter orientieren“, sagt Sweers. Das funktioniert erstaunlich gut. Verwirrend sind einzig die Zwischenstufen, an denen es für einen Moment wieder eben wird und auf denen die Leitstreifen fehlen. „Unsere Mobilitätstrainer bringen den Leuten genau sowas bei: Wie orientiere ich mich in Umgebungen, die nicht so ganz der Norm oder wie es sein soll entsprechen? Oder eben auch diesen Höraspekt. Das wird auch von den Trainern geschult, um im Alltag besser mit solchen Hürden klarzukommen“, sagt Sweers.
Dass gute Ortskenntnis nötig ist, merke ich schnell: Ich wäre noch verlorener gewesen, wenn ich nicht zumindest eine grobe Vorstellung von der Umgebung am Bahnhof gehabt hätte.
Am Ende der Treppe kommt mir ein beißender Geruch entgegen. Ich taste mich die Wand entlang und der Geruch wird immer schlimmer. Ich bin fast am Fahrstuhl, da merke ich: Das ist Urin. Irgendwer hat das hier als Toilette genutzt. Eine extrem unschöne Erfahrung. Vermutlich aber leider kein Einzelfall.
Der Fahrstuhl spricht mit mir. „Ebene null“, schallt es aus der Box. Zu verstehen sei das aber auch nicht immer, sagt Sweers. Wie auch in diesem Fall. Sie berichtet: „Also, ich habe es nicht gehört.“ Man ist nur einen kleinen Augenblick unachtsam, schon überhört man eine wichtige Information.
Die letzte Tücke: Welcher ist mein Bus?
Durch die Blindenleitstreifen am Bahnhof findet man relativ problemlos, sogar als Ungeübter, die Richtung zum ZOB. Am Übergang zwischen dem Gehsteig und der „Businsel“ des ZOB ist aber höchste Vorsicht geboten. Vor allem auf ein gutes Gehör kommt es wieder an.
Die gepunkteten Flächen der Leitlinie zeigen: Bleib stehen und warte erst mal ab. Wenn man nichts hört, kann man die Straße queren. „Es ist auch immer ein Miteinander. Natürlich achten Busfahrer darauf, ob Menschen den Bereich queren und erst Recht, ob dort eine Person mit Blindenbinde steht“, sagt Sozialarbeiterin Andrea Sweers.
Angekommen auf der „Businsel“, auf der links und rechts die Busse abfahren, fragt man sich: Wie soll ich denn eigentlich herausfinden, an welchem Punkt genau mein Bus anhält? Die Frage ließ sich nicht zufriedenstellend beantworten.
Es ist wohl nötig, bei den Busfahrern nachzufragen. Ist man dabei nicht schnell genug, drohe einem, den Bus zu verpassen, sagt Sweers. Ich habe aber Glück: Mein Bus hält direkt am Blindenleitstreifen meines Haltepunkts. Und der Fahrer macht es, wie es sein sollte: Er rollt mit der Einstiegstür genau vor diese Fläche, auf der man als blinde Person wartet.
Die letzte Stolperfalle ist somit nur noch der Einstieg in den Bus, den ich aber ganz gut meistere, da der Bus extra abgesenkt wird und daher nur ein leichter Versatz entsteht. „Da habe ich aber auch schon die schlimmsten Geschichten gehört: Leicht können Körperteile eingequetscht werden oder man stolpert“, sagt Sweers.
Endlich auf meinem Sitz denke ich: Toll, dass es so ein ausgefuchstes System gibt. Aber: Optimal ist es trotzdem nicht. Es gibt viele Tücken – und die sind für sehende Menschen oft gar nicht so leicht zu begreifen.
Der BVN um Andrea Sweers und ihre Kolleginnen unterstützt Menschen mit einer Sehbehinderung etwa dabei, Mobilitätstrainer zu finden. „Gerade in den allerersten Wochen nach der Erblindung ist das wirklich immens wichtig“, sagt Sweers. Je mehr gespendet werde, desto besser lasse sich auch das Schulungsnetzwerk ausbauen.
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