Mein Lieblingsartikel 2023 „Und dann konnte ich doch plötzlich lieben“
Wie es ist, als Frau eine Frau zu lieben, warum der gemeinsame Kinderwunsch fast zum Ehe-Aus führte und vor welchen Problemen homosexuelle Paare noch heute stehen – zwei Frauen aus Folmhusen erzählen.
Dieser Artikel ist mein Lieblingsartikel 2023, weil er zeigt, wie viele Facetten das Thema Familie hat und was man erreichen kann, wenn man nur fest genug an sich und seine Wünsche glaubt. Der Artikel ist erstmals am 25. Oktober 2023 erschienen.
Folmhusen - Eigentlich stand sie nie auf Frauen. „Oder besser gesagt: Ich wusste es nicht“, sagt Amke Gröttrup. „Ich dachte immer, ich kann einfach keine richtige Liebe empfinden.“ Diese Art Liebe, von denen ihre Freundinnen ihr immer vorgeschwärmt hätten, schon in der Schule. Diese Art Liebe, bei der man Schmetterlinge im Bauch habe und einem vor Aufregung ganz schlecht werde vor einem Date. „Ich wusste einfach nicht, wie sich das anfühlen sollte, ich dachte, mit mir stimmt was nicht“, erzählt sie. Aber mit ihr stimmt alles, das weiß die 35-Jährige mittlerweile. Mit Anfang 20 sammelt sie die ersten Erfahrungen mit einer Frau. „Da war das schon anders, da bin ich ein bisschen aufgetaut“, sagt sie. Mittlerweile ist Amke verheiratet. Mit Melina. Mit einer Frau. Mit der Frau, die sie vor sieben Jahren kennengelernt hat und mit der plötzlich genau diese Gefühle da waren, von denen die anderen immer gesprochen hatten. „Und dann konnte ich doch plötzlich lieben.“
Wir sind in Folmhusen verabredet. Amke Gröttrup und Melina Gatzka-Gröttrup haben sich bereiterklärt, ihre Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte von Höhen und Tiefen, von Selbstzweifeln, von einem lange unerfüllten Kinderwunsch, von einem Beinahe-Ehe-Aus und von den Problemen, die eine gleichgeschlechtliche Beziehung mit sich bringt. „Die Straße runter und dann hinter dem Maisfeld gleich links, da liegt unser Hof“, hatte Amke am Telefon gesagt. Bereits die Wegbeschreibung zu dem alten Gehöft klingt idyllisch. In dem riesigen renovierten Bauernhaus mit den großen Holztüren angekommen, sieht es aus wie in einem Wohnmagazin für Landhaus-Liebhaber: Rustikale Holzmöbel, Weidenkörbe und gemütliche Teppiche, wo man nur hinschaut. Das große Anwesen zwischen Feldern, Weiden und Bäumen ist das Zuhause von Amke und Melina. Mit ihnen wohnen hier Melinas Eltern, fünf Hunde, fünf Pferde und ein Shettland-Pony. Und seit dem Sommer ist das wohl langersehnteste Familienmitglied eingezogen: ihr gemeinsamer Sohn Lönne.
Selbstzweifel nach dem Outing
In der Küche riecht es nach Kaffee, eine kleine Schale mit Plätzchen steht schon auf dem Tisch. Die Siebträgermaschine auf dem alten Küchenbuffet rattert. Wohlfühlatmosphäre und Gastfreundschaft strahlen einem aus jeder Ecke des Hauses entgegen. Melina ist auch beruflich Gastgeberin: Sie betreibt die beiden Cafés „Kuchenliebe“ in Ostfriesland. „Bei uns ist eigentlich immer was los – immer Trubel“, sagt Melina und lacht. Das sei ihr Ding, immer Leute um sich herum. „Ich habe früher viel und gerne Party gemacht“, erzählt sie. Bevor sie Amke kennengelernt hat, sei ihr das häufig sogar wichtiger gewesen als eine Beziehung. Denn, ähnlich wie ihre Ehefrau, habe sie für Männer nie die ganz große Liebe empfinden können. „Ich habe auch einfach immer gedacht, das ist halt so bei mir“, sagt Melina. Auf einer Party habe es dann zwischen den beiden Frauen gefunkt. „Das klingt jetzt vielleicht kitschig, aber ich habe sie gesehen und wusste es sofort. Ich wusste: Ich liebe jetzt eine Frau.“
Von ihren Familien bekommen die beiden viel Unterstützung. Dennoch plagten Melina nach ihrem Outing zeitweise Selbstzweifel. „Das ist schwer zu erklären. Und ich weiß, dass das auch nur in meinem Kopf war“, fängt Melina an zu erzählen. „Aber nach meinem Outing habe ich mich gefragt, ob sich nun andere Frauen in meiner Gegenwart komisch fühlen. Zum Beispiel im Schwimmbad in der Umkleide. Ich habe dann immer gedacht: Hoffentlich meinen die jetzt nicht, dass ich sie irgendwie anmachen will.“ Amke nickt verständnisvoll. „Im Endeffekt hat das ja auch gar nichts mit dem Geschlecht zu tun. Es ist ja der Mensch, in den man sich verliebt“, sagt sie. Amke, die als selbstständige Pferdewirtin Pferde und Reiter ausbildet, erklärt: „Ich habe schon als Kind und Jugendliche voltigiert, da ist man ja auch immer sehr körperlich mit seinen Trainingspartnerinnen. Aber das fand ich abgesehen von dem Sport nie anziehend.“
Fast drei Jahre Kinderwunschbehandlung stellen die Ehe auf die Probe
Für Amke und Melina steht bereits kurz nach der ersten Begegnung fest: Das ist die Frau fürs Leben. Ein knappes Jahr nach dem Kennenlernen zieht Amke bei Melina ein, ein weiteres Jahr später macht Melina ihr einen Heiratsantrag, 2019 folgt die Hochzeit, dann die Eröffnung des ersten Cafés. Noch eine einzige Sache fehlt, um ihr Glück perfekt zu machen: ein Kind. Dass dieser sehnlichste Wunsch der beiden Frauen fast das Aus ihrer bis dahin so harmonischen Beziehung werden würde, wissen sie damals noch nicht. Im Jahr 2020 gehen sie gemeinsam in eine Kinderwunschklinik, suchen sich eine Samenbank aus, wollen durch künstliche Befruchtung schwanger werden. „Ich hatte gehofft, dass es ganz schnell klappt und wir unseren Familien dann sagen können: Überraschung! Wir sind schwanger“, erzählt Amke.
Doch es kommt leider ganz anders. Monat für Monat muss Amke Medikamente nehmen, zur Behandlung in die Klinik fahren und sich Hormone spritzen. Doch Monat für Monat bekommt sie ihre Periode, Monat für Monat will sich kein befruchtetes Ei in der Gebärmutter einnisten. Aus drei Versuchen werden fünf, werden sieben, werden neun. „Amke war unerträglich durch die ganzen Hormone. Wie oft habe ich gedacht: Wo ist der Mensch, den ich geheiratet habe?“, erzählt Melina. Nicht nur nervlich verlangt die Behandlung dem Ehepaar einiges ab, auch finanziell. Bei heterosexuellen Paaren übernimmt die Krankenkasse häufig einen Teil der Kosten. „Aber wir mussten alles selbst zahlen“, sagt Melina – denn für homosexuelle Paare zahlt die Krankenkasse nichts. Die Stimmung verschlechtert sich, Trauer, Frust und finanzielle Ängste – auch durch die Corona-Zeit und damit fehlende Gäste im Café von Melina – führen immer häufiger zu Streit. „Ich fand es auch irgendwie unfair, dass immer gefragt wurde, wie es Amke geht. Mir ging es auch nicht gut, es sollte doch auch mein Kind werden“, erzählt Melina. „Wir waren psychisch und körperlich am Ende, unsere Ehe stand fast vor dem Aus.“
Ein zehnter Versuch und ein kleines Wunder
Trotzdem sei Aufgeben keine Option gewesen – zu viel Zeit, Geld und Nerven hätten die vielen Versuche bereits gekostet, und zu groß sei der Wunsch nach einem Kind gewesen. Für den zehnten Versuch entscheidet sich das Paar für eine Kinderwunschklinik in Dänemark. Parallel arbeiten die beiden mit professioneller Hilfe die psychischen Probleme der vergangenen Jahre auf. Nach fast drei Jahren erfolgloser Kinderwunschbehandlung und zahlreichen Hormonspritzen dann, im Spätsommer 2022, das kleine Wunder: Amke wird schwanger.
Zwischen den freigelegten Holzbalken des Dachstuhls und einer alten Holzvitrine liegt schlafend in einer Federwiege das kleine Glück, dass sie seit Juni 2023 nun zu einer Familie macht: Lönne heißt der Sohn von Amke und Melina. „Das ist so abgefahren, was ein Frauenkörper alles kann. Es war atemberaubend, das schönste Erlebnis meines Lebens, und da war so viel Liebe im Raum“, sagt Melina, und blickt zur Wiege, als die beiden von der Geburt ihres Sohnes sprechen. Ihres gemeinsamen Sohnes – damit sie das sagen können, fehlte noch ein letzter Schritt: Melina musste den kleinen Lönne adoptieren – obwohl die beiden Frauen verheiratet sind. Bei heterosexuellen Paaren wäre das übrigens nicht so. Für die Adoption war eine ärztliche Untersuchung notwendig. „Das war auch so eine Sache, es musste ein Blutbild gemacht werden, erst hat sich meine Ärztin quergestellt und auch hier mussten wir die Kosten alle selbst tragen“, erzählt Melina. Aber nun sei das Familienglück endlich perfekt – Mama, Mama, Kind. Wie der kleine Junge seine Mütter später nennen wird, darüber haben sich die beiden Frauen auch schon Gedanken gemacht. „Ich bin Mami und Melina ist Mama“, sagt Amke. „Das ,Mama‘ war mir irgendwie wichtig“, sagt Melina. Denn teilweise sei sie schon ein wenig eifersüchtig, zum Beispiel, dass sie ihren Sohn nicht stillen kann. „Aber am Ende entscheidet Lönne das sowieso selbst.“ Vielleicht gebe es ja irgendwann noch ein Geschwisterchen – und dann möchte Melina die Schwangerschaft erleben.