Mein Lieblingsartikel 2023 Winschoten, die Einkaufsstadt – lohnt es sich noch?

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Von Vera Vogt
| 28.12.2023 11:32 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
Zeit, durch die Fußgängerzone zu schlendern. Foto: Ortgies
Zeit, durch die Fußgängerzone zu schlendern. Foto: Ortgies
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Einen Schreck über die Leerstände in Winschoten bekam eine Bekannte. Zeit, sich mal selbst vor Ort umzusehen. Wollen Sie mitkommen?

Als Reporterin für das Rheiderland fahr ich natürlich auch mal über die Landesgrenze. (Manchmal reicht es ja auch, falsch abzubiegen, aber das nur nebenbei.) Die Verbindung zu den niederländischen Nachbarn ist eng. Als eine Bekannte sagte, sie sei erschrocken gewesen, wie viel in Winschoten leer steht, musste ein Besuch sein. Es hat sehr viel Spaß gemacht und zum Glück war alles gar nicht so wild. Aber lesen Sie selbst. Der Artikel ist erstmals am 12.März 2023 erschienen.

Winschoten - Die Augen blitzen auf: „Oh geil, bringst du Kibbelinge mit?“ Ungewöhnliche Verabschiedung, wenn man die Redaktion zum Termin verlässt. Aber dieser Termin ist besonders: Es geht nach Winschoten. Eine Bekannte erzählte, dass sie erschrocken gewesen sei, weil so viele Läden leerstehen. Was ist denn da los? Während der Fahrt stellte sie sich diese Frage. Und die nach einem Parkplatz. Die Wahl fiel auf den Jumbo-Supermarkt, denn hier ist es umsonst, war der Gedanke. „In Winschoten kann man allerdings in der Innenstadt umsonst parken im Gegensatz zu Groningen“, erklärt Mario Rauch, Sprecher der Ems-Dollard-Region, dem grenzübergreifenden Zweckverband. Sei es drum, der Fußweg war kurz.

Schöne Häuser stehen leer. Foto: Ortgies
Schöne Häuser stehen leer. Foto: Ortgies

Einmal durch den Kreisel, schon war die erste Straße, die ein wenig nach Ladenzeile aussah, die Venne, erreicht. Der Nieselregen hatte gerade aufgehört, der nasse Geruch und die kalten Temperaturen hielten sich hartnäckig. So kann eine Einkaufsstadt nicht glänzen, Leerstand hin oder her. Unbeirrt ging es vorbei an Pfützen bis zu einem wunderschönen Haus auf der linken Seite. Ein pinkes Schild schrie: Te Huur, zu deutsch: zu vermieten. Passanten stehen an den Fenstern, bilden mit ihren Händen einen Schirm, um sehen zu können, was im Inneren ist. Eine wunderschöne alte Holztreppe, ein geschmackvoller Teppich – und gähnende Leere. Verschleiert wird ein Leerstand jedenfalls nicht.

Falsch abgebogen

Ein Sportladen, Leerstand, ein Spa, Leerstand, Leerstand, Frisör. Nicht unbedingt das, was man sich für den Bummel vorstellt. Und dann, wie ein Lichtstrahl ist er da: Der Platz mit den Kibbelingen, dem Hema, in der Nähe das Einkaufszentrum ‚t Rond. Nun geht es auf die Langestraat. Hier geht die eigentliche Innenstadt los. Wunderschöner Nippes, den es nicht in jedem Laden gibt, ein Delikatessen-Laden, charmante Kleidungsgeschäfte. Ein Schmunzeln ist es wert, dass es sogar Holzschuhe gibt. Und die Realisation: So manches vom ersten kargen Eindruck kam daher, dass es Ladenrückseiten waren, an denen es vorbeiging. Entschuldige bitte, Winschoten.

Ein hübsches Café, ausgefallene Läden: Beim Bummel über die Langestraat bleibt das Auge nur gelegentlich an Leerständen hängen. Wahrscheinlich nur, weil es beim Besuch um diese ging. Schwer zu sagen, ob sie sonst aufgefallen wären. So sehr oder wenig wie in Leer oder Aurich. „Man muss wissen, dass eine Stadt, die vergleichbar groß ist wie Winschoten im Durchschnitt 79 Läden in der Innenstadt hat. In Winschoten sind es 186“, zitiert Rauch eine Studie von 2021. Zu dieser Zeit hätten 50 Läden leer gestanden. „Das wirkt natürlich viel. Aber 126 Läden waren gefüllt. Viel mehr als im Durchschnitt“, sagt er. Man mache sich auf einem hohen Niveau Sorgen.

Tür zu, aber warum

Durch die Pandemie sei die Situation im Handel in Winschoten, wie in vielen Innenstädten nicht leichter geworden. „Wir wissen, hatte der Online-Handel einen Aufschwung. Man bekommt die Menschen in die Innenstädte über Erlebnisse, Event-Shopping, Cafés“, sagt er. Der ein oder andere, der etwas erleben und ausgiebig shoppen wolle, nehme dann vielleicht den nur etwas längeren Weg nach Groningen auf sich. „Es ist schwer zu sagen, was ausschlaggebend ist. Man kann aber nicht wegdiskutieren, dass der Umsatz von 2021 bis 2020, also vor der Pandemie um 30 Millionen eingebrochen ist im Gegensatz zum gleichen Zeitraum zuvor“, sagt er. Von 130 auf 100 Millionen.

Manchmal geht es ums Energiesparen, wenn die "Deur“ dicht ist. Außerhalb des Öffnungszeiten ist diese Seite vorn, die andere Seite sagt, „natürlich haben wir offen, die Tür ist nur zu, um Energie zu sparen. Foto: Ortgies
Manchmal geht es ums Energiesparen, wenn die "Deur“ dicht ist. Außerhalb des Öffnungszeiten ist diese Seite vorn, die andere Seite sagt, „natürlich haben wir offen, die Tür ist nur zu, um Energie zu sparen. Foto: Ortgies

Die Bekannte hat auch ein Stück weit recht: Besonders am Rand der Fußgängerzone zeigt sich, was sie meint. Falsch abgebogen und es wirkt, als verirre sich niemals jemand hier her. Die nassen Füße und die Kälte passen irgendwie zum schmutzigen Grau der Fassaden, das nur von Graffiti unterbrochen wird. Ausgestorben. „Es ist ein Phänomen, das es in vielen Innenstädten gibt. Manche Straßen sind nicht sehr beliebt. Wenn dann die Leerstände zunehmen, fehlt noch mehr Laufkundschaft“, so Rauch.

Dann heißt es schnell: „De deur is dicht“. Das steht auch auf einigen Schildern in den Fenstern von Läden. Die sehen aber gar nicht leer aus. Die Realisation braucht einen Moment. Ein hörbares „Ah“ entfleucht beim Starren auf das Schild, als klar wird, dass hier nur Energie gespart wird. Es lohnt sich eben manchmal ein zweiter Blick. Bei Winschoten ist das so: Nicht jede geschlossene Tür ist ein Leerstand und es kommt eben darauf an, welchen Weg man nimmt.

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