Serie „Fehntjer Geschichte(n)“ Er predigte, bis der Schweiß lief und die Stimme versagte
Der Strackholter Pastor Remmer Janßen polarisierte. Seine Sprache war unverblümt, wenn er voller Inbrunst das Wort Gottes predigte. Außerdem hatte er dem „Teufel Alkohol“ rigoros den Kampf angesagt.
Strackholt - „Du brennst jetzt schon in der Hölle!“ Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, schlug der Pastor Remmer Janßen mit der geballten Faust einige Male hart auf den Sarg, der zur Beerdigung auf dem Strackholter Friedhof stand. So geschehen im Jahre 1882. Ein angesehener Bauer hatte das Zeitliche gesegnet, doch sein Lebenswandel war wohl nicht christlich. Da kannte der junge Pastor Remmer Janßen keine Gnade: Wer nicht christlich lebte, war in seinen Augen zur Verdammnis bestimmt. „Wir waren entsetzt“, berichtete Pastor Möhlmann aus Emden von dieser Beerdigung. Denn auch die Anwesenheit von Behörden- und Kirchenvertretern bei der Beerdigung ließ Janßen nicht milder auftreten.
Pastor Remmer Janßen war von 1877 bis 1921 Pastor in Strackholt – immerhin 44 Jahre lang. Janßen war ein begnadigter Rhetoriker. Er hat wohl wie kein anderer das Gemeindeleben geprägt. So heißt es in einem Rückblick der Evangelischen Gemeinschaft Spetzerfehn, Remmer Janßen sei der Ursprung gewesen – vor etwa 100 Jahren. Vor allem die „Spetzer“ – Wilhelmfehn II eingeschlossen – seien scharenweise in die Strackholter Kirche geströmt und hätten darüber hinaus Hausbibelkreise gegründet.
Remmers: Alkohol ist „Höllenwasser“ und „Feuertrank“
Zur Kirchengemeinde Strackholt gehörte nicht nur die alte Bauernschaft, sondern auch die neu gegründeten Kolonien Voßbarg und Zwischenbergen. Außerdem waren ein Großteil Spetzerfehns sowie Wilhelmsfehn II und Auricher Wiesmoor II hier zusammengefasst. Remmer Janßen hielt mitreißende Predigten, die massenweise Menschen in die Kirche lockten. 1000 Menschen sollen sonntags den Gottesdienst besucht haben, an Feiertagen sogar 1500. Zu Fuß seien die Menschen sogar aus Wiesens gekommen, hätten mit Pferdekutschen oder auf einfachen Wagen teilweise den Weg aus der Krummhörn auf sich genommen. Doch nicht nur sonntags, auch am Mittwoch gab es ein Angebot: Während der Bibelstunden in der Kirche lauschten 700 Besucher den Worten von Remmer Janßen. Das Alte Testament soll dabei im Vordergrund gestanden haben.
Um 1900 scheint die Alkoholsucht in Strackholt ein großes Problem gewesen zu sein, das dem Pastor ein Dorn im Auge war. In dem überschaubaren Dorf gab es immerhin acht Brennereien. Der Alkohol war für ihn Teufelszeug. Fünf dieser Brennereien mussten schließen, weil Remmers harter Kurs die Nachfrage zurückgehen ließ. Es wird überliefert, dass er sogar in örtliche Gaststätten ging und die Schnapsgläser mit der Hand vom Tisch fegte: „Alkohol – Feuertrank – Höllenwasser!“ soll er dabei gerufen haben. Auch viele Frauen frönten dem Alkohol. Damit es nicht auffiel, tranken sie den blanken Schnaps aus einer Teekanne. Er trat einst in eine gute Stube, in der drei Frauen ihren „kalten Tee“ tranken. Er begrüßte sie: „Guten Abend, ihr Vier!“ „Aber wir sind doch nur drei“, entgegnete die Gastgeberin. „Ihr seid vier, der Teufel Alkohol sitzt mitten unter euch.“
Predigen als harte körperliche Arbeit
Jeden Sonntag vor 1000 Menschen im Gottesdienst zu predigen, dazu vor 700 an jedem Mittwoch – damit ging Janßen körperlich an seine Grenzen. Er musste die Kirche bis in ihren letzten Winkel allein durch die Kraft der eigenen Stimme ausfüllen, um jeden Einzelnen zu erreichen. Jedes Wort wurde lautstark herausgebrüllt. So kam es, dass er nach jeder Predigt total durchgeschwitzt war. Zwischen Predigt und Schlussliturgie brachte ihm ein Kirchenvorsteher frische Wäsche in die Sakristei, die Janßen dann anzog, um sich vor einer Erkältung zu schützen. Was in der Gemeinde an Ungerechtigkeit vorgefallen war, kam schonungslos auf die Kanzel, unabhängig von der Person. Auch reiche Bauern wurden dabei nicht verschont.
Die Sonntagsgottesdienste setzten ihm besonders stark zu: „Erst am Mittwoch war er wieder ansprechbar, oft sogar erst am Donnerstag“, so eine Hausgehilfin. Auch seine Vorbereitung auf den Gottesdienst hatten einen festen Plan: Von Sonnabendnachmittag schloss er sich ein. Im Sommer studierte und betete er in einem Gartenhäuschen, im „Hilgen Holt“ zwischen Pfarrhaus und Friedhof. Auch vor jeder Leichenrede nahm er sich zwei bis drei Stunden Zeit, in der er für niemanden zu sprechen war. 1881 musste die Kirche erweitert werden. Es erfolgte ein Südanbau, sodass die Kirche nun eine Kreuzkirche war. Auch die Ostempore wurde ausgebaut; die Orgel erhielt einen neuen Platz. Erst 1853 war die Kirche um den Nordanbau erweitert worden; Ortsgeistlicher war damals Carl-Heinrich Schaaf, der von 1852 bis 1857 in Strackholt wirkte.
Remmer Janßen nahm Waisenkinder auf
Remmer Janßen war überzeugter Junggeselle. „In meinem Leben ist kein Platz für Eva, ich habe mit meinem alten Adam genug zu tun“, ist er oft zitiert worden. Gretje Ottersberg führte ein halbes Jahrhundert seinen Haushalt, der nicht nur aus zwei Personen bestand: In den 44 Dienstjahren nahm er insgesamt 31 Waisenkinder auf, darunter auch sieben Neffen und Nichten, die ihre Mutter früh verloren. In dem Pfarrhaus gab es auch einen Viehbestand. Darum kümmerte sich viele Jahre Anna Schmidt.
Ein weiteres großes Anliegen Janssens war die Mission, oder „die Bekehrung der Heiden“. Tausende strömten zu den Strackholter Missionsfesten, die immer am letzten Mittwoch im August stattfanden. Die Gäste aus ganz Ostfriesland und auch darüber hinaus wurden von Strackholter Familien bewirtet; jedes Haus nahm zehn bis 15 Gäste auf. Ehrenbögen schmückten die Straßen. Einhundert bis zweihundert Gäste waren in der „Pastorei“ bei Janßen zu Gast. Doch es blieb nicht bei den eintägigen Festen. „Das Elend der Heiden und die Not der ausgewanderten Deutschen in Amerika, die ohne genügende geistliche Versorgung waren“: Das waren seine Hauptmotive, in Strackholt ein Missionshaus zu bauen.
Missionshaus bestand bis 1914
Im Jahr 1886 wurde mit dem Bau an der jetzigen Schulstraße begonnen; zwei Jahre später sollten die ersten „Zöglinge“ in das zweistöckige Haus einziehen, doch erst 1889 begann der Schulbetrieb des Missionshauses mit fünf jungen Männern. Rund 100 junge Männer zwischen 17 und 24 Jahren wurden hier ausgebildet. Der erste Weltkrieg beendete 1914 den Schuldienst; in das Gebäude zog eine Privatschule („Lateinschule“) aus Spetzerfehn ein, die später Vorläufer der Realschule Wiesmoor wurde. Das Gebäude wurde 1961 abgerissen.
Geboren wurde Remmer Janßen im Werdumer Ortsteil Altendeich im Harlingerland. Die wohlhabende Bauernfamilie schickte den begabten Jungen mit „Kost und Logis“ nach Aurich, wo er das Gymnasium Ulricianum besuchte. Die Lehrerpersönlichkeit von Wilhelm Reuter, der 1831 bis 1871 am Ulricianum tätig war und auch das Amt des Direktors innehatte, hat Remmer Janßen maßgeblich geprägt. Reuter soll Janßen zum Christentum bekehrt haben. Als er nach dem Studium Theologie studieren wollten, waren seine Eltern damit überhaupt nicht einverstanden. Nach 44-jährigem Dienst in Strackholt wirkt er noch drei Jahre in Ochtelbur. Janßen verstarb im Mai 1931 in Egels.
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