Geschichte im Netz Blick in die Vergangenheit – Wiesmoor sucht Fotos und Geschichten


Die Stadt Wiesmoor will historische Unterlagen sammeln und ihre Geschichte online für alle lebendig machen. Warum sich der Aufwand lohnt, zeigen Entdeckungen zum ersten Hallenbad Ostfrieslands.
Wiesmoor - Männer mit Anzug und Krawatte stehen am Rand des mit Holz eingeschalten Beckens und schauen in die Tiefe. Manche tragen einen Hut, andere einen Trenchcoat, wie es Anfang der 60er Jahre eben üblich war. Dieses Foto stammt aus Wiesmoors goldenen Zeiten um 1962, als das Kraftwerk der Region einen Aufschwung gab und so viel Geld nach Wiesmoor schwemmte, dass davon das erste Hallenbad auf der ostfriesischen Halbinsel gebaut werden konnte.
Das Foto hängt im Rathaus im dritten Stock – nicht weit von Uwe Pielstrickers Büro entfernt. Das passt, denn er hat dort 23 Jahre lang als Bademeister gearbeitet. Solche Einblicke in die Geschichte des Hallenbades im Bauhausstil machen die Geschichte „seines“ Bades für Pielstricker noch lebendiger. Details wie die Überlieferung, dass die Zuständigen vor der offiziellen Eröffnung versucht hatten, das Bad mit dem Wasser zu befüllen, das rundherum in Fülle zu finden war: Moorwasser.
Moorwasser für das Schwimmbad?
„Man wollte das Bad nicht mit Leitungswasser befüllen, fand aber wohl keine Pumpen, die das Moorwasser sauber genug filtern konnten, um wie vorgeschrieben bis zum Boden sehen zu können“, sagt Pielstricker und lacht. Jetzt arbeitet er in dem Team der Stadtverwaltung, das sich um die Geschichte der Blumenstadt kümmert – und kommt dort auch der Geschichte des Hallenbades noch näher.

„Eigentlich sind schon immer Unterlagen, Erinnerungsstücke und Fotos bei uns abgegeben worden“, sagt Hannes Langer und zeigt auf einen Schrank, auf dem Präsentteller aus verschiedenen Jahrzehnten mit Wiesmoor-Motiven stehen. Auf dem Tisch hat er ein paar besondere Dokumente aus dem Archiv ausgebreitet, die bereits eingegangen sind. Darunter ein Reisebericht aus der Zeit, als die Planungen für das Hallenbad noch in den Kinderschuhen steckten.
Eine Archiv-Gruppe hat sich gebildet
Langer ist Ansprechpartner der Archivgruppe, die neben Pielstricker noch aus dem Auszubildenden Tim Pollmann und Lena Reiners besteht. Sie ist für die Digitalisierung bei der Stadt zuständig. Neben ihren üblichen Aufgaben haben die vier schon vor dem Jahreswechsel die Aufgabe bekommen, Historisches über die Blumenstadt zu sichern, abzulegen und zu digitalisieren. „Es kommt kaum jemand im Rathaus vorbei, um die Unterlagen zu sichten“, sagt Langer. „Deshalb wollen wir die Geschichte Wiesmoors online allen zugänglich machen“ – eben wie die Geschichte des Hallenbades.

Der Reisebericht aus gebundenen Ormig-Abzügen, einem Matrizendruck mit Spiritus, der früher auch im Schulunterricht für eine leichte Alkoholfahne sorgte, enthält eingeklebte Fotos und dokumentiert die Fahrt von Vertretern der Gemeinde Wiesmoor und dem Betriebsrat der Norddeutschen Kraftwerke, Abteilung Torfgewinnung. 33 Männer machten sich am 18. August 1958 in „glänzender Stimmung“ und bei einem „Sommerwetter, wie es im Buch steht“, auf den Weg quer durch Europa. Angeführt wurden sie von Kraftwerk-Direktor Johann Gerhard (Jan) Hinrichs mit dem Ziel, Ideen für das neue Bad in Wiesmoor zu sammeln.
Geschichte vor dem Vergessen bewahren
Langer und sein Team wollen Informationen wie diese vor dem Vergessen bewahren. Wenn Dinge, Gebäude, Ortsteile oder eine ganze Stadt ihre Geschichte erzählen, werden sie lebendig. „Wir haben schon ganz besondere Dokumente bekommen“, sagt Langer. Viele kommen von Privatleuten, Hobby-Historikern, aus Haushaltsauflösungen. „Bevor man Fotos und Dokumente oder besondere Erinnerungsstücke wegwirft, sollte man uns anrufen und anfragen, ob wir sie brauchen können“, sagt Langer: „Selbst wenn Wiesmoor nicht so alt ist, hat es eine bewegte Geschichte.“
Das Beste: Die meisten Momente, die das Leben der Wiesmoorer, der zu Wiesmoor zusammengewachsenen Ortsteile und ihrer Einwohner erzählen, gibt es noch. Vieles ist dokumentiert, das alte Torfheizkraftwerk, das der Region Leben einhauchte, sie für Gärtnereien und für den Gemüseanbau bekannt machte. Andere Geschichten lauern noch in privaten Archiven, in Schubladen mit alten Postkarten, historischen Büchern und in Fotoalben, vielleicht auch in Tagebüchern. Wiesmoor ist schließlich jung, kaum älter als 100 Jahre.
Ein paar besondere Funde gibt es schon
Besondere Bücher im Archiv der Stadt sind auch die handgeschriebenen Chroniken des Lehrers Ernst Amelong, der unter anderem den SV Hinrichsfehn mitgründete und dessen erster Vorsitzender wurde. Die Bände, die ein mit Silber gearbeitetes Emailwappen der Gemeinde ziert, tragen Titel wie „Die sechziger Jahre: Strukturwandel in Wiesmoor. Teil 1.“ Auch andere Fundstücke sind im Archiv der Blumenstadt willkommen. „Je kurioser, desto besser“, sagt Uwe Pielstricker und erzählt von einem winzigen Taschenmesser aus der Blumenstadt, das es früher für ein paar Pfennige als Andenken zu kaufen gab. Auch solche Dinge sollen fotografiert und online ausgestellt werden.

Einen Zeitplan gibt es noch nicht, wann die ersten Unterlagen online für jeden zur Recherche bereitstehen. „Wir machen das alle neben unseren üblichen Aufgaben“, sagt Langer. Wer etwas abzugeben hat, kann dem Team helfen: „Wer Fotos selbst digitalisieren kann, würde und einen großen Dienst erweisen“, sagt Langer. Auch die Stadt Wiesmoor ehrenamtlich bei der Archivarbeit zu unterstützen ist möglich.
Die Arbeit an der Geschichte startet im Heute
Die Arbeit an der Geschichte der Stadt fängt in Wiesmoor bei der Chronik des vergangenen Jahres an. „In 50 oder 100 Jahren ist die für die nächsten Generationen spannend, so wie für uns heute Berichte von früher“, sagt Langer. Bei den jährlichen Chroniken, die während der Corona-Zeit pausierten, schlägt die Stadtverwaltung neue Wege ein. Sie wurde bisher von kleinen Gruppen Ehrenamtlicher in mühevoller Kleinarbeit erstellt und soll jetzt von allen Wiesmoorern mitgestaltet werden.
Texte und Bilder der Jahre 2021 bis 2023 können unter anderem online über das Portal „openRathaus“ unter dem Menüpunkt „Stadtchronik Wiesmoor“ von Vereinen und Privatmenschen gesendet werden. Wer Fragen hat, meldet sich bei Hannes Langer unter Telefon 04944/305-118 oder per E-Mail an hannes.langer@wiesmoor.de.
Ihlow startete im Sommer mit einem Archiv
Wer weiß, was über die Geschichte des Wiesmoorer Bades dabei noch herauskommt. Die Reisegruppe jedenfalls hat sich am Ende auf den Bau eines wetterunabhängigen Hallenbades nach belgischem Vorbild geeinigt. Am 11. April 1964 wurde es eröffnet – gefüllt mit Leitungswasser. Hätte man vorher nicht mit Moorwasser experimentiert, hätten die Wiesmoorer es sogar noch eher nutzen können.
Die Nachbargemeinde Ihlow hat den Weg zum eigenen Archiv bereits im Sommer beschritten, um historischen Dokumenten das Überleben zu sichern. Anstoß hatte dazu dort ein Dachbodenfund gegeben. Etwa 200 Briefe von der Front aus dem Ersten Weltkrieg wurden in Ludwigsdorf gefunden. Jetzt soll nicht nur die Geschichte ihrer Schreiber erzählt werden, sondern die Fundstücke sollen ebenfalls systematisch archiviert werden.
Die Gemeinde möchte laut Bürgermeister Arno Ulrichs (parteilos) für die einzelnen Ortschaften digitale Archive anlegen. „Damit solche historischen Fundstücke nicht verlorengehen, sondern von allen eingesehen und genutzt werden können“, sagte er dazu im Juni 2023. Die Feldpost sei ein gutes und überschaubares Projekt, um damit zu starten. Hannes Langer ist in Ihlow Ratsmitglied und kann sicherlich von den Erkenntnissen dort profitieren.
Ihlower erhalten Grüße aus dem Ersten Weltkrieg
Antrag bei der Verwaltung – so einfach wie ein Online-Shop
Wie Ostfriesland zu einem eigenen Gedächtnis kam