Cannabis-Liberalisierung Wo das Kiffen in Emden künftig erlaubt sein könnte
Emden könnte sich als Modellregion für Cannabis-Konsum bewerben. Die FDP drängt auf die Liberalisierung. Der Amtsarzt hält dagegen.
Emden - Emden als Modellregion fürs Kiffen? Nach der Vorstellung des FDP-Ratsherren Henning Meyer kann sich die Stadt gar nicht schnell genug für das bundesweit geplante Vorhaben bewerben. Cannabis könnte dann in lizenzierten Fachgeschäften verkauft werden, Emder könnten privat oder in eigens gegründeten Vereinen Marihuana anbauen. Das Ganze könnte wissenschaftlich durch die Hochschule begleitet werden. „Emden hat die besten Bedingungen, zu einer Modellregion zu werden und hier eine Vorreiterrolle einzunehmen“, sagte Meyer jetzt im Gesundheitsausschuss des Emder Rates.
Meyer hatte für seine Fraktion an die Stadtverwaltung einen Antrag gestellt, über den Stand der Dinge zur geplanten Cannabis-Teil-Legalisierung der Bundesregierung zu berichten und eine eigene Bewertung dazu abzugeben. Denn vorrangig geht es dem Liberalen nicht unbedingt ums erlaubte Kiffen, sondern um mögliche Erfolge, die man sich von einer Teil-Legalisierung verspricht. So zielt das bereits im November 2021 im Koalitionsvertrag beschlossene Vorhaben, Cannabis für Erwachsene als Genussmittel verfügbar zu machen, unter anderem darauf ab, den Cannabis-Schwarzmarkt zurückzudrängen, den Verbrauch nicht mehr zu stigmatisieren oder zu kriminalisieren und Cannabis aus dem harten Drogenmarkt herauszulösen. Zudem sollen Erkenntnisse zu den Auswirkungen auf Gesundheits- und Jugendschutz gewonnen werden, begründete es Meyer in seinem Antrag. Wie steht die Verwaltung nun einer Bewerbung zur Modellregion gegenüber? Wie bewertet die Verwaltung die geplanten „Cannabis Social Clubs“? Und gibt es womöglich hinsichtlich der Gründung solcher Clubs schon Anfragen?
Alkoholverbot, aber Kiffen am Delft erlaubt
Verhalten bis kritisch und sogar auch mit einem gewissen Augenzwinkern – so könnte man die Antworten zusammenfassen, die der Leiter des Emder Gesundheitsamtes, Dr. Dirk Obes, in einem umfangreichen Vortrag zurück spiegelte. Denn noch seien die Gesetzgebungsverfahren für die Legalisierung nicht abgeschlossen, die Regelungen zu Modellvorhaben noch überhaupt nicht geklärt und der Entwurf für einen kommerziellen Vertrieb stehe noch gänzlich aus. „Wir sprechen hier über ungelegte Eier“, sagte Obes. „Und wir verlieren nichts, wenn wir noch abwarten, bis mehr Informationen vorliegen.“
Ein paar Eckpunkte für den geplanten privaten Konsum unterdessen seien schon bekannt. Laut Obes ist das „Social“ schon einmal aus den geplanten Cannabis-“Social“-Clubs gestrichen, da es nicht erlaubt sein soll, innerhalb der Clubs zu konsumieren. Die Anzahl der möglichen Clubs oder Anbauvereinigungen hängt von der Stadtgröße ab, in Emden wären theoretisch acht möglich. Auch das Kiffen in der Öffentlichkeit sei bereits genauer reglementiert: Konsumverbote gebe es in unmittelbarer Gegenwart Minderjähriger, an Schulen auf hundert Meter zum Eingangsbereich, in Kinder- und Jugendeinrichtungen generell, in öffentlich zugänglichen Sportstätten oder auch in Fußgängerzonen zwischen 7 und 20 Uhr. Das schränkt Städte wie Berlin erheblich ein, wie Obes sagte. In Emden sieht es da günstiger für Konsumenten aus. „Wo etwa auf der Hahn’schen Insel oder am Delft Alkoholverbot herrscht, darf dennoch gekifft werden“, so Obes.
Bis zu 150 Joints im Monat pro Mitglied
Das Konsumcannabis-Gesetz sehe noch folgende Punkte vor: etwa Mengenbegrenzung von 25 Gramm Cannabis oder drei Pflanzen am Wohnsitz. Clubs oder Anbauvereinigungen dürfen maximal 500 Mitglieder haben, alle ab 18 Jahren versteht sich, und Mitglieder müssen aktiv am Eigenanbau mitwirken. Die Höchstabgabe ist auf maximal 25 Gramm pro Monat für Mitglieder ab 21 Jahren beschränkt, wobei die Beschränkung relativ ist: Das entspräche 150 Joints pro Monat oder fünf Joints am Tag. 18-Jährige bekommen 90 Joints. Weitere Stichworte sind Präventionsbeauftragte, Gesundheits- und Jugendschutzkonzept, Kooperation mit Suchtberatungsstellen vor Ort, Qualitätssicherungspflicht, Dokumentations- und Berichtspflichten und nicht zuletzt eine behördliche Überwachung. „Auch hier ist noch überhaupt nicht geklärt, welche Behörde das übernehmen soll“, sagte Obes.
Obes zählt aber auch eine Reihe möglicher Chancen der Liberalisierung auf. So werde ein verbesserter Gesundheitsschutz für Konsumierende erwartet, weil die Ware ja qualitätsgesichert sei. Der illegale Markt werde eingedämmt. Kinder- und Jugendschutz könnte durch Intervention gestärkt werden. Durch verringerte Strafverfahren werde mit Einsparungen bei Gerichten gerechnet. Ob die anvisierten 225 Millionen Euro dafür aber zu halten seien, sei wiederum fraglich. Das Gesetz würde rückwirkend angewendet und müsse somit bereits Verurteilte aufwändig rehabilitieren, so Obes.
Straßenverkehr für Konsumenten tabu
Probleme und Herausforderungen sieht der Amtsarzt außerdem im Straßenverkehr, wo der Grenzwert bisher bei einem Nanogramm THC je Milliliter Blutserum gilt. „Für regelmäßige Konsumenten wäre der motorisierte Straßenverkehr auf Dauer ausgeschlossen“, sagte Obes. Weiter sieht er eine Verharmlosung von Cannabis, wenn es legal gekauft werden kann. Der Schwarzmarkt hingegen verschwinde zum einen nicht, weil auch Jugendliche bedient werden wollen (Einstiegsalter in der Regel 15 Jahre) und weil preisgünstigeres Cannabis oder solches mit höherem THC-Gehalt nachgefragt bleibe. Außerdem sieht Obes durch die Teil-Legalisierung potenziell neue Konsumenten. „In liberalen Ländern gibt es einen Anstieg des Konsums.“
Im Blick hat Obes dabei insbesondere „vulnerable Gruppen“, also Kinder und Jugendliche, deren Hirnentwicklung noch nicht abgeschlossen ist. „Konsens ist, dass da Risiken bestehen“, sagte der Arzt. „Cannabis kann negative Auswirkungen auf kognitive Fähigkeiten haben.“ Dennoch sei die meist verbreitete, weiche Droge vergleichsweise ungefährlich im Vergleich harter Drogen. „Es fällt wirklich schwer, sich mit Cannabis umzubringen“, sagte Obes. „Dazu müsste etwa eine Dreiviertel Tonne binnen 15 Minuten konsumiert werden.“ Und dennoch: Etwa neun Prozent der Konsumenten gehe das Risiko ein, psychisch abhängig zu werden, zunehmend auch körperlich, da der berauschende THC-Gehalt von Cannabis-Pflanzen immer stärker hochgezüchtet worden sei – von etwa drei Prozent im Jahr 1960 auf heute gängigen 20 Prozent. Der Schwarzmarkt kenne auch noch höhere Dosen bis 27 Prozent. Somit steige auch die Gefahr einer Psychose.
In der Medizin eine andere Sache
Wichtig sei die strikte Unterscheidung zwischen medizinischer Anwendung und dem Genuss-Konsum, betonte Obes. Seit 2017 gibt es Cannabis-Blüten und andere Präparate auf Rezept. Mit der Gesetzes-Novelle werde im Medizinbereich eine Entbürokratisierung erwartet und eine Herauslösung aus den stark reglementierten Betäubungsmittel-Verordnungen. Verschrieben würden im Übrigen auch Mittel, die lediglich durch den nicht-psychoaktiven Cannabis-Wirkstoff CBD entkrampfend und schmerzlindernd wirken.
Das Gesetzverfahren schreitet unterdessen seit den ersten Eckpunktepapieren, Referenten- und Kabinettsentwürfen voran. Im Oktober gab es den ersten Durchgang im Bundesrat, die erste Lesung im Bundestag. Nach der weiteren Planung soll es im Februar 2024 die zweite und dritte Lesung geben, möglicherweise am 1. April 2024 ein formales Inkrafttreten. Auch vor diesem Hintergrund drängt FDP-Ratsherr Meyer auf eine Entscheidung in Emden. „Wir sollten die Bewerbung zumindest schon vorbereiten.“ Die Teilnahme könne man allerdings erst entscheiden, wenn die Bedingungen für die Modellregion bekannt sind“, wiederholte Obes. „Und bei einem Ja empfehle ich, den Präventionsrat gleich mit einzubeziehen.“
Ein klares Nein formulierte CDU-Ratsherr Albert Ohling bereits im Anschluss des Vortrags. Auch Michael Martens von der GfE schloss sich dem an. Lediglich Abdou Quadraego ließ durchblicken, dass seine Fraktion Grüne feat. Urmel für eine Liberalisierung zu haben wäre.