Serie „Fehntjer Geschichte(n)“ „Tullum“ – vom Fehnschiffer zum Unternehmer mit Weitblick

| | 27.01.2024 16:48 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 6 Minuten
Es war „Tullums“ großer Tag: Am 20. Dezember 2004 wurde das letzte Stück der Autobahn 31 im Emsland in einer Feierstunde freigegeben. Foto: Archiv/Ortgies
Es war „Tullums“ großer Tag: Am 20. Dezember 2004 wurde das letzte Stück der Autobahn 31 im Emsland in einer Feierstunde freigegeben. Foto: Archiv/Ortgies
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Rolf Trauernicht (1924 – 2017) war einer der letzten Fehnspediteure. Schon im Alter von zwölf Jahren fuhr er bei seinem Vater mit und arbeitete zeitlebens hart. Er war ein außergewöhnlicher Fehntjer.

Großefehn - Rolf Trauernicht war Fehntjer durch und durch. Sein Wirken hinterließ tiefe Spuren in Großefehn. Er legte 1949 den Grundstein für die Trauco-Unternehmensgruppe und ging in die Regionalgeschichte ein als der Mann, der für den Lückenschluss der Autobahn 31 sorgte. Seine familiären Wurzeln aber liegen in der Fehnschifffahrt. Sein langes Leben von 1924 bis 2017 war ebenso geprägt von harter Arbeit wie von tiefer Verbundenheit zu seiner Heimat. In seinem im Jahr 2008 verfassten Einblick in die „Erlebnisse des Fehn-Schiffers Rolf Trauernicht (Tullum) von 1936 – 1952“ wird deutlich, wie stark dieser als Unternehmer, Netzwerker und nicht zuletzt Mensch von den Gegebenheiten der, wie er selbst sagt, ältesten und schönsten Fehnkolonie beeinflusst wurde.

Rolf „Tullum“ Trauernicht, Gründer der Trauco-Unternehmensgruppe, starb 2017 im Alter von 92 Jahren. Foto: Trauco AG
Rolf „Tullum“ Trauernicht, Gründer der Trauco-Unternehmensgruppe, starb 2017 im Alter von 92 Jahren. Foto: Trauco AG

Zu dem Namen „Tullum“ kam Rolf Trauernicht schon in der Volksschule durch einen Lehrer – und er blieb ihm zeitlebens erhalten. So überliefert der Autor Jörg Müller-Barkei in der Biografie „Tullum! Ein Leben für Ostfriesland – Die Biografie von Rolf Trauernicht“ die eigenartige Fügung, dass bis heute kaum jemand auf dem Fehn von Rolf Trauernicht spricht, sehr wohl aber oft der Name „Tullum“ fällt. Trauernicht brachte es weit, war sich seiner Wurzeln aber stets bewusst. Er habe die letzten Jahre der Fehnschifffahrt und damit das Ende einer 300 Jahre andauernden Ära der Fehn-Kultivierung aktiv miterlebt, schreibt er selbst.

Kindheit ohne Freizeit

Rolf Trauernichts Vater Focke Trauernicht war Fehnspediteur, wie auch er später einer war. Schon im Alter von elf oder zwölf Jahren sei Rolf Trauernicht in den Ferien mitgefahren. Harte Arbeit, verbunden mit Logistik und Handel – das lernte er früh. Über seine Kindheit als ältestes unter zwölf Geschwistern sagte er später, sie sei glücklich gewesen. Aber auch das: „Freizeit war für mich ein Fremdwort. Wenn andere Kinder im Kanal badeten, mussten wir zuhause mit anpacken. Es war für uns Kinder eine sehr schwere körperliche Anstrengung – sowohl das Umschichten des im Frühjahr per Hand gegrabenen Torfs wie auch die Tätigkeit in der kleinen Landwirtschaft.“

Rolf Trauernicht war auch ein Familienmensch: Zum 90. Geburtstag im Jahr 2014 gab es ein Küsschen von Enkel Enno, der da noch auf dem Arm seiner Mama saß. Christina Bernitzki ist eines von insgesamt vier Kindern von Rolf Trauernicht. Bild: Archiv/Ortgies
Rolf Trauernicht war auch ein Familienmensch: Zum 90. Geburtstag im Jahr 2014 gab es ein Küsschen von Enkel Enno, der da noch auf dem Arm seiner Mama saß. Christina Bernitzki ist eines von insgesamt vier Kindern von Rolf Trauernicht. Bild: Archiv/Ortgies

Focke Trauernicht hatte mit der „Jantje“ 1936 das letzte Segelschiff aus Holz auf dem Fehn erworben. Im April 1938 verließ Rolf Trauernicht die Schule. Mit 13 Jahren musste er sich fortan beim Torfgraben verdingen. Der Torf wurde gegraben und transportiert, getrocknet und schließlich im Sommer und Herbst verladen und verkauft. „Einige Moorflächen waren bis zu drei Kilometer vom Kanal entfernt“, erinnert sich Trauernicht in seinen niedergeschriebenen Erlebnissen aus seiner Zeit als Fehnschiffer. Auf Gleisen standen Loren, die mit Körben beladen wurden. Diese Körbe erst zur Lore zu tragen, die Lore kilometerweit zu schieben und beim Schiff die Körbe wieder auszuladen, sei kräftezehrend gewesen. „Es waren lange Arbeitstage, Feierabend gab es kaum.“ 18-Stunden-Tage seien demnach keine Seltenheit gewesen.

Schweißtreibende Schwerstarbeit

Besonders hart seien auch Sandlieferungen gewesen: Das Schiff ließ sich trockenfallen und Schiffer und Schiffsjunge schaufelten dann im Akkord den feuchten Sand über die etwa zwei Meter hohe Bordwand in den Laderaum. Gelöscht wurde später an der Ziegelei per Karre. „Diese Schwerstarbeit ließ uns den Schweiß aus den Poren treiben. Wenn diese Überbelastung mich als Zwölfjährigen schwindelig werden ließ, habe ich manches Mal gedacht, dass das Leben unter solchen Umständen keinen Spaß macht.“ Zu den Frachtgütern, die damals transportiert und gehandelt wurden, zählte auch Kunstdünger in Säcken von 75 oder gar 100 Kilo.

Rolf Trauernicht war als Netzwerker bekannt. Zu den legendären Spargelessen im „Blauen Fasan“ in Wiesmoor begrüßten er und seine Frau Betty mit Familie die Prominenz – hier den damalige Ministerpräsident David MacAllister (CDU). Foto: Archiv
Rolf Trauernicht war als Netzwerker bekannt. Zu den legendären Spargelessen im „Blauen Fasan“ in Wiesmoor begrüßten er und seine Frau Betty mit Familie die Prominenz – hier den damalige Ministerpräsident David MacAllister (CDU). Foto: Archiv

Genau von dieser Plackerei berichtete Trauernicht Ende der 1990er Jahre einmal Jugendlichen, um sie zum Lernen zu motivieren. „‚Tullum‘ war eine Persönlichkeit“, erinnert sich Lisa Buß. Die Zweite Vorsitzende im Verein, der die historische Schmiede Striek mit Leben füllt, erinnert sich an einen Mann, der in mehrfacher Hinsicht aus dem Rahmen fiel: „Er war sehr groß, hatte große Hände und Füße.“ Und ein großes Herz für die Menschen um ihn herum. Auch das wird bei der Schilderung ihrer Erinnerungen an einen wie sie sagt väterlichen Freund deutlich. Beide verband die Liebe zum Segeln. „Er war ein Promi. Der Ruf eilte ihm voraus“, führt sie weiter aus. Sein Wort hatte Gewicht. Jedes Kind in Großefehn habe „Tullum“ gekannt. Und genau das machte sich die frühere Lehrerin für Deutsch und Englisch einmal zu Nutzen, um ihre Schüler davon zu überzeugen, sich mit Begeisterung und Motivation der englischen Sprache zu widmen.

Immer Augen und Ohren offenhalten

„Er kam mit einem großen Bild“, berichtet Buß. Auf dem Bild sei Trauernicht 14 Jahre alt gewesen – so wie ihre Schüler zum damaligen Zeitpunkt. Er habe ihnen eindrücklich geschildert, wie wenig lebenswert die harte Arbeit manchmal gewesen sei. Und er habe sie teilhaben lassen an den Jahren danach: Wie er seinen zunächst kleinen Baustoffhandel gründete und wie er das erste Mal nach Amerika reiste. Damals habe er einen ausgewanderten Zweig seiner Familie besucht – aber auch Firmen besichtigt. Damals hat Trauernicht laut Buß einen Gabelstapler gesehen und gesagt: „So ein Ding müssen wir auch haben.“ Das wichtigste aber sei die Botschaft hinter seiner Anekdote gewesen, die er den Schülern mit auf den Weg gab: „Er hat sie ermutigt, immer die Augen und Ohren offenzuhalten.“

Rolf Trauernicht war ein geselliger Mensch. Im Jahr 2014 feierte er seinen 90. Geburtstag. Klaus Peters (Mitte), Leiter der Gesamtproduktion bei Enercon, hielt die Rede anlässlich dieses runden Geburtstags und überreichte ihm mit Tochter Lilly (links) ein großes Lebkuchenherz. Foto: Archiv/Ortgies
Rolf Trauernicht war ein geselliger Mensch. Im Jahr 2014 feierte er seinen 90. Geburtstag. Klaus Peters (Mitte), Leiter der Gesamtproduktion bei Enercon, hielt die Rede anlässlich dieses runden Geburtstags und überreichte ihm mit Tochter Lilly (links) ein großes Lebkuchenherz. Foto: Archiv/Ortgies

Lisa Buß beschreibt Rolf Trauernicht als geselligen Mann, der seine Freude am Netzwerken, an Gesprächen und Musik hatte. Einen Mann, der die Leute in seiner Firma kannte und sich kümmerte. Seine Herkunft habe er auch als Unternehmer nie aus dem Blick verloren: „Er war ein Fehnschiffer – und ist es immer geblieben. Seine Herkunft hat er als großen Schatz bewahrt.“ Das Schiff „Jantje“ seines Vaters wurde 1938 durch die „Johanne“, ein eisernes Motorschiff, abgelöst. Mit dem Zweiten Weltkrieg aber kam die Fehnschifffahrt fast gänzlich zum Erliegen. Focke Trauernicht wurde zur Marine einberufen, später auch sein Sohn.

Ein Mann, ein Monument

Rolf Trauernicht wurde im Sommer 1945 aus dem Militärdienst entlassen und legte erneut als Fehnschiffer los: Er transportierte Dünger, Torf und Baukalk. Erst mit einem gepachteten Schiff, später mit seiner eigenen „Berta“, die noch bis 1961 fuhr. Im Jahr 1947 heiratete er seine Frau Betty. In seinen Erzählungen schilderte er ihre „Hochzeitsreise“: „1947 brachten meine Frau und ich eine Ladung Stalldünger nach Rheine. Eingetauscht wurde dafür eine Ladung loser Baukalk.“ Baustoffe wie auch Zement oder Kalksteine sollten bald das Gros der Ladung ausmachen, die Trauernicht bewegte. Nach Kriegsende war durch die Zerstörung und den Wiederaufbau, aber auch den Zuzug von Flüchtlingen und Kriegsheimkehrern ein Mangel an Baustoffen entstanden.

Trauernicht lernte während seiner Schiffstouren für die Sachkundeprüfung vor der Industrie- und Handelskammer zum Baustoffkaufmann. Wenig später war seine Zeit als Fehnschiffer ebenso vorbei wie diese Ära selbst.

In Großefehn erinnert noch heute viel an den Macher „Tullum“. So wächst im Garten der Schmiede Striek eine nach der prägenden Persönlichkeit benannte Rhododendron-Art. Nicht ganz ein Jahr nach dem Tod des Ehrenbürgers der Gemeinde wurde 2018 zudem eine Straße in Ostgroßefehn nach ihm benannt – Auch wenn der damalige Bürgermeister Großefehns, Olaf Meinen, anlässlich der Einweihung, klarstellte: „,Tullum‘ braucht kein Monument – er war selbst eins.“

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