Traditionen und Verhalten Das sind die Besonderheiten der jüdischen Friedhöfe in Leer
Durch die Schändung ist der jüdische Friedhof in Leer in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Wir erklären, was die Besonderheiten sind und worauf man beim Besuch achten sollte.
Leer - Bis zu den menschenverachtenden Verbrechen der Nationalsozialisten gab es in Leer eine jüdische Gemeinde. Die Synagoge an der Heisfelder Straße wurde während der Pogromnacht 1938 niedergebrannt. Heute erinnert unter anderem die Gedenkstätte der Ehemaligen Jüdischen Schule (EJS) an der Ubbo-Emmius-Straße an das jüdische Leben in der Stadt Leer. Deutlich unscheinbarer sind hingegen die beiden jüdischen Friedhöfe am Logaer Weg beim Philippsburger Park und an der Groninger Straße.
Durch die Schändung von Unbekannten ist letzterer wieder in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Doch was sind eigentlich die Besonderheiten eines jüdischen Friedhofs und worauf sollte man bei einem Besuch achten? Wir haben nachgefragt.
Warum findet man auf jüdischen Gräbern keine Blumen, sondern Steine?
„Man legt auf jüdischen Friedhöfen keine Blumen ab“, betont Bodo Gideon Riethmüller vom Landesverband der jüdischen Gemeinden, der für die Friedhöfe zuständig ist. Dies habe historische Gründe. „Juden waren Nomaden“, erklärt er. Auch in der Wüste habe man die Toten bestatten müssen. „Es gibt aber nicht nur Sandwüsten, sondern auch Steinwüsten“, so Riethmüller. Dort seien die Toten unter vielen Steinen beerdigt worden, damit keine wilden Tiere sich an dem Leichnam vergehen konnten. „Diese Tradition sehe man heute noch auf jüdischen Friedhöfen“, erläutert Riethmüller. So würden Angehörige kleine Steinchen als Zeichen des Gedenkens auf die Gräber legen.
Der zweite Grund sei gewesen, dass Blumen gestohlen werden können. Wie Susanne Bracht, Leiterin der Ehemaligen Jüdischen Schule, zudem erklärt, seien Blumen vergänglich, da sie verwelken können. Der Blumenschmuck falle daher überwiegend weg und sei nicht relevant. Warum dies ein wichtiger Grund ist, erklärt sich in der nächsten Frage.
Warum bleiben jüdische Gräber an Ort und Stelle?
Im Gegensatz zu staatlichen oder christlichen Friedhöfen werden jüdische Gräber nicht eingeebnet. „Sie sind für die Ewigkeit ausgelegt“, erläutert Susanne Bracht. Die Toten werden beerdigt und dort dann gelassen – bis zur Auferstehung. Der Friedhof werde außerdem als Haus des Lebens – Hebräisch „Beth Chaim“ – angesehen und nicht als ein Ort des Todes, so Bracht.
Auch wenn der Friedhof nicht mehr aktiv genutzt werde, bleibe er ein religiöser Ort. „Die Gräber sollen unberührt bleiben“, so Bracht. Das Grab eines jüdischen Menschen sei sein Eigentum, für das die Angehörigen bezahlt hätten, erläutert auch Riethmüller. „Jüdische Friedhöfe haben Ewigkeitsbestand“, macht er ebenfalls deutlich.
Was ist der Unterschied bei jüdischen Grabsteinen?
Der Grabstein auf einem jüdischen Friedhof unterscheide sich enorm zu dem auf einem staatlichen oder christlichen. Zunächst stehe oben auf Hebräisch „Hier ist bestattet“, erläutert Riethmüller. Dann folge der Name, der im Jiddischen geschrieben ist. Darunter stehe die Segensformel „Seine/ihre Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens“ auf Hebräisch.
Gibt es noch Beerdigungen auf den jüdischen Friedhöfen in Leer?
Ja, zumindest an der Groninger Straße. So wurde Friedel Weinberg, die Schwester des Holocaust-Überlebenden und Ehrenbürger der Stadt Leer, Albrecht Weinberg, dort 2012 beerdigt. „Es kommen auch regelmäßig Angehörige auf den Friedhof“, so Bracht. Das könne man auch an den Steinchen sehen, die dort abgelegt werden. Nach der Schändung habe sich auch ein Angehöriger aus Israel gemeldet, den die Tat tief betroffen machte. Der Friedhof am Logaer Weg wird hingegen nicht mehr aktiv genutzt.
Wie werden die Gräber gepflegt?
Dadurch, dass es keine Beete und Blumen gibt, ist die Grabpflege einfacher. Das sei auch beabsichtigt, so Riethmüller. Der Rasen werde einfach gemäht. „Dadurch dass man keine Blumen aufbringt, entfällt auch die Umrandung.“
Was muss man beim Besuch eines jüdischen Friedhofs beachten?
Am Schabbat, dem jüdischen Ruhetag, soll der Friedhof nicht betreten werden, sagt Susanne Bracht. Dieser beginnt am Freitagabend bei Sonnenuntergang und geht bis Samstagabend bei Einbruch der Dunkelheit. Auf einem jüdischen Friedhof sollte ein Mann über 14 Jahre außerdem eine Kopfbedeckung tragen. „Das muss keine Kippa sein“, betont Riethmüller. Es könne auch ein einfacher Hut oder eine Mütze sein. Auch eine Kapuze sei möglich, ergänzt Susanne Bracht.
Normalerweise seien die Grabsteine auf einem jüdischen Friedhof an einem Weg ausgerichtet. „Vor dem Grab liegen normalerweise Platten auf denen man langgeht“, so Riethmüller. Diese seien aber von den Nazis entfernt worden, als sie die Friedhöfe geschändet haben.