Serie „Fehntjer Geschichte(n)“ Lünsen – Osterspaß und gelebte Brauchtumspflege
Ostern steht kurz bevor. Dass bunte Eier zu weit mehr taugen als zum Verzehr, zeigen ostfriesische Traditionen. In Timmel sollen sich schon 1856 die Seefahrtschüler beim Lünsen vergnügt haben.
Großefehn - Dieser Osterspaß darf für viele Fehntjer nicht fehlen: Beim Lünsen kommen Groß und Klein zusammen und schicken ihre bunten Ostereier nacheinander ins Rennen. Am Fehnmuseum „Eiland“ in Westgroßefehn beispielsweise wird diese Tradition seit 2010 jährlich mit Leben gefüllt. Museumsleiterin Kerstin Buss und ihre Mitstreiter empfangen auch diesmal wieder am Ostersonntag, 31. März 2024, und Ostermontag, 1. April 2024, in der Zeit von 14 bis 17 Uhr wettkampfwillige Eierroller. Wer hier antreten möchte, sollte an reichlich Kleingeld denken. „Ziel des Spiels ist es, ein schon im Kreis liegendes Ei zu treffen“, erklärt Buss. Derjenige, dessen Ei angestoßen wurde, muss demjenigen, der den Treffer landete, fünf Cent zahlen.
Hart gekochte und natürlich österlich bunt gefärbte Eier werden von einer Erhebung in einer Rinne, der Lünskebahn, in einen möglichst glatten Kreis aus gelbem Sand gerollt. Das „Spielfeld“ wird an den Seiten begrenzt. Das Lünsen kennt man vor allem in Timmel und Westgroßefehn, erzählt die Museumsleiterin. „So sollen sich schon 1856 die Seefahrtschüler in Timmel vergnügt haben.“ Der Lehrer Otten brachte das traditionelle Ostervergnügen um 1900 nach Westgroßefehn. Einige Familien pflegten diesen Brauch noch über Jahrzehnte weiter. So auch die Familie Buss. „Mein Mann ließ Ostern gelben Sand ankarren“, erinnert sich Kerstin Buss. „Es war ihm wichtig. Er wollte die Tradition am Leben erhalten.“ Ähnlich ergeht es wohl auch ihr selbst. Ab 2010 holte sie den familienfreundlichen Spaßwettkampf ans Fehnmuseum auf dem „Eiland“.
Lünsen und Trüllen
Auch in Timmel kann zu Ostern auf dem Dorfplatz das Ei gerollt werden: Der Ortsrat Timmel wird auch in diesem Jahr eine Bahn aufbauen, die am Ostersonntag und Ostermontag ganztags genutzt werden kann, bestätigt die Großefehn Tourismus GmbH. Lünsen ist jedoch nicht der einzige Osterbrauch in Ostfriesland, der seit Generationen überliefert wird. Der bekannteste ist wohl das Entzünden des Osterfeuers, wie man auch das Färben und Verstecken der Eier überall im Land kennt. „Auf diese Weise wird der Winter vertrieben und der Frühling begrüßt“, beschreibt die Kulturagentur der Ostfriesischen Landschaft den historischen Ursprung der vielen Feuer, die am Ostersamstag in Ostfriesland auflodern.
Lünsen wird in der Auflistung traditioneller Osterbräuche der Landschaft allerdings nicht extra erwähnt. Sehr wohl aber das Trüllen oder Trullen: Da werden die Eier von Deichen, Dünen und anderen Erhebungen gerollt. Den Unterschied macht hier, wie Kerstin Buss weiß, vor allem die Art der Erhebung, von der aus das Ei startet: Leer hat mit seinem Plytenberg und Aurich mit den „Eierbergen“ im Wallinghausener Wald natürliche Erhebungen, von denen die Eier hinuntergerollt werden können. Dort wird getrüllt. Gewinner ist hier derjenige, dessen Ei am weitesten rollt – und dabei heile bleibt. „Hier auf dem Fehn und in Timmel wurde dieses Brauchtum Lünsen genannt. Das Land war hier flach und so musste man sich selbst kleine Anhöhen bauen und begrenzte den Rollvorgang mit einem umwallten Kreis.“
Smieten und Hicken-Bicken
Der Fantasie, was mit bunten Eiern möglich ist, sind keine Grenzen gesetzt. Auch als Wurfgeschosse sind sie beliebt. Beim Eiersmieten, fasst die Kulturagentur der Landschaft zusammen, geht derjenige als Sieger aus dem Wettkampf hervor, „dessen Ei sowohl am weitesten fliegt als auch unversehrt bleibt“. Auch beim Bicken geht es darum, möglichst das robusteste Ei und dazu die beste Technik zu haben: Die bunten Eier werden mit den Spitzen gegeneinander gestoßen. Hier ist der Sieger ebenfalls derjenige mit dem unversehrten Ei.
Viele Traditionen, ein Gedanke: Sie stärken das Gemeinschaftsgefühl und fördern den Zusammenhalt, sagte die frühere Leiterin der Kulturagentur, Katrin Rodrian, einmal über das hiesige Brauchtum. „Die gehören für viele einfach zum Heimatgefühl.“ Und dabei schrieb Jan ten Doornkaat Koolman schon im 1879 erschienenen Plattdeutschen Wörterbuch über das Lünsen, „diese uralte Sitte“ komme aus der Mode und gerate zusehends in Vergessenheit. Besonders anschaulich sind die Beschreibungen des Spektakels, die er hier festhielt: Beim Eierspiel werde „viel Lärm und Geschrei“ von den beteiligten Kindern gemacht. Damals gab es ten Doornkaat Koolman zufolge noch keinen finanziellen Anreiz zur Teilnahme – vielmehr wurde damals das getroffene Ei des Gegners einbehalten.