Die Meeresbiologin Wer kommt, wird aufgenommen

Doris Zuidema
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Von Doris Zuidema
| 16.06.2024 18:18 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
Hat das, was ein Spaziergänger findet, Knubbel, Fäden, Beine oder eine Schale? Mithilfe der App BeachExplorer können Tiere und Pflanzen bestimmt werden. Wird das Foto des Fundes, hier eine blaue Haarqualle, hochgeladen, können außerdem Wissenschaftler Erkenntnisse gewinnen. Foto: Ortgies
Hat das, was ein Spaziergänger findet, Knubbel, Fäden, Beine oder eine Schale? Mithilfe der App BeachExplorer können Tiere und Pflanzen bestimmt werden. Wird das Foto des Fundes, hier eine blaue Haarqualle, hochgeladen, können außerdem Wissenschaftler Erkenntnisse gewinnen. Foto: Ortgies
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Neue Arten siedeln sich in der Nordsee an. Wie Laien Wissenschaftlern bei der Erforschung neuer Lebensformen helfen können, erläutert Dr. Valeria Bers, Leiterin der Watt-Welten auf Norderney.

Norderney - Als sich in den 80er Jahren die an wärmere Gewässer gewöhnte pazifische Auster in der Nordsee wohlzufühlen begann, fürchteten Wissenschaftler um die heimische Miesmuschel. Jetzt, 40 Jahre später, erweist sich diese Sorge als unbegründet. „Die Austern überwuchern zwar immer noch die Miesmuschelbänke, aber die Miesmuscheln sind in die Ritzen gezogen, sozusagen in den Keller“, sagt Meeresbiologin Dr. Valeria Bers. Zwar seien sie jetzt etwas kleiner, aber in ihren Verstecken auch besser vor ihren größten Fressfeinden, den Vögeln, geschützt. „Meeresbewohner sind, im Gegensatz zur menschlichen Gesellschaft, hochintegrativ“, so die Leiterin des Watt-Welten-Besucherzentrums auf Norderney. „Wer kommt, wird aufgenommen.“

Dr. Valeria Bers ist Meeresbiologin. Sie lebt und arbeitet seit fünf Jahren auf Norderney. Foto: Ortgies
Dr. Valeria Bers ist Meeresbiologin. Sie lebt und arbeitet seit fünf Jahren auf Norderney. Foto: Ortgies

Miesmuschel ist quasi „in den Keller“ gezogen

Und sie kommen, die anderen Arten, die traditionell gesehen in der Nordsee bislang nichts zu suchen hatten. „Das Meer ist ein einziger grenzenloser Lebensraum“, sagt Dr. Behrs. Durch den globalen Schiffsverkehr haben sie eine Mitfahrgelegenheit, die es ihnen leicht macht, sich woanders anzusiedeln. Und durch die Klimaerwärmung fühlen sich hier inzwischen auch eingewanderte Arten wohl.

Eine von „den Neuen“ ist die Manila-Teppichmuschel, die ursprünglich aus der Gegend um Sri Lanka und von den Philippinen stammt und den 1970er Jahren als „Kulturmuschel“ absichtlich nach England und Frankreich gebracht wurde. Von dort breitete sie sich weiter aus. Im vergangenen Februar wurde sie erstmals auf Borkum entdeckt, im Verlauf des Sommers auch auf Norderney und Juist.

Globaler Schiffsverkehr befördert Meerestiere

Dass invasive Arten per se ein Übel sind, will Dr. Valeria Bers nicht gelten lassen. Den Tieren und Pflanzen gelänge es in der Regel über einen Zeitraum von wenigen Jahrzehnten, zu einer Koexistenz zu finden. „Meeresbewohner können sich prima anpassen.“ Gefährlich für das Ökosystem werde es erst dann, wenn mehrere ungünstige Faktoren gleichzeitig einwirken. „Temperaturanstieg in der Nordsee plus eine neue Art plus Überdüngung – die Gesamtheit der Stressoren macht das Ökosystem instabil und bringt es im schlimmsten Fall zum Kippen.“

Das, was Dr. Valeria Bers in der Hand hält, ist nicht etwa eine Pflanze. Es ist ein Moostierchen. Foto: Ortgies
Das, was Dr. Valeria Bers in der Hand hält, ist nicht etwa eine Pflanze. Es ist ein Moostierchen. Foto: Ortgies

Austern kommen, Seesterne gehen

Die Meeresbiologin hat nicht nur die Einwanderung neuer Arten beobachtet, sondern auch das Ausweichen von alteingesessenen. „Früher fand man ganz viele Seesterne am Strand. Jetzt fast gar keine mehr“, sagt die 47-Jährige. Das läge daran, dass die Nordsee für den eigentlich arktischen Meeresbewohner ohnehin das südlichste Verbreitungsgebiet sei. Nun, nachdem die Nordsee immer wärmer wird, zieht er sich in tiefere Gewässer oder in den Norden zurück.

Und ein kleines, feines Tierchen, das schon ganz verschwunden schien, kommt nun allmählich zurück: das Seepferdchen. Seine Lebensbedingungen hatten sich an der Nordseeküste zuletzt verschlechtert. Durch Überdüngung war das Seegras, an dem sich die schlechten Schwimmer mit ihren Schwänzen festklammern, verschwunden. Doch im vergangenen Jahr wurden auf mehreren Inseln wieder Exemplare gefunden, die jetzt vom Landesmuseum Oldenburg und dem Thünen-Institut genetisch untersucht werden. Wurden sie nur aus Großbritannien angespült? Oder haben sie sich hier sogar vermehrt? Denn die Fähigkeit zur Fortpflanzung ist laut Dr. Valeria Behrs ein wichtiges Indiz dafür, dass Arten tatsächlich in der Nordsee heimisch werden.

Auch in der Watt-Welten selbst sind allerlei Meeresbewohner zu entdecken.
Auch in der Watt-Welten selbst sind allerlei Meeresbewohner zu entdecken.

Tiere bestimmen, Wissenschaftlern helfen

Doch egal ob Einwanderer, Auswanderer, Rückkehrer oder Alteingesessene: Um die Entwicklung des Ökosystems Wattenmeer vor Norderney zu beobachten, benötigen die Forscher Daten. Dabei hoffen sie auf die Unterstützung von Insulanern und Urlaubern. Wer am Strand außergewöhnliche Tiere oder Pflanzen entdeckt, kann ein Foto davon machen und beim BeachExplorer – als App oder auf www.beachexplorer.org – nachschauen, um was es sich handelt.

Hat das Lebewesen Beine, eine Schale, Knubbel oder ist es fädrig? „Dieser Online-Bestimmungs-Schlüssel ermöglicht es Nicht-Wissenschaftlern, die Tiere und Pflanzen zu bestimmen. Wird das Foto an Ort und Stelle auf dieser Plattform hochgeladen, können wir Meeresbiologen anhand der Standortdaten der Handys ganz genau erkennen, wo das Lebewesen gefunden worden ist“, sagt Dr. Valera Bers.

Dr. Valeria Bers ist Leiterin des Watt-Welten-Besucherzentrums auf Norderney. Foto: Ortgies
Dr. Valeria Bers ist Leiterin des Watt-Welten-Besucherzentrums auf Norderney. Foto: Ortgies

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