Neue Stolpersteine Das sind die Schicksale von 20 jüdischen Leeranern

| | 30.05.2024 16:02 Uhr | 1 Kommentar | Lesedauer: ca. 5 Minuten
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Die Stolpersteine, die am Wochenende in Leer verlegt werden, befinden sich noch in einem Karton. Foto: Brahms
Die Stolpersteine, die am Wochenende in Leer verlegt werden, befinden sich noch in einem Karton. Foto: Brahms
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20 neue Stolpersteine sollen am Wochenende in Leer verlegt werden, um an die ehemaligen jüdischen Mitbürger der Stadt zu erinnern. Wir haben ihre Schicksale zusammengefasst.

Leer - Vor der Zeit des Nationalsozialismus gehörten die jüdischen Familien Benjamin, Weinberg, Mendels, Menkel, de Vries und Mindus zu den Bürgern der Stadt Leer. Sie waren Schüler, Vieh- oder Einzelhändler. Doch als die Nazis an die Macht kamen, wurden viele Familienmitglieder deportiert und ermordet. Nur sehr wenige konnten fliehen und überlebten. Am kommenden Wochenende soll dieser Familien gedacht werden. Dort, wo früher ihre Häuser in Loga sowie in der Innenstadt standen, sollen 20 Stolpersteine ins Straßenpflaster eingesetzt werden. Nachfahren der Familien werden ebenfalls vor Ort sein. Der Künstler Gunter Demnig ist dieses Mal hingegen nicht dabei.

Die Verlegung

Der erste Teil der Stolpersteinverlegung beginnt am Sonntag, 2. Juni 2024, um 11 Uhr an der Hohen Loga 34. Weiter geht es danach zur Hohen Loga 14 sowie zum Roten Weg 24 in Loga. Die Veranstaltung wird etwa zwei Stunden dauern. Die Stolpersteinverlegung wird von Schülerinnen und Schülern der BBS II und der Möörkenschule unterstützt. Interessierte sind herzlich eingeladen. Im Anschluss findet ein Empfang im Gemeindehaus der Friedenskirche statt.

Am Montag, 3. Juni, werden ab 9 Uhr in der Mühlenstraße 98 weitere Stolpersteine verlegt. Die Veranstaltung wird im Wesentlichen von Schülerinnen und Schülern des Teletta-Groß-Gymnasiums gestaltet. Anschließend findet ein Empfang in der Ehemaligen Jüdischen Schule statt. Auch dort sind Interessierte willkommen.

Auch diesmal gebe es wieder eine Broschüre, in der die Lebensgeschichten der Familien und weitere Hintergründe dokumentiert sind. Gegen einen Spendenbeitrag von zwei Euro könne dieses 60 Seiten starke Heft an den Verlegetagen erworben werden, später auch noch in der Ehemaligen Jüdischen Schule und dem Heimatmuseum.

Viel Energie habe die Recherchegruppe in die Erforschung der Lebensläufe der Menschen gesteckt, für die jetzt Stolpersteine verlegt werden. „Es ist immer wieder erstaunlich, wie viele Fotos, Dokumente und Literatur zu den einzelnen Menschen ausfindig gemacht werden kann“, sagt der Sprecher der Initiativ-Gruppe, Bernd-Volker Brahms. Dennoch sei die Recherche sehr aufwendig. Viele Informationen würde man in den Arolsen Archives finden. Das ist eigenen Angaben zufolge das weltweit größte Archiv über die Opfer und die Überlebenden des NS-Regimes. Es hat seinen Sitz im nordhessischen Bad Arolsen. Die Gruppe suche aber auch den Kontakt zu noch lebenden Verwandten.

Hohe Loga 34

Dort wohnten Esther Benjamin, Sophie Benjamin, Jacob Weinberg, Berta Weinberg, Elfriede Weinberg und Alwine Mendels.

Esther Benjamin (geb. de Levie) wurde im Jahr 1866 in Oude Pekela geboren. Sie übernahm 1908 nach dem Tod ihres Mannes Marco Salomon vermutlich den Kolonialwarenladen in dem Gebäude. 1939 flüchtete sie nach Winschoten, wurde 1942 in Westerbork interniert und 1944 nach Theresienstadt deportiert. Sie wurde am 18. November 1944 ermordet.

Künstler Gunter Demnig hat die Stolpersteine 2023 persönlich in Leer verlegt. Dieses Mal machen es die Initiatoren selbst. Foto: Brahms/Archiv
Künstler Gunter Demnig hat die Stolpersteine 2023 persönlich in Leer verlegt. Dieses Mal machen es die Initiatoren selbst. Foto: Brahms/Archiv

Ihre Tochter Sophie Benjamin wurde im Jahr 1894 geboren. Sie flüchtete 1939 zu ihrer Mutter in die Niederlande, wurde 1942 in Westerbork interniert und 1944 nach Theresienstadt deportiert. Im selben Jahr wurde sie in Auschwitz ermordet.

Ihre Schwester Bertha Weinberg (geb. Benjamin) wurde 1896 geboren. Sie war mit Jacob Weinberg (geboren 1900 in Emden) verheiratet. Dieser wurde 1938 in „Schutzhaft“ genommen und kam ins KZ Sachsenhausen. Nach seiner Rückkehr flüchteten sie 1938 mit der gemeinsamen Tochter Elfriede (geboren 1933) nach Rotterdam und Amsterdam. Sie wurden 1940 unter anderem in Westerbork interniert. Am 16. Mai 1944 wurden die drei ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Bertha und Elfriede Agnes wurden dort am 7. Juli 1944 ermordet. Am 28. Februar 1945 wurde auch Jacob Weinberg im KZ Auschwitz für tot erklärt.

Die weitere Schwester von Sophie und Bertha, Alwine Mendels (geb. Benjamin), wurde 1906 in Loga geboren. Sie lebte nach der Hochzeit mit ihrem Mann am Niederrhein. 1941 wurde sie nach Lodz/Litzmannstadt deportiert und am 15. Mai 1942 in Chelmno/Kulmhof ermordet.

Hohe Loga 14

Dort wohnten Walter Menkel, Rosa „Röschen“ Menkel, Kurt Menkel, Heinz Menkel, Siegmund de Vries, Marie de Vries und Elisabeth de Vries.

Walter Menkel wurde 1890 in Lüdenscheid geboren. Er erlernte den Beruf des Schlachters und Viehhändlers. 1938 kam er in „Schutzhaft“ ins KZ Buchenwald. 1940 musste er unfreiwillig nach Bremen umziehen. 1941 wurde er ins Ghetto nach Minsk deportiert und am 28. Juli 1942 ermordet.

Rosa „Röschen“ Menkel (geb. Roseboom) wurde 1895 in Loga geboren. 1940 musste auch sie unfreiwillig nach Bremen umziehen. 1941 wurde sie ins Ghetto nach Minsk deportiert und am 28. Juli 1942 ermordet.

Mit den Stolpersteinen soll an die ehemaligen jüdischen Mitbürger erinnert werden. Foto: Brahms/Archiv
Mit den Stolpersteinen soll an die ehemaligen jüdischen Mitbürger erinnert werden. Foto: Brahms/Archiv

Ihr Sohn Kurt Menkel wurde 1920 in Leer geboren. Wie sein Vater wurde er 1938 im KZ Buchenwald in „Schutzhaft“ genommen. 1940 musste er ebenfalls nach Bremen umziehen und wurde 1941 ins Ghetto nach Minsk deportiert. 1943 wurde er nach Lublin gebracht und kurz darauf ermordet.

Sein Bruder Heinz Menkel wurde 1923 in Leer geboren. 1941 wurde er ins Ghetto nach Minsk und 1943 ins KZ Krakau-Plaszow deportiert. 1944 kam er ins KZ Flossenbürg. Kurz vor Ende des Krieges musste er auf einem Todesmarsch in ein anderes Lager. Schließlich wurde er von der UR-Armee befreit. Er kam zunächst nach Leer und starb am 13. Februar 1971 mit 47 Jahren.

Siegmund de Vries wurde 1895 geboren. Er flüchtete 1935 nach Mussel-Kande in die Niederlande, wurde 1942 in Amersfoort interniert, schließlich nach Auschwitz deportiert und dort am 25. August 1942 ermordet.

Marie de Vries (geb. Roseboom) wurde 1897 geboren. Sie flüchtete ebenfalls 1935 nach Mussel-Kande und überlebte in einem Versteck.

Ihre Tochter Elsbeth de Vries wurde 1929 geboren. 1935 kam sie mit auf die Flucht in die Niederlande. Sie wurde 1943 verraten, in Westerbork interniert und nur wenige Tage später nach Auschwitz deportiert. Sie wurde am 19. November 1943 ermordet.

Roter Weg 24

Hier wohnten Geertje Mindus, Max Mindus und Selma Mindus.

Geertje Mindus (geb. de Levie) wurde 1892 geboren. 1941 wurde sie nach Lodz/Litzmannstadt deportiert und am 17. Januar 1942 ermordet.

Ihr Sohn Max Mindus wurde 1895 geboren, dessen Frau Selma (geb. Poli) 1897. Er war gelernter Viehhändler. 1940 mussten beide nach Berlin umziehen. 1942 wurden sie nach Theresienstadt deportiert. Sie wurden befreit und überlebten. 1950 wanderten sie in die USA aus. 1952 erhielten sie das Haus in Loga zurück. Sie kamen aber nicht zurück. Max wurde 66 Jahre alt und starb am 28. August 1961,

seine Frau Selma wurde 64 Jahre alt, sie starb am 7. November 1961.

Das Haus in der Mühlenstraße 98, in dem sich jetzt die Leeraner Confiserie befindet, gehörte früher der jüdischen Familie de Vries. Die Gebäude der anderen jüdischen Familien, an die jetzt gedacht wird, existieren hingegen nicht mehr. Foto: Bothe
Das Haus in der Mühlenstraße 98, in dem sich jetzt die Leeraner Confiserie befindet, gehörte früher der jüdischen Familie de Vries. Die Gebäude der anderen jüdischen Familien, an die jetzt gedacht wird, existieren hingegen nicht mehr. Foto: Bothe

Mühlenstraße 98

Hier wohnten Jonas de Vries, Bertha de Vries, Elisa de Vries und Sicilia de Vries.

Jonas de Vries wurde 1880 geboren. Er war gelernter Kupferschmied und betrieb eine Klempnerei und eine Fahrradhandlung in ihrem Haus. Er kam 1938 in „Schutzhaft“ ins KZ Sachsenhausen. 1940 musste er mit seiner 1885 geborenen Frau Bertha (geb. Wolffs) und seiner ältesten Tochter Sicilia (geboren 1922) nach Berlin umziehen. Die jüngere Tochter Elisa kam 1929 zur Welt. Sie kam 1940 zunächst nach Hildesheim in ein jüdisches Kinderheim, dann nach Berlin. Am 6. März 1943 wurden Jonas, Bertha und Elisa de Vries nach Auschwitz deportiert, Sicilia knapp eine Woche später. Alle wurden dort ermordet.

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