Serie „Fehntjer Geschichte(n)“ Zeitzeugen im Interview – damit ihre Erinnerungen weiterleben

| | 15.06.2024 15:49 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 6 Minuten
Heyo Gerhard Onken ist Müllermeister im Ruhestand. Den nutzt er unter anderem dafür, um die Erinnerungen anderer zu konservieren. Er macht Interviews mit Zeitzeugen, die im Film festgehalten und einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden. Foto: Ullrich
Heyo Gerhard Onken ist Müllermeister im Ruhestand. Den nutzt er unter anderem dafür, um die Erinnerungen anderer zu konservieren. Er macht Interviews mit Zeitzeugen, die im Film festgehalten und einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden. Foto: Ullrich
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Etwa 90 Gespräche mit Zeitzeugen hat Heyo Onken in den zurückliegenden Jahren geführt und im Bild festgehalten. Längst nicht alle leben heute noch. Ihre Erinnerungen aber bleiben.

Westgroßefehn - Es wirkt wie ein Blick in die Wohnzimmer Ostfrieslands. Echte Menschen erzählen aus ihrem Leben. Sie erinnern sich bei einer Tasse Tee an bestimmte Begebenheiten, von denen viele Jüngere vermutlich gar nichts mehr wissen. Sie berichten Heyo Gerhard Onken von Episoden ihres Lebens, über die sie sonst vermutlich nur selten oder vielleicht auch gar nicht sprechen. Manchmal fördert dies Erinnerungen zutage, die teils über Jahrzehnte hinweg verschüttet waren. Dabei läuft eine Kamera – die die Interviewten jedoch bestmöglich vergessen sollen. Seit 2009 geht Onken für das Zeitzeugen-Projekt der Geschichtswerkstatt des „Fehnmuseums Eiland“ in Westgroßefehn zu den Menschen – und bannt ihre Erinnerungen mit der Unterstützung eines Kameramanns auf Film.

In der Teestube im „Fehnmuseum Eiland“ werden in den Wintermonaten die fertigen Zeitzeugen-Interviews im Rahmen gemütlicher Filmabende vorgestellt. Foto: Ortgies/Archiv
In der Teestube im „Fehnmuseum Eiland“ werden in den Wintermonaten die fertigen Zeitzeugen-Interviews im Rahmen gemütlicher Filmabende vorgestellt. Foto: Ortgies/Archiv

Die Vorstellung dieses fertigen Films ist in der Regel ein gut besuchter Treffpunkt für Freunde und Verwandte des Interviewten wie auch Stammgäste, die sich für die Geschichte und die Geschichten vom Fehn und von Ostfriesland interessieren. Etwa 90 Gespräche hat der 87 Jahre alte Müllermeister aus Westgroßefehn bereits geführt. Längst nicht alle dieser Gesprächspartner leben heute noch: Annette Ahrends aus Wittmund beispielsweise gab ihr Interview 2017 im stolzen Alter von 107 Jahren. Fast ein Drittel von Onkens Gesprächspartnern, die in den Zeitzeugenfilmen zu sehen sind, lebt nicht mehr: „Wenn ich da ein Kreuzchen machen sollte, für die, die schon gestorben sind – dann sind das eine ganze Menge.“

Aller Anfang ist schwer

Die Idee zu diesen Zeitzeugenfilmen hatte Willi Meinders, ehemaliger Vorsitzender des Museumsvereins, im Jahr 2009: „Er sagte über alles, was er hörte: ‚Das muss man doch festhalten für die Nachwelt‘.“ Dann habe er Onken einen Vorschlag unterbreitet: „Du kannst das Gespräch führen – und ich halte das fest mit der Kamera“, soll er gesagt haben, erinnert sich der Müller. Nicht immer lief dabei alles glatt: Das allererste Zeitzeugen-Interview musste wiederholt werden, erinnert sich Onken. Das Duo traf Willi Schapp zum Gespräch. Auch er gehört zu den Gesprächspartnern, die in der Zeit nach der Aufzeichnung verstarben. „Seine Vorfahren hatten eine Werft und einen Holzhandel.“

Die Interviews finden meist im Wohnzimmer des Gesprächspartners statt. Da fühle er sich am wohlsten und könne ungezwungen plaudern, weiß Onken. Symbolfoto: Pixabay
Die Interviews finden meist im Wohnzimmer des Gesprächspartners statt. Da fühle er sich am wohlsten und könne ungezwungen plaudern, weiß Onken. Symbolfoto: Pixabay

Die Kamera wurde positioniert und bei Tee nahm das Gespräch sodann seinen Lauf. „Dann stellten wir schnell fest, dass wir einen Fehler gemacht hatten.“ Der Interviewte saß vor einem Fenster – die gesamte Aufnahme sei aufgrund des Gegenlichts unscharf gewesen. „Also haben wir das nochmal gedreht.“ Einmal, ergänzt Onken, fehlte die Kamera ganz. Vieles hat sich im Laufe der Zeit verändert. So sei die technische Ausstattung beispielsweise professioneller geworden. Das Team rückt nicht mehr nur mit einer Kamera, sondern auch mit eigener Beleuchtung an. Und die braucht Platz. „Das ist ein ziemlicher Aufwand und Aufstand im Haus“, weiß Onken. „Da müssen schonmal die Möbel gerückt werden.“

Onken ist Gesicht und Stimme des Projekts

Das Filmen hat mittlerweile Hans Meyer übernommen, nachdem sich Meinders aus Zeitgründen zurückzog. Hans Tyedmers ist der Produzent. Er bannt die Filme auf DVD, die nach ihrer Premiere im Museum auch zum Kauf angeboten werden. Später wird zumindest ein Teil auch im Internet auf der Plattform YouTube veröffentlicht. Onken ist die Konstante in dem Projekt. Er ist das Gesicht und die Stimme der Zeitzeugen-Interviews. Seine Herangehensweise aber hat er in all den Jahren nicht verändert: Der 87-Jährige kontaktiert seine potenziellen Gesprächspartner zuerst einmal und klopft deren Interesse ab. Angefangen hatte es im Umfeld des Fehnmuseums. Heute aber fragt Onken sich quer durch Ostfriesland. Auch thematisch ist es bunt gemischt: Kriegserlebnisse, Handwerk, Seefahrt, Biografien.

Heyo Onken vor dem historischen Kamin im Müllerhaus der Mühle Westgroßefehn. Foto: Ullrich
Heyo Onken vor dem historischen Kamin im Müllerhaus der Mühle Westgroßefehn. Foto: Ullrich

Gesprächspartner finde er zum Teil selbst, unter anderem durch seine Vorstandsarbeit im Museumsverein und als alteingesessener Unternehmer. Oder er bekomme Tipps, wer etwas Interessantes zu erzählen hat. Nach dem Erstkontakt gibt es ein unverbindliches Vorgespräch: „Das geht ganz locker.“ Das diene Onken vor allem zur Themenfindung. „Da notiere ich mir einiges.“ Später sortiert er, was von breitem Interesse ist – und was nicht. Auf dieser Basis erstellt der Geschichtsinteressierte dann seinen Leitfaden fürs spätere Gespräch für sein Gegenüber. „Den schicke ich ihm hin. Das ist das Gerüst für das Gespräch.“ Der Gefragte könne es auch ergänzen.

Dreh bei Tee – Premiere bei Tee

Gedreht wird immer im Zuhause der Protagonisten. Und das hat Onken zufolge einen Grund: „Wir haben es ja immer mit Laien zu tun. Wenn die wissen, dass sie aufgenommen werden, sind sie nervös.“ In ihren eigenen vier Wänden würden sie die Kamera deutlich schneller vergessen als in einer ihnen fremden Umgebung. „Sie plaudern drauf los – ohne irgendwelche Hemmnisse.“ Zwischendurch werde eine Tasse Tee eingeschenkt. Oder ein Hund habe seine Schnute auf dem Tisch. Für den Zuschauer ergibt sich dadurch später ein authentisches Bild – fast so, als würde man seinen Nachbarn durchs Schlüsselloch in dessen Stube beobachten. „Da kommen ganz offene Gespräche zustande. Und da kommen Dinge, die viele nicht mehr wissen.“

Die Technik, die für die Interviews zum Einsatz kommt, wurde nach und nach professioneller. Symbolfoto: Pixabay
Die Technik, die für die Interviews zum Einsatz kommt, wurde nach und nach professioneller. Symbolfoto: Pixabay

Nicht immer nimmt ein Gespräch den Verlauf des Vorgesprächs. Manches werde vertieft, anderes bleibe später unerwähnt. Eine Stunde lang wird geplaudert. Geschnitten wird hier später nichts. Etwa acht solcher Zeitzeugen-Interviews pro Jahr feiern im „Fehnmuseum Eiland“ pro Winter Premiere. Statt eines roten Teppichs und Schampus gibt es Tee und Kuchen. Im September geht es wieder los. „Da muss ich sehen, dass ich bis dahin wieder was produziere“, stellt Heyo Onken in Aussicht. Viele Stammgäste seien regelmäßig da, um die alten Geschichten vom Fehn oder aus anderen Teilen Ostfrieslands zu hören. „Wir haben immer viel Zuspruch“, freut der ehemalige Müller von Westgroßefehn sich. Um die 40 bis 60 Personen seien immer dabei, wenn die Filme gezeigt werden. „Wir haben auch schon über 100 gehabt – und mussten die letzten wegschicken.“

Der Interviewer im Interview

Für Heyo Onken sind die Zeitzeugen-Gespräche ein wichtiger Beitrag, um Erinnerungen zu konservieren. Um Alltägliches oder besondere Begebenheiten festzuhalten, die nach und nach in Vergessenheit geraten würden, wenn niemand mehr über sie spricht – schon allein darum, weil es keine Augenzeugen mehr gibt, die ihre Beobachtungen teilen könnten.

Die Onkensche Kornmühle in Westgroßefehn. Foto: Ullrich
Die Onkensche Kornmühle in Westgroßefehn. Foto: Ullrich

Bleibt eine Frage: Wer interviewt eigentlich den Zeitzeugen Heyo Onken? Seit 130 Jahren schon ist die Mühle Westgroßefehn im Besitz seiner Familie – hier geht es zum Serienteil „Fehntjer Geschichte(n)“, in dem es um genau diese Mühle geht. Insgesamt hat sie mehr als 250 Jahre auf dem Buckel. Nicht nur über sie und das Müllerhandwerk kann Onken einiges erzählen. Ja, lenkt er ein, dazu gebe es bereits eine Idee: In absehbarer Zeit werde er selbst einmal in ungewohnter Rolle vor die Kamera treten, verspricht er. Dann nämlich als Interviewter, nicht als Interviewer. „Es ist einiges, was man in einem relativ langen Leben erfahren hat.“

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