Serie „Fehntjer Geschichte(n)“ Warum es in Großefehn Compagniehäuser gibt
Das „Historische Compagniehaus“ in Ostgroßefehn ist gar nicht so historisch. Dennoch atmet jeder Backstein Geschichte. Ein anderes dieser Gebäude ist längst Geschichte – ein weiteres vielleicht bald.
Ostgroßefehn - Es ist ein imposantes Gulfhaus an einer Schnittstelle von Ostgroßefehn: Im Restaurant „Historisches Compagniehaus“ wird geschlemmt, gelacht, geredet und gefeiert. Karin und Andreas Habben sorgen seit 1999 mit Herzlichkeit und Kulinarik dafür, dass ihre Gäste sich wohlfühlen. Im Jahr 2005 kauften sie das Haus mit der für Ostgroßefehn so prägenden Geschichte. In der Entwicklung der Fehne spielten Compagniehäuser eine zentrale Rolle: Sie waren ein wichtiger Teil der Infrastruktur in den Gebieten, in denen das Hochmoor abgetorft wurde. Die soliden Backsteinbauten dienten als Verwaltungssitz, Unterkunft und Schankwirtschaft.
Heute finden in dem ausgebauten Scheunentrakt des Gulfhauses rauschende Feste statt: Hochzeiten, der Neujahrsempfang der Gemeinde Großefehn mit 300 bis 400 Gästen oder große Ehejubiläen und Geburtstage. Die Höhe der offenen Scheune lasse viele voller Bewunderung innehalten und staunen, sagt das Ehepaar Habben nicht ohne Stolz. Heute ist ihr „Historisches Compagniehaus“ gut in Schuss – aber das war längst nicht immer so. Beide erinnern sich an das Haus samt Compagniegarten in ihrer Schulzeit. „Der Zustand war nicht mehr gut“, berichtet Karin Habben. Ihr Mann Andreas kennt das markante Gebäude gegenüber der Mühle vor allem aus der Perspektive eines Nachbarhauses. „Zu unserer Schulzeit war hier noch der die Bäckerei Kruse. Die hatte super Schnecken“, schwärmt er lachend.
Kneipe, Bauernhof, Büro und Hotel in einem
Siegfried Lüderitz bezeichnet die Compagniehäuser als einen bedeutenden Bestandteil der Entwicklungsgeschichte der Fehnsiedlung. Er forschte und schrieb unter anderem über die Rolle der Großefehngesellschaft. Diese hatte ab 1633 die Hochmoorflächen im Gebiet des heutigen West-, Mitte- und Ostgroßefehns gepachtet und verwaltet. Durch den Bau der Schleusen, Wieken, Brücken und Wege, aber auch der Gebäude wie den Compagniehäusern schufen sie das, was sie für den Torfabbau benötigten. Diese Obererbpächter vermieteten die Bauten wiederum an sogenannte Untererbpächter: kleine Leute, die sich auf dem Fehn durch harte Arbeit ein neues Leben aufbauen wollten.
Die Aufgaben eines Compagniehauses waren vielfältig: Es war Kneipe, Bauernhof, Büro und Hotel zugleich. Der Pächter baute im Garten und auf den zum Haus gehörenden Feldern alles an, was er für sich und auch zur Bewirtung seiner Gäste benötigte. Im Stall wurde Vieh gehalten. Es wurde Brot gebacken, Bier gebraut, Schnaps gebrannt. Es wurden Waren verkauft. Es gab einen Ausschank. Schiffe, die auf dem Kanal an einer Schleuse nicht vorankamen, mussten darauf warten, dass mehrere Schiffe anlegten, damit geschleust wurde. Die Torfschiffer vertrieben sich bei einem Bier die Zeit.
Compagniehaus Westgroßefehn wurde abgerissen
Es begann in Westgroßefehn. Das Compagniehaus nahe der Schleuse gehörte ab Gründung der Großefehngesellschaft 1633 zu den ersten Gebäuden, die entstanden. 1776 wurde seitens des Unternehmens festgelegt, dass es erneuert werden müsse. Der Obererbpächter stufte die Immobilie als „sehr baufällig“ ein. 1778 erfolgt der Neubau. Mehr als 180 Jahre später, im Jahr 1962, wurde das Compagniehaus abgerissen und die Lücke, die es hinterließ, durch Einfamilienhäuser geschlossen.
Seine Rolle als wichtiger Treffpunkt hatte das Gebäude lange vorher verloren. Durch das Vorankommen des Torfabbaus wurde 1799 der Bau eines zweiten Compagniehauses beschlossen. Im Jahr 1802 errichteten die Eheleute Heye Janssen Backer und Renske Margarethe Arends dies im heutigen Ostgroßefehn an genau der Stelle, an der noch heute das „Historische Compagniehaus“ steht. Hier bekamen die Kolonisten alles an Nahrungs- und Genussmitteln, was sie nicht selbst anbauen konnten.
Ein neues altes Haus
Kam ein Vertreter der Compagnie, musste der nach vorab genau festgelegten Richtlinien und Preisen bewirtet werden. Lüderitz fand einen Speisezettel für einen der Fehnherren: Morgens gab es Butterbrot zu Kaffee, mittags Kohl und gebratene Enten. Dazu Bier, Wein und Tabak. Abends wurde im Compagniehaus wieder Brot gereicht, mit Schinken, Bier, Wein und Branntwein. Auch für den Knecht des Fehnherrn wurde im Compagniehaus gesorgt. Und fürs Tier: „Für die Pferde der Fehnherren müssen Stallungen, Gras, Heu und Streu bereitgehalten werden.“ Für die Schlafräume der hohen Herren hab es ebenfalls genaue Regeln: Die mussten jederzeit zur Verfügung stehen und sauber und mit guten Betten ausgestattet sein.
Die guten Betten sucht man heute vergebens, gutes Essen und Trinken aber gehört zur Kernkompetenz der Habbens. „Wir versuchen, das Ursprüngliche am Leben zu erhalten“, sagt die Wirtin. Das spiegelt sich in der Speisekarte wider: Gutbürgerliches neben Fisch und Saisonalem. Sie fühlen sich der Historie ihres Hauses verbunden: „Mein Mann war immer geschichtlich interessiert.“ Der verrät: „Ich musste Gästen schon Vorträge über das Haus halten. Das Gebäude ist ja auffällig.“ Für die Gastgeber gehört das dazu: „Das ist Teil der Aufgabe, wenn man so ein altes Haus hat.“ Ein zugegebenermaßen neues altes Haus: Denn um 1960 wurde das Compagniehaus abgetragen – und neu aufgebaut.
Gäste bringen ihre historischen Fotos
Die Gemeinde Großefehn kaufte das Compagniehaus 1982 und machte sich daran, den ursprünglichen Charme und Aufbau nach historischem Vorbild wieder herzustellen: Schankraum, Upkammer und der Festsaal im früheren Stalltrakt mit Galerie und meterhohen Decken. Im Jahr 1989 war dies vollendet und die Familie Schilling übernahm den Betrieb des Gasthofs. Der gelernte Koch Andreas Habben kochte schon für den früheren Pächter; erst als Aushilfe, später als Küchenchef.
Schon beim Eintreten in den Schankraum fallen dem aufmerksamen Gast historische Fotos an den Wänden auf. Eines zeigt das ursprüngliche Compagniehaus ohne die mittlerweile dichte Wohnbebauung drumherum. Stattdessen sind dort noch die Klappbrücke über den Großefehnkanal sowie Pferd und Wagen zu sehen. Diese und andere Erinnerungsstücke an das frühere Fehntjer Leben stammen von Gästen: Sie bringen ihre alten Schätze hierher, damit diese für die Nachwelt erhalten bleiben, erläutert Karin Habben. „Teilweise sagen die: ‚Unsere Kinder haben kein Interesse.‘ Und bevor es wegkommt, geben sie es lieber hierher.“
Kompagniehaus Spetzerfehn verfällt
Altes bewahren – das gelingt nicht immer. In Spetzerfehn fristet das Kompagniehaus ein tristes Dasein. Anders als die Stützpunkte der Großefehngesellschaft sei der Verwaltungssitz der Spetzerfehngesellschaft stets in deutscher Schreibweise mit einem „K“ geschrieben worden, weiß Hinrich Trauernicht. Er war 40 Jahre lang Ortsbürgermeister von Spetzerfehn und hat sich über Jahrzehnte überaus intensiv mit der Geschichte des Ortes auseinandergesetzt: „Das Haus wurde 1792 von Jann Bünting aus Großefehn erbaut.“ Auch in Spetzerfehn gab es mit dem Kompagniehaus eine Gastwirtschaft, in der selbst gebrautes Bier ausgeschenkt wurde. Dazu wurde einst all das verkauft, was die frühen Bewohner Spetzerfehns zum Leben brauchten.
„Als die gegenüberliegende Mühle 1885 abbrannte, griff das Feuer auf das Gebäude über – es brannte ebenfalls ab.“ Wichtige Unterlagen der Spetzerfehngesellschaft seien damals verloren gegangen, bedauert Trauernicht. Im vergangenen Jahrhundert habe Ubbe Schulte die Gaststätte betrieben, von 1949 bis 2003 dann die Familie Jann Ockenga. Es gab einen Fußballplatz und eine öffentliche Viehwaage, erinnert sich Heye Steenblock. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite geht Ostfrieslands letzter gewerblicher Windmüller seiner Arbeit nach. In den 1970er und 1980er Jahren sei in der Gaststätte „gut Betrieb“ gewesen, sagt der: „Vor allem sonntags, wenn Fußball war.“ Seit 1949 gab es hinter dem Kompagniehaus einen Fußballplatz. Trauernicht zufolge lief dort zuerst der SuS Strackholt auf und ab 1950 der SV Spetzerfehn. Von 1950 bis 2003 sei das Kompagniehaus die Vereinsgaststätte des SVS gewesen.
Es war ein Treffpunkt für Spetzerfehn, berichten beide Männer übereinstimmend. Bei Kommunalwahlen wurden in diesem Haus die Kreuze gesetzt, Vereine oder der Gemeinde- beziehungsweise Ortsrat trafen sich zu Versammlungen und die Menschen kamen zum Feiern oder auf ein Gespräch bei einem Bier zusammen. Mittlerweile aber erinnert nur noch wenig an diese geselligen Zeiten. Das Gebäude ist dem Verfall preisgegeben. Zu retten ist dieses Stück Ortsgeschichte – wenn überhaupt – nur noch mit großem finanziellen Einsatz. Ob sich das jemand zutraut, bleibt abzuwarten.