Wikileaks-Gründer Schuldbekenntnis für Freiheit: Assange kommt frei

Carola Frentzen, Benedikt von Imhoff und Christiane Jacke, dpa
|
Von Carola Frentzen, Benedikt von Imhoff und Christiane Jacke, dpa
| 25.06.2024 01:59 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
Artikel hören:
Ein Screenshot aus dem Wikileaks-Konto X zeigt Julian Assange an Bord eines Fluges nach Bangkok. Foto: @wikileaks/PA Wire/dpa
Ein Screenshot aus dem Wikileaks-Konto X zeigt Julian Assange an Bord eines Fluges nach Bangkok. Foto: @wikileaks/PA Wire/dpa
Artikel teilen:

1901 Tage saß Julian Assange in Londoner Haft und wehrte sich gegen eine Auslieferung an die USA. Nun soll er doch von einem US-Gericht verurteilt werden. Aber das ist Teil eines Deals.

Julian Assange hat im jahrelangen Streit um seine Auslieferung einen Deal mit den USA geschlossen und kommt auf freien Fuß. Der Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks soll sich vor einem US-Gericht wegen Spionage schuldig bekennen und zu mehr als fünf Jahren Haft verurteilt werden. Das entspricht der Zeitspanne, die der Internetaktivist in London bereits in einem Hochsicherheitsgefängnis saß.

Der Gerichtstermin soll nicht auf dem US-Festland, sondern in einem entlegenen US-Außengebiet im Westpazifik stattfinden, den Nördlichen Marianen. Die Inselgruppe liegt mehrere Tausend Kilometer nördlich von Assanges Heimatland Australien, wohin der 52-Jährige im Anschluss weiterreisen will.

Im Rahmen des Deals bleibt Assange eine weitere Haft in den USA erspart, die bisher seine Auslieferung verlangt hatten. Stattdessen soll er umgehend freigelassen werden. Das geht aus US-Gerichtsdokumenten hervor. Seine Ehefrau bestätigte die Abmachung. Ihr Ehemann werde sich in einem Anklagepunkt im Zusammenhang mit dem US-Spionagegesetz schuldig bekennen, sagte Stella Assange der BBC. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte am Rande eines Besuchs im bayerischen Weiden: „Ich bin froh darüber, dass dieser Fall offensichtlich mit Absprachen gelöst worden ist und Assange den Arrest verlassen durfte.“ Auch Außenministerin Annalena Baerbock begrüßte die Grundsatzeinigung.

Unbemerkte Ausreise aus Großbritannien

Dass ein solcher Deal den Schlusspunkt unter den Fall Assange setzen würde, war seit einigen Monaten spekuliert worden. Der Zeitpunkt kommt dennoch überraschend. Unbemerkt von der Öffentlichkeit wurde Assange am Montag aus dem Gefängnis Belmarsh in London entlassen und zum Flughafen Stansted gebracht. Ein Video, das Wikileaks in der Nacht veröffentlichte, zeigt, wie der Australier in Hemd und Jeans, eine Brille ins Haar geschoben, den Jet bestieg. 

Die USA werfen ihm vor, mit der Whistleblowerin Chelsea Manning geheimes Material von Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan gestohlen, veröffentlicht und damit das Leben von US-Informanten in Gefahr gebracht zu haben. Assanges Unterstützer sehen ihn hingegen wegen des Aufdeckens von US-Kriegsverbrechen im Visier der Justiz aus Washington. Bei einer Verurteilung ohne eine Vereinbarung mit der Staatsanwaltschaft könnten Assange wegen Spionage bis zu 175 Jahre Haft drohen.

Video auf X

Gerichtstermin im Westpazifik

Assanges Maschine vom Typ Bombardier startete am Abend (Ortszeit) nach einem Zwischenstopp von der thailändischen Hauptstadt Bangkok. Das Flugzeug soll am frühen Mittwochmorgen (Ortszeit) auf der Marianen-Insel Saipan landen, wo bald darauf der Gerichtstermin angesetzt war. Es werde erwartet, dass sich Assange dabei der Verschwörung zur unrechtmäßigen Beschaffung und Verbreitung von geheimen Unterlagen schuldig bekennen werde, hieß es in dem Brief des US-Top-Beamten Matthew J. McRenzie.

Wikileaks berichtete auf X von langen Verhandlungen mit dem US-Justizministerium. Nach mehr als fünf Jahren „in einer zwei mal drei Meter großen Zelle, in der er 23 Stunden am Tag isoliert war“, werde Assange aber bald wieder mit seiner Frau und den beiden gemeinsamen Kindern vereint sein. Einem Dokument des Gerichts in London zufolge hatten sich beide Seiten am 19. Juni in einer Anhörung unter Ausschluss der Öffentlichkeit grundsätzlich auf die Bedingungen geeinigt.

Seine Ehefrau wartete in Australien auf Assange. Stella Assange veröffentlichte bei X ein Foto, das den Angaben zufolge in Sydney aufgenommen wurde und ein Videotelefonat mit ihrem Ehemann vom Flughafen Stansted zeigt. Und sie warnte: „Julian ist erst sicher, wenn er in Australien landet. Bitte verfolgt seinen Flug.“ 

Assanges Gesundheit hat Priorität

„Ehrlich gesagt ist es einfach unglaublich, es fühlt sich an, als wäre es nicht real“, sagte Stella Assange in dem BBC-Interview. Die vergangenen Tage hätten einen Sturm der Gefühle ausgelöst. Sie habe noch keine Zeit gehabt zu besprechen, was das Paar nach der Freilassung tun werde. Priorität habe, dass ihr Ehemann „wieder gesund wird – er ist seit fünf Jahren in einem schrecklichen Zustand“. Seine Unterstützer hatten wiederholt die schlechte Gesundheit des Wikileaks-Gründers beklagt. Stella Assange bat um Spenden, um die hohen Mietkosten für das Privatflugzeug von mehr als einer halben Million US-Dollar (467.000 Euro) zu bezahlen.

Assanges Eltern dankten den Unterstützern, die sich jahrelang für ihren Sohn eingesetzt hatten. „Das zeigt, wie wichtig und mächtig stille Diplomatie ist“, zitierte der australische Sender ABC aus einer Mitteilung von Christine Assange.

Australiens Regierungschef Anthony Albanese begrüßte Assanges Freilassung. „Durch seine fortgesetzte Inhaftierung ist nichts zu gewinnen und wir wollen, dass er nach Australien zurückgebracht wird“, sagte er. „Wir haben uns für die Interessen Australiens eingesetzt und alle geeigneten Kanäle genutzt, um ein positives Ergebnis zu erzielen.“

Die Geschäftsführerin von Reporter ohne Grenzen Deutschland, Anja Osterhaus, sagte einer Mitteilung zufolge: „Dies ist ein historischer Sieg für die Pressefreiheit. In einer Zeit, in der kritische Berichterstattung weltweit immer stärker unter Beschuss steht, ist diese Entscheidung nicht nur für Julian Assange und seine Angehörigen wichtig. Sie ist ein Sieg für den investigativen Journalismus weltweit.“ Der stellvertretende Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland, Christian Mihr, betonte: „Für Medienschaffende auf der ganzen Welt gilt: Wer über Menschenrechtsverletzungen und mögliche Kriegsverbrechen berichtet, darf dafür nicht bestraft werden.“

Ähnliche Artikel