Serie „Fehntjer Geschichte(n)“ Warum Kapitänsbilder keine Kapitäne zeigen

| | 14.07.2024 16:09 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 6 Minuten
Mit der „Verwachting" machte Altschiffer Hinrich Gerdes ein Vermögen, indem er Waren schmuggelte. Foto: Archiv/Ullrich
Mit der „Verwachting" machte Altschiffer Hinrich Gerdes ein Vermögen, indem er Waren schmuggelte. Foto: Archiv/Ullrich
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In Großefehn gibt es zahlreiche gut erhaltene Kunstwerke imposanter Segelschiffe auf hoher See. Die Kapitänsbilder zeigen des Kapitäns größten Stolz. Ihn selbst aber sieht man darauf nie.

Großefehn - Ein imposantes Segelschiff auf hoher See – dieses Motiv ist in Großefehn noch heute allgegenwärtig. Nicht nur das „Fehnmuseum Eiland“ in Westgroßefehn verfügt über eine beachtliche Sammlung solch maritimer Kunstwerke. Der Grund dafür ist simpel: Die Gemeinde liegt zwar nicht an der Küste, brachte aber dennoch zahlreiche erfolgreiche Kapitäne hervor. Die ließen ihren ganzen Stolz auf Leinwand oder Pappe bannen – in bunten Farben, gemalt von kunstfertigen Landschaftsmalern, die auf die detailgetreue Abbildung von Schiffen spezialisiert waren.

Im "Fehnmuseum Eiland" in Westgroßefehn können Besucher eine umfangreiche Sammlung Kapitänsbilder bestaunen. Foto: Archiv/Schönig
Im "Fehnmuseum Eiland" in Westgroßefehn können Besucher eine umfangreiche Sammlung Kapitänsbilder bestaunen. Foto: Archiv/Schönig

Warum aber heißen diese Schiffsporträts nun Kapitänsbilder? Vermutlich, weil diese im Auftrag des Kapitäns angefertigt wurden. Im Allgemeinen fand ein Kapitänsbild seinen Platz in der Wohnung des Kapitäns oder aber in der Kapitänskajüte. Allerdings seien die auch hin und wieder für den Reeder und dessen Kontor gemalt worden, schrieb einst der im November 2023 verstorbene Heyo Duis Schapp. Er war fast 20 Jahre lang Mitglied des Westgroßefehntjer Museumsvereins. Sein Vater, Dr. Hans A. Duis Schapp, war einst Arzt in Timmel. Nach einem Berufsleben außerhalb von Ostfriesland war Heyo Schapp 2004 im Ruhestand aufs Fehn zurückgekehrt – und hatte sich unter anderem der Erforschung regionalspezifischer Themen wie dieser Kunstwerke gewidmet. Für ihn waren sie nicht weniger als „maritime Geschichtsdokumente“.

Reale Schiffe unter vollem Segel

Mitte des 18. Jahrhunderts traten die Kapitänsbilder ihren Siegeszug an. Größte Beliebtheit hatten sie im 19. Jahrhundert erreicht. Später wurden sie zunehmend unwichtiger. Denn Fotografien hatten ihnen den Rang abgelaufen, heißt es seitens des „Schiffahrtsmuseums der oldenburgischen Unterweser“ in Brake. Auch dort können Besucher Kapitänsbilder bewundern. Ebenso wie beispielsweise im Deutschen Sielhafenmuseum in Carolinensiel. Der Museumshafen von Carolinensiel war einst der Heimathafen zahlreicher Handelssegler. Ebenso wie Großefehn – allerdings mit einem direkten Zugang zum offenen Meer.

Das „Fehnmuseum Eiland“ verfügt über eine umfassende Sammlung von Kapitänsbildern. Foto: Ullrich
Das „Fehnmuseum Eiland“ verfügt über eine umfassende Sammlung von Kapitänsbildern. Foto: Ullrich

Die Schiffe, die auf Kapitänsbildern zu sehen sind, sind echte Segler, die detailgetreu festgehalten wurden – und damit auch den realen Vorbildern gut zuzuordnen sind. „Auftragnehmer waren meistens berufsmäßige Schiffsbildmaler in den großen Hafenstädten der Welt“, fasste Schapp zusammen. „Wegen der geforderten Exaktheit wurden auch schon mal Segelrisse und Schiffspläne als Vorlage für die Malerei herangezogen.“ Damit diese möglichst imposant wirkten, wurden sie laut Schiffahrtsmuseum in Brake meist unter vollem Segel abgebildet.

Erst die Landschaft, dann das Schiff

Doch nicht immer hielt der Maler sich ans Original, so Schapp: Anhand mancher Gemälde lasse sich sehen, dass zuweilen idealisiert wurde – „um dem Schiff eine schnittigere Form zu geben“. Was die künstlerischen Materialien angeht, gab es anscheinend keine strengen Regeln, wie solch ein Schiffsporträt auszusehen hatte: Hergestellt wurden die Bilder üblicherweise als Aquarelle oder Gouachen mit deckenden Wasserfarben, aber auch als Ölbilder, Kreide- oder Federzeichnungen. Selbst Hintergrundglasmalereien und Seidenstickereien gab es. Gemalt wurde Schapp zufolge auf Leinwand, Pappe, Holz oder sogar Blech.

Neben den Schiffen selbst ist der Hintergrund das Besondere an diesen Bildern: Nicht selten sind topographische Besonderheiten der Häfen, in denen sie entstanden, zu sehen: Leuchttürme oder markante Berge. Der Clou: „Diese Hintergründe wurden in der Regel schon vorgefertigt, sodass ein Schiff in kurzer Zeit eingefügt werden konnte.“ Denn wann immer ein Handelssegler einen Hafen anlief, musste es bei den Schiffsmalern einigermaßen schnell gehen, weiß Kerstin Buss, Vorsitzende des „Fehnmuseums Eiland“. Die Kapitäne konnten ja nicht ihre Abreise hinauszögern, nur weil sie noch auf die Fertigstellung eines Bildes warten mussten.

Schiffe, um die sich Geschichten ranken

Die umfangreiche Kapitänsbilder-Sammlung des Museums hatte Buss’ mittlerweile verstorbener Vorgänger Siegfried Lüderitz in den 1980er oder 1990er Jahren für eine Ausstellung zusammengetragen. „Er hat alle Kapitänsbilder fotografiert, derer er habhaft wurde.“ Sowohl einige wenige Originale als auch zahlreiche Reproduktionen hängen an einer großen Wand des Gulfhauses. „Das älteste bekannte Kapitänsbild ist das von Kapitän Gerdes“, erläutert sie. Es zeigt die „Verwachting“. Buss kennt es gut – denn es hängt in ihrer Wohnküche. „Das Schiff, mit dem er ein Vermögen gemacht hat.“ Auf der Rückseite des gerahmten Bildes steht in ihr unbekannter Handschrift, es sei von See-Maler Dirk Antoon Teupken gemalt worden und wertvoll. Der Künstler wirkte in den Jahren 1843 bis 1859 in Amsterdam.

Kerstin Buss mit einer regionalhistorischen Schrift. Im "Fehnmuseum Eiland" gibt es für die Vorsitzende immer etwas zu entdecken und erforschen. Foto: Ullrich
Kerstin Buss mit einer regionalhistorischen Schrift. Im "Fehnmuseum Eiland" gibt es für die Vorsitzende immer etwas zu entdecken und erforschen. Foto: Ullrich

Die „Galiot“ war im Jahr 1803 in Großefehn auf der Werft Zeldenrüst vom Stapel gelaufen. Sie gehörte einer Partenreederei, bei welcher der Kapitän Hinrich Gerdes beteiligt war, schrieb Karl-Heinz Wiechers im 1994 erschienenen „Und fuhren weit übers Meer“. Er besaß neun von 32 Anteilen selbst – also etwa ein Drittel des Schiffes. Daraus resultierend ging ein nicht unerheblicher Anteil seines Umsatzes an ihn. Während der Kontinentalsperre machte der Altschiffer das große Geld mit Schmuggel. Es ist ein Schiff, um das sich Geschichten ranken: Im Jahr 1806 hatte Napoleon Wirtschafts- und Handelsblockaden gegen England verhängt. Gerdes soll gefälschte Papiere benutzt haben und unter verschiedenen Flaggen gefahren sein, berichtet Buss.

Kapitänshäuser erinnern an Altschiffer

Altschiffer wie Gerdes waren um 1800 die ersten Fehntjer Kapitäne, die es hinaus auf die Weltmeere zog. Sie aber „hatten keine Navigationsschule absolviert, sondern ihre Kenntnisse allein in praktischer Erfahrung auf See gewonnen“. Lüderitz zufolge war Gerdes der wohl bekannteste unter ihnen – wohl auch, weil er in einem vergleichsweise kurzen Berufsleben ordentlich Profit machte: „Mit einem ansehnlichen Vermögen setzte er sich anscheinend ab 1830 zur Ruhe, baute 1835 in Westgroßefehn ein stattliches Haus, betrieb etwas Landwirtschaft und führte das geruhsame Leben eines Rentiers, der von seinem Vermögen leben kann.“

Kapitäne ließen sich gern Bilder ihrer Schiffe malen. Dieses Aquarell gehört dem Deutschen Sielhafenmuseum in Carolinensiel und zeigt die ostfriesische Brigg „Ubbina“. Foto: Archiv/Oltmanns
Kapitäne ließen sich gern Bilder ihrer Schiffe malen. Dieses Aquarell gehört dem Deutschen Sielhafenmuseum in Carolinensiel und zeigt die ostfriesische Brigg „Ubbina“. Foto: Archiv/Oltmanns

Gerdes starb 1863 und hinterließ seiner einzigen Tochter Lümka sein Vermögen. Die kuriose Geschichte, was sie mit diesem Geld anstellte, ist Inhalt eines anderen Serienteils. Doch auch weitere Seemänner der ersten Stunde brachten es zu Vermögen. Die prachtvoll gestalteten Fehntjer Kapitänshäuser erinnern noch heute vereinzelt an ihre Geschichten. Ebenso wie die Kapitänsbilder, die sich bis heute teilweise im Besitz der Nachfahren befinden.

Auch Kerstin Buss hat so ein typisches Kapitänsbild, allerdings mit einer durchaus untypischen Geschichte. Gefunden haben sie und ihr verstorbener Mann, Dr. Harm Buss, das Schiffsporträt der „Antje“ Anfang der 1970er Jahre zusammengerollt in einer Blechdose. Damals hätten sie das alte Vorderende seines Elternhauses abgerissen. Ihr Mann habe das Bild daraufhin gerahmt und aufgehängt. Auch die Familie Buß/Buss hatte Anteile an diesem und möglicherweise anderen Schiffen – und war so schätzungsweise in den Besitz der Abbildung gekommen. Nur wurden die offenbar nicht aufgehängt. „Sie wurden sicher verwahrt.“ Aus heutiger Sicht ein Glücksfall: Die Farben der in Häfen aller Welt entstandenen Abbildungen sind heute nicht selten stark verblasst. „Weil jahrelang das Licht draufstand.“

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