Serie „Fehntjer Geschichte(n)“ Wie eine Sächsin auf dem Fehn ihren Mann stand
Sie war Bürgermeisterin, Netzwerkerin und Pionierin: Ursula Balsen war die einzige Ratsfrau in der Geschichte der politischen Gemeinde Spetzerfehn.
Großefehn - Keine Frau hat sich in der Kommunalpolitik in Spetzerfehn und später in der Gemeinde Großefehn mehr Verdienste erworben als Ursula Balsen. Bereits 1952 zog die damals 29-Jährige in den Rat der damals noch selbstständigen Gemeinde Spetzerfehn ein. Sie war als einzige Frau ins Rennen gegangen und auch gewählt worden. Die CDU-Ratsfrau wurde zur Vorsitzenden des Straßenbauausschusses gewählt – dabei gab es zu der Zeit in Spetzerfehn noch keine ausgebauten Straßen, sondern nur oft unpassierbare Wege. Die Fehnkanäle waren noch von Bedeutung, auch wenn die Binnenschifffahrt 1956 eingestellt werden sollte.
Die Wahl der jungen Bewerberin war damals eine kleine Sensation: Sie stammte nicht vom Fehn, war eine „Hochdeutsche“. Geboren wurde sie als Ursula Kobalz 1923 im sächsischen Hoyerswerda; sie erlernte den Beruf der Stenotypistin. Als sie 1942 mit einer Freundin in Swinemünde an der Ostsee Urlaub machte, lernte sie Thade Balsen kennen, der dort als Marinesoldat stationiert war. Schon bei der ersten Begegnung soll der junge Mann aus Spetzerfehn zu seinem erstaunten Kameraden gesagt haben: „Das wird mal meine spätere Ehefrau.“ Sie heirateten 1944, kurz nachdem die Braut 21 Jahre alt und damit volljährig geworden war.
Dank Molkerei in die Politik?
Nach sowjetischer Besatzung und Kriegswirren zog das junge Paar 1945 nach Spetzerfehn, wo man bei den Eltern des Ehemanns Unterkunft fand. Im Juni 1948 bezog das Paar ein neues Haus auf einem Nachbargrundstück. Es übernahm dann auch schnell die kaufmännische Leitung der privaten Molkerei Spetzerfehn an der jetzigen Hauptwieke Nord, die Thades Vater Soeke Balsen im Jahr 1910 gegründet hatte. Vielleicht spielte dies Ursula Balsen für ihre politischen Ambitionen in die Karten. Beruflich pflegte sie Kontakt zu großen Teilen der Bevölkerung: Neben den Landwirten vom Fehn hatten fast alle eine kleine Landwirtschaft als Nebenerwerb.
Trotzdem war ihre Wahl eine Überraschung: Die Geschichte Spetzerfehns beginnt 1746. Seit 1821 und bis zur Gemeindeform 1972 war Spetzerfehn eine politische Gemeinde. Balsen sollte die einzige Frau bleiben, die hier je ein politisches Mandat ausübte. Nach Kriegsende vertraten ab 1946 im Rat von Spetzerfehn 55 Männer und Ursula Balsen als einzige Frau die Interessen der Bevölkerung. 27 Männer und eine Frau stellten sich am 9. November 1952 auf zwei Listen zur Wahl. Auf Liste 1 kandidierten für die SPD 14 Männer, darunter auch drei Geflüchtete aus dem Osten. Auf Liste 2 waren es gleich fünf Parteien, die sich zusammengeschlossen hatten und ebenfalls 14 Personen präsentierten: Dies waren neben der CDU und der FDP noch die Deutsche Partei (DP), die Deutsche Reichspartei (DRP) sowie die Freie Soziale Union (FSU).
Nicht jeder fand damals Frauen in der Politik gut
Liste 2 stellte nach der Wahl mit sechs Gewählten knapp die Mehrheit. Gewählt wurden Onno Henninga, Egbert Lambertus, Wilm Harms, Ursula Balsen, Harm Hagen und Johann Schoon. Für die SPD zogen mit Albert Schoon, Behrend Hardy, Hinrich Bohlen (bisheriger Bürgermeister), Focke Remmers und Rudolf Seidel fünf Bewerber in den Rat ein. Bei der Wahl des Bürgermeisters stellten sich Harm Hagen und Focke Remmers (SPD) zur Wahl; Hagen gewann die Wahl mit sechs zu fünf Stimmen. Er löste somit Hinrich Bohlen (SPD) ab, der sich nach einer Wahlperiode im Amt nicht wieder zur Wahl stellte. Hagen knüpfte damit an seine erste Amtszeit als Bürgermeister von 1934 bis 1945 an.
Nach ihrer ersten Wahl gehörte Ursula Balsen – mit einer kleinen Unterbrechung – dem Rat der Gemeinde Spetzerfehn bis zur Gemeindereform im Jahre 1972 fast 17 Jahre lang an. Sie erlebte noch zwei weitere Bürgermeister: Bei den Wahlen im Jahr 1956 holte die SPD die Mehrheit zurück und stellte mit Focke Remmers auch den Bürgermeister. Von 1961 bis zur Gemeindereform 1972 war Bernhard Harms (Wählergemeinschaft) Bürgermeister. Zu ihm hatte Ursula Balsen kein allzu gutes Verhältnis: „Er mag keine Frauen in der Politik“, stellte sie einmal fest. Auch ihr Vorschlag, aus der 1937 erbauten Schule östlich des Friedhofes I nach dem Bau der neuen Schule 1961 einen Kindergarten zu machen, wurde abgelehnt – obwohl Balsen schon einen Träger gefunden hatte.
Verschuldete Gemeinden werden zur Gemeinde Großefehn
Die Gebiets- und Gemeindereform 1972 war ein harter Einschnitt. Aus ehemals 14 selbstständigen Gemeinden entstand die Gemeinde Großefehn. Sehr schlecht war deren Finanzlage: Die Mitgliedsgemeinden brachten 12,5 Millionen D-Mark Schulden mit. Balsen trat auf der CDU-Liste an und wurde gewählt; sie wurde auch Vorsitzende des Fachausschusses für Schulen und Kultur. Bürgermeister wurde Rolf Saathoff aus Holtrop; er gehörte der Wählergemeinschaft an. Mit Hans-Bernd Kaufmann hatte man einen jungen Gemeindedirektor. Er war ein exzellenter Verwaltungsfachmann, konnte für seine Ideen allerdings nicht immer den Rat und noch weniger die Bevölkerung begeistern. „Es gab Unmut, Verdrossenheit und viele Beschwerden“, erinnerte sich Ursula Balsen. Verdienste erlangte Kaufmann um die Erhaltung der Fehnlandschaft.
1976 ging die erste Wahlperiode in der jungen Gemeinde zu Ende. Dr. Harm J. A. Buss, Fraktionsvorsitzender der CDU im Gemeinderat, schlug vor, Ursula Balsen möge sich als Kandidatin zur Bürgermeisterwahl aufstellen lassen. Ehemann Thade Balsen hatte offenbar nichts dagegen – und so ging seine Frau als Spitzenkandidatin ihrer Partei ins Rennen. Die CDU schnitt besser als die Wählergemeinschaft ab. Im Dezember 1976 wurde Ursula Balsen zur Bürgermeisterin gewählt. Das war damals noch ein Ehrenamt.
Balsen knüpfte Netzwerke und ging Themen an
Balsen knüpfte schnell Kontakt zur CDU-Landtagsabgeordneten Luise Schapp aus Aurich, die von 1970 bis 1978 dem Parlament in Hannover angehörte. Balsen machte sich als „Klinkenputzerin“ in den Ministerien in Hannover einen Namen. 1976 stellte die CDU mit Dr. Ernst Albrecht auch den Ministerpräsidenten in Niedersachsen. Besondere Beziehungen knüpfte Balsen zu Sozialminister Hermann Schnipkoweit (CDU), der oft auf dem Fehn zu Gast war. Leidiges Thema jener Zeit war das Bauen im Außenbereich – das strenge Bundesbaugesetz wollte eine Stärkung der Ortszentren, das Bauen in den Ortsteilen war sehr eingeschränkt.
In der dritten Wahlperiode ab 1981 wurde Ursula Balsen mit den Stimmen der CDU und WG als Bürgermeisterin bestätigt. Sie setzte sich gegen Harm Schoone (SPD) durch. Im selben Jahr ereilte sie jedoch ein herber Schicksalsschlag: Ehemann Thade Balsen starb im November 1981 plötzlich und unerwartet im Alter von 61 Jahren. Bei den Wahlen 1986 schnitt die CDU schlecht ab; im Rat hatte nun die SPD mit der Grünen-Ratsfrau Antje Gronewold eine Mehrheit. Diesmal triumphierte Harm Schoone bei der Bürgermeisterwahl. Ursula Balsen wurde Fraktionsvorsitzende der CDU. Bis 1991 gehörte sie dem Rat an, dann kandidierte die damals 68-Jährige nicht mehr. Im Auricher Kreistag war Balsen von 1977 bis 1991; im Ortsrat Spetzerfehn von 1981 bis 1991. Im November 2007 starb sie im Alter von 84 Jahren und wurde auf dem Friedhof Spetzerfehn II beigesetzt. Sie hatte fünf Kinder, von denen vier bereits verstorben sind.