Erster Live-Podcast „Glas mit Lars“ Das hat Ex-Bild-Chef Diekmann in Leer verraten

| | 29.08.2024 15:07 Uhr | 3 Kommentare | Lesedauer: ca. 6 Minuten
Ex-“Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann (links) sprach mit Lars Reckermann, Chefredakteur dieser Zeitung, im Forum der Sparkasse Leer-Wittmund in Leer. Foto: Ortgies
Ex-“Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann (links) sprach mit Lars Reckermann, Chefredakteur dieser Zeitung, im Forum der Sparkasse Leer-Wittmund in Leer. Foto: Ortgies
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Putin, Kohl, Wulff und eine spezielle Penis-Darstellung: Darüber sprach am Mittwoch Ex-„Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann mit Lars Reckermann. Der Chefredakteur hatte ihn in seinen Podcast geladen.

Leer - Wie ist es, ein Interview mit Wladimir Putin zu führen? Wie war Helmut Kohl als Mensch hinter der Fassade des Bundeskanzlers und Politikprofis? Und wie fühlt es sich an, wenn der eigene Penis fünf Stockwerke hoch dargestellt wird? Fragen, die in Deutschland vermutlich nur ein Mann beantworten kann: Kai Diekmann. Der Ex-Chefredakteur der „Bild“-Zeitung war am Mittwoch zu Gast beim Chefredakteur dieser Zeitung. In „Ein Glas mit Lars“ sprach Lars Reckermann mit dem polarisierenden Medienmacher bei der ersten Liveaufzeichnung seines Podcast im Forum der Sparkasse Leer-Wittmund in Leer. In dem gut eineinhalbstündigen Gespräch redeten die beiden Journalisten über Diekmanns Zeit bei Deutschlands größter Tageszeitung und sein Verhältnis zu den Entscheidern in der Politik auf der ganzen Welt. Rund 200 Zuschauer hörten es sich an.

Der Journalist Kai Diekmann berichtete aus seiner turbulenten Karriere. Foto: Ortgies
Der Journalist Kai Diekmann berichtete aus seiner turbulenten Karriere. Foto: Ortgies

Diekmann und die Taz

Die Auseinandersetzung zwischen dem Boulevardchefredakteur und der linksgerichteten „Tageszeitung“ (Taz) sind legendär. „Die ,Taz‘ hat sich an mir abgearbeitet“, sagt Kai Diekmann. Immer wieder kritisierten die Redakteurinnen und Redakteure die Arbeit von „Bild“ und des Chefredakteurs. Pikant und bizarr wurde es, als die „Taz“ 2002 schrieb, Diekmann habe sich in Kalifornien einer Penisverlängerung unterzogen, die allerdings misslungen und er daher nun kastriert sei. Er verklagte die Zeitung wegen dieser Falschmeldung. Heute sagt Diekmann: „Das war der größte Fehler, den ich hätte machen können.“ Denn die „Taz“ berichtete nun darüber, auch andere Medien stiegen auf den bizarren Prozess ein und kamen zur Verhandlung. Mediendeutschland sprach also nur noch über Diekmanns nicht verlängerten Penis. „Rache ist allerdings ein Dessert, das kalt serviert wird“, sagte der 60-Jährige und nun habe er sich rächen könne. Zum einen, weil er Genosse der gemeinschaftlich getragenen „Taz“ wurde und auf den Gesellschafterversammlungen lange Referate über aus seiner Sicht guten Journalismus halten konnte. Zum anderen weil die „Taz“ 2009 an ihr Gebäude eine riesiges Wandfries von Peter Lenk anbringen ließ, bei dem sich Diekmanns Penis über fünf Stockwerke erstreckte, und der Künstler der Zeitung verbot, die Installation wieder abzubauen. „Ich freu mich heute noch darüber, wenn sich japanische Touri-Busse das Kunstwerk ansehen“, sagte er selbstironisch.

Rund 200 Zuschauer kamen zur Liveaufzeichnung des Podcast "Ein Glas mit Lars". Foto: Ortgies
Rund 200 Zuschauer kamen zur Liveaufzeichnung des Podcast "Ein Glas mit Lars". Foto: Ortgies

Diekmann und die Politik

„Man kann nicht ,Bild‘-Chef sein, wenn man nicht ein zutiefst politischer Mensch ist“, sagt Diekmann zu seinem Job. Die Boulevardzeitung sei nicht nur Busen, sondern auch Politik. Als Chefredakteur von „Bild“ sprach Diekmann mit vielen politischen Akteuren der 1990er und frühen 2000er-Jahre. „Normal wird das nie“, räumt er ein. Donald Trump blieb ihm unter anderen im Gedächtnis. Das Gespräch sei unerwartet gewesen. Während es mit anderen Staatschefs und Politikern ein großer organisatorischer Aufwand sei, um überhaupt ein Interview zu bekommen, habe die Vereinbarung zum Gespräch mit Trump nur aus einer SMS bestanden. „Hinterher hat das Interview auch niemand freigegeben“, sagt Diekmann. Dabei habe Trump eine Schlagzeile nach der anderen geliefert.

Kai Diekmann und Lars Reckermann (rechts) diskutieren über Politik und Journalismus. Foto: Ortgies
Kai Diekmann und Lars Reckermann (rechts) diskutieren über Politik und Journalismus. Foto: Ortgies

Doch Diekmann räumte auch ein, Fehler gemacht zu haben. Das erklärte er am Beispiel von Ex-Kanzler Gerhard Schröder. „Wir haben damals bei ,Bild‘ die Agenda 2010 schlicht nicht verstanden“, sagt er rückblickend. „Heute sage ich, die Agenda 2010 hat uns ein Wirtschaftswachstum über 15 Jahre beschert, das nur vergleichbar ist mit dem Wirtschaftswunder der 50er/60er Jahre.“ Die „Bild“ habe deswegen einen nicht geringen Anteil am Sturz des Kanzlers gehabt. „Dafür habe ich mich bei ihm öffentlich entschuldigt“, sagt Diekmann. Die Russland-Politik des Altkanzlers halte er trotzdem für grundfalsch.

Diekmann und Putin

Zu Russland und den russischen Präsidenten Wladimir Putin ließ sich Kai Diekmann noch länger ein. Er kritisierte die Stimmen, die bereits seit Jahrzehnten vorhergesagt haben wollen, dass Putin zu diesem Ausmaß an Grausamkeit fähig sei. „Da müssen wir uns ehrlich machen“, so Diekmann. Für ihn gebe es Putin I und Putin II, das trennende Element sei die Reaktion des Westens auf die Anschläge am 11. September 2001 gewesen. Der Westen habe aus Diekmanns Sicht mit dem islamistischen Terror ein neues Feindbild gehabt. „Bereits Gorbatschow hat in späteren Interviews immer wieder klar gemacht, dass sich die Russen vom Westen nicht mehr ernstgenommen fühlen“, so Diekmann. Seiner Überzeugung nach ein Stich in die stolze russische Seele. „Putin will uns wieder Angst machen“, sagt er. So trete er auch in Interviews und Gesprächen auf. „Ich habe immer wieder erfahren, wie er KGB-Praktiken anwendet“, sagt Diekmann. Dazu gehörte auch, die Gesprächspartner zu verunsichern und zu provozieren. So bekam Diekmann zum Beispiel nach einem Interview eine Einladung zum gemeinsamen Schwimmen. Für den Journalisten eine völlig irritierende Erfahrung. Putin habe ihm sogar eine Badehose angeboten – und die beiden seien schwimmen gegangen.

Im Sparkassenforum hörten die Zuschauer den beiden Männern gespannt zu. Foto: Ortgies
Im Sparkassenforum hörten die Zuschauer den beiden Männern gespannt zu. Foto: Ortgies

Diekmann und Kohl

Deutlich persönlicher wurde es für Diekmann beim Thema Helmut Kohl. Die beiden Männer waren bis zum Tod des ehemaligen Bundeskanzlers 2017 eng befreundet. Kennengelernt haben sie sich bei gemeinsamen Reisen, die Diekmann als Politikchef begleitete. Bereits damals habe man ein Vertrauen aufgebaut, das sich verstärkte, als Kohl abgewählt wurde. Die gemeinsame Arbeit an den Memoiren habe sie so nah zusammengebracht, dass Kohl Diekmanns Trauzeuge war und andersrum. „Er war Privatier, daher war die Nähe kein Problem“, sagt der Journalist. Kohl habe wenig Verständnis für das normale Leben gehabt, dafür sei er zu lange Politiker gewesen. Aber er habe als Mensch eine besondere „Zärtlichkeit“ gehabt, wie Diekmann sagt. Zu seinem 40. Geburtstag habe Kohl den Journalisten zu einem überraschenden Orgelkonzert im Dom zu Speyer eingeladen. „Er wollte mir etwas schenken, was ich mir nicht kaufen kann“, sagt Diekmann. Das habe er geschafft. Auch sieben Jahre nach dessen Tod erinnert sich Diekmann noch sehr eindrücklich an den Moment, als er seinen toten Freund Kohl auf dessen Totenbett sah. „Er hatte einen sehr friedlichen Gesichtsausdruck“, so Diekmann.

Diekmann und Wulff

Zum Schluss gingen Diekmann und Reckermann noch auf die sogenannte Wulff-Affäre ein. Der damalige Bundespräsident Christian Wulff hatte als Niedersachsens Ministerpräsident offenbar unwahre Aussagen zu seinem Hauskredit gemacht. „Bild“ und andere Medien wollten ihre Recherchen zum Thema veröffentlichen. Da rief Wulff Diekmann auf dem Handy an und drohte dem „Bild“-Chefredakteur, damit die Geschichte nicht veröffentlicht wurde. Daraus entstand eine bis heute dauernde Fehde zwischen den Männern, die Diekmann betont gelassen nimmt. „Ich konnte mein Glück kaum fassen, dass sich Wulff immer wieder zu meinem Buch äußerte“, sagt Diekmann. In Diekmanns Autobiografie „Ich war Bild“ fand das Thema natürlich Einzug. Diekmann erzählte, wie es war, die wüsten Drohungen Wulffs auf der Mailbox zu haben. „Der dachte, der könnte die Medien in Berlin so dirigieren wie im beschaulichen Hannover“, so Diekmann. Darüber sei er gestolpert. „Ein Beispiel für schlechte Kommunikation“, sagt Diekmann.

Ob Christian Wulff das genauso sieht, kann Lars Reckermann ihn demnächst fragen. Die nächste „Ein Glas mit Lars“-Liveveranstaltung wird am 23. November stattfinden. Der Gast dann: Ex-Bundespräsident Christian Wulff. Alle Informationen zum Kartenvorverkauf werden demnächst veröffentlicht.

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