WattWirtschaft Warum es in manchen Unternehmen ums nackte Überleben geht

| | 07.11.2024 09:31 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 6 Minuten
Michael Wefers Foto: Wefers & Coll. Unternehmerberatung GmbH & Co. KG
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Exklusiv für unseren Newsletter WattWirtschaft analysiert Unternehmensberater Michael Wefers, woran es in der Wirtschaft manchmal mangelt. Diesmal geht es auch um VW.

Aktuelle Vorwürfe aller Betriebsräte: Die Geschäftsleitung trägt die Schuld – sie hat die notwendigen Veränderungen verschlafen!

Viele Unternehmen in unserer Region waren in den letzten Jahren noch klare Marktführer und Angreifer auf ihrem Gebiet, heute werden einige von ihnen in eine Verteidigerposition gedrängt. Plötzlich sind Wettbewerber entstanden, die es vor einigen Jahren noch gar nicht gab. Und diese neuen Angreifer sind gefährlicher und unberechenbarer als die bisherigen bekannten Wettbewerber.

Umsatz und Gewinn werden einbrechen

Ganz plötzlich geht es nicht mehr um Marktanteile, Produktivität und Profitabilität oder Kostenmanagement, sondern ums zukünftige Überleben. Umsatz und Gewinn werden einbrechen, diese Ahnung macht sich breit, nur weiß niemand, selbst die beste Geschäftsleitung nicht, wie schnell und wie heftig. Und das meist zu einem Zeitpunkt – und das macht es so schwierig –, in dem das Unternehmen noch beste Gewinne einfährt und sich auf dem Höhepunkt des Erfolgs sieht.

Diese Plötzlichkeit des kommenden Ein- und Umbruchs liegt in einer Gesetzmäßigkeit begründet: Innovationen durchdringen den Markt immer in Form einer S-Kurve; aus der Marktforschung stammt das Modell „First Mover, Early Follower und Late Follower“.

Die Treiber des Fortschritts

In den ersten zwei Jahren kaufen lediglich einige wenige Innovatoren und nur die wirklich frühen Trendsetter das neue Produkt; das sind die First Mover, die Treiber des Fortschritts. Im dritten Jahr kommen weitere Trendsetter hinzu. Die Marktanteile dieser Verkäufe des neuen Produkts sind so gering, dass man sie kaum bemerkt, in jedem Fall jedoch nicht ernst nimmt.

In den nächsten zwei bis drei Jahren entdecken dann die sogenannten „Early Follower“ das neue Produkt. In aller Regel fängt der Markt jetzt erst an, diese Innovation überhaupt ernst zu nehmen.

Zur Person

Michael Wefers zeichnet sich durch 20-jährige operative Führungsverantwortung über alle Hierarchieebenen hinweg aus, zuletzt als Vorstand bei der Cewe Color Holding AG in Oldenburg. Seit 2009 ist er selbstständig und berät mittelständische Unternehmen beim Aufbau einer strategischen Führungskräfteentwicklung, insbesondere in unternehmerisch schwierigen Phasen. Überregional erfolgreich ist die Wefers & Coll. Unternehmerberatung zudem in der nachhaltigen Personalberatung und der ganzheitlichen Managementdiagnostik.

Den Wandel verschlafen

Ab dem fünften Jahr deckt sich auch die breite Mehrheit mit dem neuen Produkt ein – von einer Innovation würde man jetzt schon nicht mehr sprechen. Ab dem achten Jahr folgen die sogenannten späten Käufer. Beide Käufertypen fallen unter die Begrifflichkeit der „Late Follower“. Das Unternehmen, das bis dahin sein Geschäftsmodell nicht umgestellt hat, gerät in große existenzielle Schwierigkeiten. Ja, dieses Unternehmen steht möglicherweise davor, den Wandel zu verschlafen.

Die größte Herausforderung ist also, so früh wie möglich zu erkennen, ob sich eine Innovation am Markt auch wirklich durchsetzen wird. Im Bereich der Produktentwicklung sagen Statistiken, dass von fünf Neueinführungen nur eine einzige erfolgreich sein wird. Das bedeutet, wenn man es weniger vornehm ausdrücken möchte, dass 80 % aller Produktentwicklungen scheitern – und sich nur 20 % am Markt durchsetzen werden. Wer voraussehen könnte, welche, wäre sicherlich so reich, dass er nicht mehr arbeiten müsste.

Die Statistik des Scheiterns

Die pessimistischen Besserwisser („Das kommt sowieso nie!“, „Das haben wir immer schon gewusst, dass das nicht klappt!“) haben also die Statistik des Scheiterns auf ihrer Seite. Und im Bereich der Innovation ist die Erfolgsstatistik noch härter: 90 % (!) aller Innovationen scheitern in der Regel. Dies zeigt ebenso, dass Unternehmen Neues wagen müssen, solange sie die richtigen Mitarbeiter an Bord haben und zugleich über das notwendige Kapital für Neuentwicklungen verfügen. Ist die Krise erst einmal da, kann es bei beiden Faktoren schwierig werden: In der Krise gehen nur die guten Mitarbeiter, und die Banken kündigen die Kreditlinien des Unternehmens.

Nur am Rande bemerkt: Wenn die Amerikaner vom „Fail Fast“ sprechen, ist es für sie ein Ausdruck höchster Anerkennung. Anerkennung für denjenigen, der sich getraut hat, an ein neues Produkt zu glauben, und deshalb den Mut aufgebracht hat, in die Neuentwicklung viel Zeit, Geld und noch mehr Energie zu investieren. Und der nun den Mut aufbringen muss, zu erkennen, dass sich seine Idee am Markt nicht durchsetzen wird.

Ein exklusives Beispiel

Lassen Sie mich dazu ein Beispiel aus meiner eigenen Vergangenheit bringen: die Transformation der Fotobranche von 2000 bis 2008. Die ersten Digitalkameras gab es bereits vor 2000 in Europa. Angesichts der schlechten Qualität der Bilder und aufgrund der geringen Pixel-Auflösung ging die Fotoindustrie davon aus, dass der wirkliche Fotograf niemals eine solche Kamera kaufen würde, um damit zu fotografieren. Als dann ab 2005 die breite Mehrheit der Konsumenten folgte, waren diejenigen Unternehmen im Fotofinishing die Gewinner, die sich auf die Entwicklung digitaler Bilder konsequent vorbereitet und hohe Investitionen eingesetzt hatten. Die Kodak hat bis zuletzt nicht geglaubt, dass der Film sterben könnte.

Und es gibt noch eine weitere Herausforderung bei allen Produktentwicklungen und Innovationen, hier am Beispiel der Automobilindustrie: Als vor Jahren die ersten Teslas für viel Geld auf den Markt kamen, nahm keiner diese Autos wirklich ernst. Das waren Fahrzeuge für die Innovatoren und ganz frühen Trendsetter, die sich auch nicht daran störten, dass es keine flächendeckende Infrastruktur für Ladesäulen gab. Die Verantwortlichen in der Autoindustrie konnten sich nicht vorstellen, auf einmal gegen Apple, Google und Tesla bestehen zu müssen und einen Überlebenskampf zu führen.

Blick in die Vergangenheit bringt nichts

Nun wissen wir heute, dass die Elektromobilität einen großen Stellenwert in unserer Gesellschaft bekommen hat. Und trotzdem gibt es einen Automobilhersteller wie BMW, der immer wieder über die Notwendigkeit der Technologieoffenheit spricht und Autos weiterentwickelt, die mit Wasserstoff angetrieben werden. Verschläft der Vorstand von BMW damit die Chancen der Elektromobilität, selbst wenn er auch hier einen Fuß in der Tür behält? Verbrennt er Gewinne, indem er in die Wasserstoffforschung investiert? Auch hier wird erst die Zukunft zeigen, wer recht behält – und wer wirklich geschlafen hat.

Begreift man Veränderungsprozesse also als das konsequente Erreichen eines neuen Zukunftsbildes, so wird eines jedenfalls besonders klar: dass man sich die Betrachtung der Vergangenheit ersparen kann. Was früher unternommen wurde, hat das Unternehmen erfolgreich bis ins Hier und Jetzt gebracht. Aber aufgrund der inzwischen veränderten Rahmenbedingungen des Marktes sind die alten Erfahrungen nicht mehr ausreichend – und damit ungeeignet, um sich auf selbigem zu behaupten. Gerade in Transformationsprozessen bringt es wenig und vergeudet Energie, über das Gestern zu sprechen und die Gegenwart zu beklagen.

Der damit verbundene Ärger und die erhobenen Vorwürfe schwächen nur die Leistungsfähigkeit des gesamten Unternehmens. Und das kann sich kein Unternehmen in der Krise leisten!

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