Serie „Fehntjer Geschichte(n)“ Die Schleuse Westgroßefehn – ein wichtiges Stück Fehnkultur

| | 17.11.2024 15:03 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 7 Minuten
Die Schleuse in Westgroßefehn ist in die Jahre gekommen. Foto: Ullrich/Archiv
Die Schleuse in Westgroßefehn ist in die Jahre gekommen. Foto: Ullrich/Archiv
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Aktuell macht die Schleuse an der Mühle von Westgroßefehn baulich keine gute Figur. Sie verfällt. Vor 50 Jahren war das schon einmal der Fall – damals sollte sie gleich ganz verschwinden.

Westgroßefehn - Träge aber stetig plätschert das Wasser dahin. Auf der Wasseroberfläche der Schleuse von Westgroßefehn spiegelt sich die benachbarte Mühle der Familie Onken. Enten ziehen ihre Kreise. Etwas weiter kanalaufwärts, dort, wo eigentlich zu dieser Jahreszeit pünktlich zum „Anleuchten“ das Fehnschiff „Mariechen“ liegen sollte, ist ihr angestammter Platz auf dem Kanal leer. Jedes Jahr ab Ende November ist die Tjalk normalerweise dort zu finden. In den Tagen und Wochen vor und nach Weihnachten liegt sie hübsch beleuchtet im Ort, als winterlich-weihnachtlicher Hingucker für Durchreisende und Anlieger oder beliebtes Fotomotiv bei Besuchern.

Das historisch anmutende Schiff mit seinen vielen Lichtern werden in den kommenden Wochen wohl viele vermissen. In diesem Jahr nämlich bleibt es gleich ganz in der Halle, in der es lackiert wird, sagt Karl-Heinz „Carlo“ Weber, Vorsitzender der Traditionsgemeinschaft „Mariechen“. Der Verein kümmert sich um die Pflege des Flachbodenschiffs mit Baujahr 1982. Der Nachbau eines historischen Torfseglers kam 2008 nach Großefehn. Liegeplatz der „Mariechen“ ist am Fehnmuseum „Eiland“. In den Wochen um Weihnachten herum liegt es sonst auf dem Großefehnkanal, im Dorf. Dort aber kommt die „Mariechen“ nicht mehr hin: Der Zustand der Schleuse ist mangelhaft. Vergangenes Jahr schon habe der Verein Probleme beim Schleusen festgestellt, berichtet Weber auf Nachfrage. Es ging um die Schleusentore. „Wir konnten die Türen nicht zu kriegen.“ Er habe das Fehnbauwerk abgetastet und festgestellt, dass etwas herausgebrochen sein muss.

Schleuse weg, Kanal zuschütten

„Alle Schleusen in der Gemeinde Großefehn sind marode“, lautet sein vernichtendes Fazit. In Absprache mit dem Bauhof sei daher in Westgroßefehn aufs Schleusen lieber verzichtet worden. So viel scheint derzeit klar zu sein: „Schleusen können wir nicht mehr.“ Weber rechnet jederzeit damit, dass das baufällige Bauwerk den Betrieb einstellt. Einmal hochfahren wäre vielleicht noch drin – ein Zurück gebe es dann voraussichtlich jedoch nicht mehr. Das Risiko war ihm zu groß. „Ich hab gesagt: Wir bleiben unten.“

Dieser schlechte bauliche Zustand der Schleuse dürfte den älteren Fehntjern bekannt vorkommen. Vor etwa 50 Jahren sah es unterhalb der Mühle schon einmal ganz ähnlich aus: Ende der sechziger Jahre war der Kanal zu einem breiten Rinnsal verkommen und diente nur noch der Entwässerung. Die Schleuse hatte längst ausgedient und verfiel. Für die Anlieger erfüllte sie keinen relevanten Zweck mehr. Und das hätte fast verheerende Folgen gehabt: „Der Trend Anfang der 1970er Jahre war ja der, dass man anfing, die Kanäle zuzuschütten“, erinnert sich der frühere Gemeindedirektor Großefehns, Hans-Bernd Kaufmann, aus Bad Bevensen. „Als ich 1972 nach Großefehn kam, hab ich gesehen wie in Ostgroßefehn Teile des Kanals noch weiter eingeengt werden sollten.“

Fehntjer Identität mit touristischem Potenzial

Auch für Westgroßefehn gab es Pläne, den Kanal zur Straße zu machen. Denn die neuen Verkehrswege aus Asphalt wurden ja gebraucht – anders als die Wasserstraßen, die längst ausgedient hatten. Kaufmann blickte damals als Neu-Fehntjer anders auf die Fehnlandschaft als diejenigen, für die sie von jeher Alltag war. „Ich habe ein unheimliches touristisches Potenzial gesehen“, erklärt er. „Die Mühle neben der Schleuse“, hebt er hervor, sei für den Torfabbau eine geschichtlich relevante Fehnstruktur gewesen.

Ende der sechziger Jahre diente der Kanal nur noch zur Entwässerung. Er verlandete, es stank. Auch entsorgten die Anlieger hier teilweise ihre Gartenabfälle. Foto: Archiv Kerstin Buss
Ende der sechziger Jahre diente der Kanal nur noch zur Entwässerung. Er verlandete, es stank. Auch entsorgten die Anlieger hier teilweise ihre Gartenabfälle. Foto: Archiv Kerstin Buss

In Bauwerken wie der historischen Schleuse oder den alten Klappbrücken sah Kaufmann damals ein Stück Fehntjer Identität – und zugleich die Chance, auf Basis der Vergangenheit Zukunftsperspektiven zu entwickeln. Perspektiven, die die Region dringend braucht: „1972 gab es kaum Gewerbe in Ostfriesland.“ Welch touristisches Potenzial auch in Großefehn stecken könnte, hatte er bei den Nachbarn in den Niederlanden gesehen. Seine Einschätzung: „Diese Landschaft kann für den Tourismus interessant sein.“ Zunächst sahen scheinbar nur wenige dieses Potenzial Großefehns, das der junge Gemeindedirektor sah. „Es war schwierig zu vermitteln“, erinnert er sich. „Der Traum war, dass man wieder von Westgroßefehn nach Wiesmoor konnte.“ Nicht mit dem Auto, sondern mit dem Schiff oder Boot – eine durchgängige Verbindung auf dem Wasser.

Schleuse wurde 1784 an der Mühle errichtet

Dieser Traum wurde nicht wahr, das dürfte bekannt sein. „Es war nicht möglich, alles zu erhalten.“ Doch während beispielsweise in Ostgroßefehn und Spetzerfehn die alte Struktur deutlich das Nachsehen hatte, lief es in Westgroßefehn anders. Eines der erklärten Ziele hier war: „Die von Verfall bedrohte Schleuse wieder herrichten.“ Diese war schon 1784 erbaut worden, wie aus einem Manuskript über Timmel und Westgroßefehn von Siegfried Lüderitz (1930-2008) hervorgeht.

Die Schleuse während der Sanierung um 1980. Foto: Archiv Kerstin Buss
Die Schleuse während der Sanierung um 1980. Foto: Archiv Kerstin Buss

Sie war allerdings nicht die erste Schleuse, die von den Siedlern errichtet wurde, um Westgroßefehn zu erschließen. Demnach muss es schon 1711 „wegen des ansteigenden Geländes, um den Schiffsverkehr zu ermöglichen“, an anderer Position eine Schleuse gegeben haben. Diese wurde auch Verlaat genannt. Lüderitz beschreibt einige Details: „Sie war noch aus Holz gebaut. Die Schleusen waren Eigentum der Großefehngesellschaft. Zur Bedienung wurde ein Verlaatsmeister eingesetzt, der auch die von den Torfschiffern zu entrichtenden Gebühren einnahm und an die Großefehngesellschaft weiterleitete.“ Die Schleuse an der Mühle hingegen wurde schon aus Stein errichtet. „Die Schleuse wurde im Sommer 1784 in einer Bauzeit von nicht einmal zwei Monaten für 2782 Reichstaler erbaut. Für die Restaurierung der Schleuse, fast 200 Jahre später, brauchte man von 1979 bis 1981 zwei Jahre.“

Wasserlauf war „Mülldeponie“

Diese Restaurierung hatte Kaufmann ermöglicht. In dem Buch „Dorf(-zeiten?) – Eine Darstellung der Aktivitäten zum Erhalt des Orts- und Landschaftsbildes von Westgroßefehn/Ostfriesland in den Jahren 1974 bis 1984“ hat er detailliert festgehalten, wie er dabei vorging und welche Unwägbarkeiten er meistern musste. Und welche politische Stimmung dem vorausgegangen war: So schreibt er: Im Jahr 1967 galt es im Rat der Gemeinde Westgroßefehn als beschlossen, die Landesstraße alsbald „auf dem zugeschütteten Kanalbett“ zu errichten. „Der Großefehnkanal in Westgroßefehn war Anfang der siebziger Jahre ein verkrauteter und verschmutzter Wasserlauf, der von den Einwohnern als Mülldeponie benutzt wurde“, fasst er dessen Zustand zusammen. Es stank. Schilf wucherte.

Hans-Bernd Kaufmann 2022 im Gespräch über alte Fotos mit Kerstin Buss, Vorsitzende im Fehnmuseum "Eiland" Westgroßefehn. Er hielt eine Rede zur Gebietsreform anlässlich der Feier "50 Jahre Gemeinde Großefehn" und besuchte die Ausstellung des Ortsrates. Foto: Archiv Kerstin Buss
Hans-Bernd Kaufmann 2022 im Gespräch über alte Fotos mit Kerstin Buss, Vorsitzende im Fehnmuseum "Eiland" Westgroßefehn. Er hielt eine Rede zur Gebietsreform anlässlich der Feier "50 Jahre Gemeinde Großefehn" und besuchte die Ausstellung des Ortsrates. Foto: Archiv Kerstin Buss

Für Kaufmann waren Fehnanlagen wie Kanal und Schleuse „das Gesicht dieses Dorfes“. Mit viel Überzeugungsarbeit, einer Gestaltungssatzung und Fördergeld vom Land Niedersachsen riss er trotz leerer Gemeindekassen das Ruder herum. Das Alte sollte erhalten statt abgerissen werden. Das Wirtschaftsministerium sorgte mit dem Fehnprogramm dafür, dass Gelder nach Ostfriesland flossen. „Die Vision fand Mitstreiter“, erinnert er sich im Gespräch. Kaufmann stellte zahlreiche Förderanträge und öffnete Türen, die bis dahin fest verschlossen waren. Seine Hartnäckigkeit trug Früchte. Der große Vorteil für dieses Vorhaben in Westgroßefehn war die noch weitgehend erhaltene Ursprünglichkeit, hielt er in „Dorf(-zeiten?)“ fest: „Alle Elemente, die einer Fehnsiedlung ihr charakteristisches Gepräge geben, sind in Westgroßefehn noch vorhanden.“

1981 erstrahlte die Schleuse im neuen Glanz

Im Jahr 1977 war der Plan so weit gereift, dass erste Förderanträge gestellt werden konnten. Eine erste Schätzung ging damals noch von 270.000 DM für die Sanierung aus. Eine Summe, die sich mehr als verdoppeln sollte. Das Wasser im Kanal musste aufgestaut und die Schleuse trockengelegt werden. Nachdem die alten Teile entfernt waren, wurde das Verlaat neu aufgebaut: „Eine Stahlbetonsohle und aufgehende Stahlbetonwände, die mit Mauerwerk verkleidet werden“, wurde errichtet. Hinter den Wänden wurde eine Dränage angelegt. Die Schleusentorpaare am jeweils unteren wie oberen Ende der Schleuse wurde aus speziellem Holz neu, aber nach historischem Vorbild, hergestellt. 1981 war die Sanierung abgeschlossen.

Die Schleuse bei der Komplettsanierung 1981. Die Schleuse wurde trockengelegt, ihre Basis in Stahlbeton errichtet und an den Seiten mit Mauerwerk verblendet. Foto: Archiv Kerstin Buss
Die Schleuse bei der Komplettsanierung 1981. Die Schleuse wurde trockengelegt, ihre Basis in Stahlbeton errichtet und an den Seiten mit Mauerwerk verblendet. Foto: Archiv Kerstin Buss

Die Schleusen in West- und Ostgroßefehn waren in den achtziger Jahren die ersten, die erneuert wurden. Günther Siefken, Fachgruppenleiter Bautechnik bei der Gemeindeverwaltung Großefehn, sagte vor etwa einem Jahr bei einem vor-Ort-Termin, an der Schleuse Ostgroßefehn müsste etwas getan werden – aber auch, dass diese Maßnahmen kompliziert und damit kosten- und zeitintensiv seien. Die Kommune unterhält insgesamt etwa 60 Brückenbauwerke.

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