Live-Podcast „Ein Glas mit Lars“ Alt-Bundespräsident Christian Wulffs deutliche Worte in Leer
Alt-Bundespräsident Christian Wulff sprach in Leer auf Einladung von Lars Reckermann – und lieferte sowohl lustige Anekdoten als auch mahnende Worte. Der Abend im Überblick – und zum Nachhören.
Leer - Er war sieben Jahre lang als Ministerpräsident Niedersachsens Landesvater. Er war profilierter CDU-Politiker, war der jüngste Bundespräsident der Republik – und der erste Katholik in diesem Amt seit Heinrich Lübke. Eine „Affäre“, die bis heute seinen Namen trägt und von der am Ende nichts mehr übrig blieb, beendete seine politische Karriere. „Die, die mich damals weghaben wollten, sind alle weg. Ich aber bin noch da“, sagte Christian Wulff am Samstagabend im Sparkassen-Forum in Leer über seinen Rücktritt und die „Wulff-Affäre“.
Der ehemalige Bundespräsident war zu Gast bei der Live-Aufzeichnung des Podcasts „Ein Glas mit Lars“ von OZ- und GA-Chefredakteur Lars Reckermann. Vor 210 Gästen sprach Wulff mit Reckermann über sein Leben – und noch viel lieber über das Jetzt und die Zukunft.
Christian Wulff über Medienkritik und die Lehren aus der Wulff-Affäre
Wulff war und ist Staatsmann. Ruhig, eloquent, besonnen – und ohne Probleme in der Lage, das Publikum für sich zu gewinnen und genau das zu sagen, was er sagen will. Diese Fähigkeit, das wurde im Gespräch deutlich, hat auch viel mit der sogenannten Wulff-Affäre zu tun, die in den Medien, aber nicht vor Gericht bestand hatte. „Natürlich hat es damals eine Jagd auf mich gegeben“, so Wulff. Er gestehe ein, Fehler gemacht zu haben. Aber: „Es gibt schon einige Medien, die ihre Seriosität damals verloren und bis heute auch noch nicht wiedergewonnen haben.“ Wen Wulff damit wohl vor allem meint? „Das Bild machen Sie mal schnell wieder weg“, sagte Wulff zu Reckermann, als auf dem Bildschirm eine Aufnahme mit Ex-Bild-Chefredakteur Kai Diekmann zu sehen war.
Die gewisse Skepsis gegenüber den Medien ist beim ehemaligen Bundespräsidenten geblieben. Es sei vielleicht das Schönste an seinem jetzigen Leben, dass er nicht mehr darüber nachdenken müsse, was die Medien und andere aus seinen Äußerungen und Taten machen. Wer Bundespräsident werden möchte, oder auch ein anderes hohes politisches Amt anstrebe, der sei „gut beraten, darüber nachzudenken, was Ihre Zunft, die Medien, aus dieser und jener Entscheidung machen könnten“, sagte Wulff.
Christian Wulff: Herausforderungen der politischen Verantwortung in der digitalen Ära
Stolz auf sein Leben, auf das, was er geschafft hat, ist Wulff trotz aller Querelen. Das wurde durch viele größere und kleinere Anekdoten deutlich. Noch deutlicher wurde allerdings, dass der gebürtige Osnabrücker weiterhin viel lieber ins Jetzt und nach vorn schaut. Und hier sieht Wulff Probleme. So hätten die Sozialen Medien, die Schnelligkeit von abgesetzten Beiträgen und Schlagzeilen mit dafür gesorgt, dass immer mehr Menschen überlegen, ob sie sich überhaupt politisch engagieren sollten. Die Gesellschaft müsse wieder anfangen, diejenigen, die Verantwortung übernehmen, ernst zu nehmen, sie zu tragen – statt sie als Fußabtreter zu nutzen. „Bedenkt euer Tun, denn am Ende werdet ihr keine Menschen mehr finden [die sich politisch engagieren]“ – oder nur noch die, die an dieser Art des Umgangs Spaß haben. „Dass wir jetzt so viele Donald Trumps in der Welt haben, hat auch damit zu tun.“
Ein Abend im Forum der Sparkasse Leer/Wittmund: Christian Wulff über globale Herausforderungen
Es sind diese mahnenden Worte relativ zu Anfang des Abends, die immer wieder durchbrechen – und gerade in der zweiten Hälfte und am Ende des Gesprächs eine Klammer bilden.
Manchmal wünsche er sich fast die Zeit zurück, in der man monatelang über eine Einladung zum Oktoberfest an ihn diskutieren konnte. „Heute geht es um Fragen von Krieg und Frieden, um Sozialversicherungsprobleme, um Finanzierungsprobleme, um internationale Probleme: Pandemie, Flutkatastrophen und Klimawandel“, so Wulff. „Wir leben in einer großen Umbruchzeit. Wir haben Kriegsgefahren, wir haben internationale Herausforderungen, wir haben einen zu erwartenden Handelskrieg zwischen Amerika und China, wir werden nicht außen vor bleiben. Wir müssen weltweit kooperieren, um den Klimawandel aufzuhalten“, sagte er weiter.
Es war dieser Moment, in dem Lars Reckermann unterbrach. „Was für ein schönes Statement. Unglaublich! Man sollte es auf irgendwas draufmeißeln. Sie haben ja vollkommen recht.“ Reckermann sprach an dieser Stelle aus, was – ausgehend von der gespannten Stille im Saal – wohl manche dachten. Es waren Momente wie diese, die den Staatsmann Wulff überdeutlich zeigten. Man muss Christian Wulff nicht mögen, man kann seine Politik vor allem in Niedersachsen – Auflösung der Landeszentrale für politische Bildung, rigide Sparpolitik auch im sozialen Bereich, G12, Abschaffung der Lehrmittelfreiheit, aber auch mehr Polizisten – so oder so sehen. Eine nicht klare Positionierung kann man ihm aber nicht vorwerfen – auch nicht an diesem Abend im Forum der Sparkasse Leer/Wittmund.
Christian Wulff zwischen Bananensaft und Mahnung
Was nach „schwerer Kost“ klingt, war dennoch ein kurzweiliger und auch lustiger Abend. Wulff weiß, wie man spricht, wie man die Zuhörer bei Laune hält. Es ist schwer zu sagen, was denn die wichtigste Aussage des Abends war – oder was die lustigste Anekdote war.
War es die Klima-Anlage in der Kirche Jakarta, die es nur wegen Wulff gibt? War es der Bananensaft oder der Versuch, Hape Kerkeling bis zur niederländischen Königin zu bringen? War es die erneute Bestärkung, dass der Islam zu Deutschland gehört? Oder war es doch das, was Wulff immer auch gegenüber jungen Leuten in Schulen betont: „Wir sind ein großartiges Land geworden, aus Trümmern. Wir müssen mal eine Sekunde innehalten, was für ein tolles Land wir geworden sind. Freiheit, Demokratie, Rechtsstaat, Einheit Deutschlands, Einheit Europas.“ Man dürfe dabei aber nicht vergessen, dass der Erhalt und Fortbestand dieser Errungenschaften kein Automatismus ist: „Nichts kam von allein. Das haben Menschen erarbeitet, errungen. [...] Und nichts ist automatisch von Dauer und alles ist gefährdet.“