Nach dem Tod einer 16-Jährigen: Arzt fordert Altersgrenze für Kauf von Energy-Drinks

Uwe Prins
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Von Uwe Prins
| 16.12.2024 11:09 Uhr | Lesedauer: ca. 4 Minuten
Die meisten Konsumenten halten sich die Dose ja direkt an den Hals. Wenn der Energy-Drink in ein Glas geschenkt wird, ist er meist Bestandteil eines alkoholischen Mixgetränks. Das macht die Sache allerdings nicht besser. Foto: Pixabay
Die meisten Konsumenten halten sich die Dose ja direkt an den Hals. Wenn der Energy-Drink in ein Glas geschenkt wird, ist er meist Bestandteil eines alkoholischen Mixgetränks. Das macht die Sache allerdings nicht besser. Foto: Pixabay
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Dr. Felix Oberhoffer und sein Team hatten dem Mädchen nicht mehr helfen können. Mediziner halten vor allem den hohen Koffeingehalt der Aufputschgetränke für bedenklich.

Ostfriesland - Ende des Zweiten Weltkrieges versorgte das japanische Militär ihre Kampfpiloten mit Taurin. Ziel der Regierung war es, mit der Verabreichung dieser organischen Säure die Sehfähigkeit der Flieger zu verbessern. Einige Jahre später mixten findige Chemiker im Land der aufgehenden Sonne Taurin mit Koffein und Zucker. Es ist 1962. Das Pharmaunternehmen „Taisho“ hat den Energy-Drink erfunden.

Es heißt, die Firma verdiene mit dem Gesöff namens „Lipovitan“ mehr Geld als Toyota mit Autos. Ob das stimmt? Sicher ist, dass mit Red Bull der aktuelle Marktführer im vergangenen Jahr weltweit gut 12,14 Milliarden Dosen verkauft hat. Umsatz mehr als 6 Milliarden Euro.

Zielgruppe von Red Bull-Gründer Dietmar Mateschitz und den Mitbewerbern sind Jugendliche – und die lassen sich vom süßen Geschmack und gezielten Werbe-Strategien offenbar beeinflussen. 68 Prozent in dieser Altersklasse gelten jedenfalls laut einer Studie der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit als regelmäßige Konsumenten des aufputschenden Gesöffs.

Unbewusster Selbst-Test

Sonnenuntergang 1997 in Dangast: Müde oder kaputt waren die Beachvolleyballer nach dem langen, heißen Sommertag nicht – zumindest nicht jene, die stundenlang „Warp 4“ in sich hineingeschüttet hatten. Foto: privat
Sonnenuntergang 1997 in Dangast: Müde oder kaputt waren die Beachvolleyballer nach dem langen, heißen Sommertag nicht – zumindest nicht jene, die stundenlang „Warp 4“ in sich hineingeschüttet hatten. Foto: privat
Die Werbung kennt fast jeder. „Red Bull verleiht Flügel“ – der Slogan „zieht“ bis heute. Ab 1994 gab es die „roten Bullen“ in Deutschland, und sie hatten von Anfang an eine Vormachtstellung. Aber einige Mitbewerber versuchten tatsächlich, den Höhenflug der Bullen zu stoppen: „Warp 4“ gehörte dazu. Wer „Star Trek“ kennt, der kann den Produktnamen einordnen. In der Science-Fiction-Kultserie sorgt ein Warp-Antrieb für den angemessenen Schub des Raumschiffs im All. Warp 4 entspricht dabei der 64-fachen Lichtgeschwindigkeit.

Auf der Erde versuchten die Vertriebler derweil, die roten Bullen mit breit angelegten Werbe-Aktionen zu überflügeln – unter anderem bei Funsport-Events. So kam es 1997 zu einem unvergesslichen Selbsttest: Für den Beachvolleyball-Cup in Dangast am Jadebusen hatten die Veranstalter „Warp 4“ als Hauptsponsor gewinnen können. Etliche Kühltruhen standen am Strand. Alle Turnierspieler konnten sich kostenlos bedienen, für Nachschub war immer gesorgt. Es gab jederzeit gekühlte Dosen. Es war ein heißer Sommertag. Es war ein langer Turniertag. Und es waren wohl so um die 15 Dosen, die im Verlauf des unbewussten Selbsttests bis zum Abend geleert worden waren.

Erinnerung Nummer 1:

Relevante Geschmacksunterschiede gab es zwischen dem bereits bekannten „Red Bull“ und dem bis dato unbekannten „Warp 4“ nicht. Beides ist Kategorie Gummibärchen. Aber: Die neue Marke hatte mehr Wumms, sprich: Da war mehr Kohlensäure drin.

Erinnerung Nummer 2:

Die Party im Alten Kurhaus endete am nächsten Morgen. Hoher Puls, Herzklopfen, dazu hellwach und aufgedreht. In der Nacht waren mehrere Versuche gescheitert, in den Schlafsack zu kriechen. Pausemachen war einfach nicht auszuhalten. Also wurde gefeiert, bis der DJ abbaute.

Erinnerung Nummer 3:

Trotz des massiven Schlafdefizits und weiteren Spielen am Sonntag nahm die Unruhe nicht ab. Der Mund fühlte sich klebrig und gummibärig an – trotz ausgiebiger Zahnputzerei. Und was für ein Unglaublicher Durst! Die Unmengen an Koffein und Zucker hatten Folgen: „Warp 4“ hatte ausgeflogen.

Aber das süße Aufputschmittelchen verleiht am Ende keine Flügel: „Neben dem hohen Zuckergehalt gilt vor allem das enthaltene Koffein als bedenklich“, meldet die Deutsche Herzstiftung. Diese unabhängige, gemeinnützige Organisation hat zuletzt eine wissenschaftliche Untersuchung von Dr. Felix Oberhoffer unterstützt. Ein Ergebnis der besagten Educate-Studie lautet: Der Blutdruck kann bereits nach dem Konsum einer sogenannten gewichtsadaptierten Menge (100 ml Energy Drink pro 10 kg Körpergewicht) zeitweise steigen, sagt der Facharzt der Kinderkardiologie und Pädiatrischen Intensivmedizin am Uniklinikum München. Und auch Herzrhythmusveränderungen seien möglich.

Dr. Oberhoffer befürwortet wie viele andere Ärzte und Organisationen auch eine Altersgrenze für den Kauf von Energy-Drinks. Die Educate-Studie zeige, dass sich bereits die als „unbedenklich“ betrachtete Dosis an Koffein in dieser Altersgruppe ungünstig auf das Herz-Kreislauf-System auswirke. „Kindern und Jugendlichen sollte vom Konsum von Energy Drinks abgeraten werden“, betont der Münchner Mediziner. Ein Verkaufsverbot an Minderjährige gibt es aktuell in Litauen und Lettland.

68 Prozent der Jugendlichen trinken regelmäßig Energy-Drinks. Das geht aus einer Studie der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit hervor. Foto: Pixabay
68 Prozent der Jugendlichen trinken regelmäßig Energy-Drinks. Das geht aus einer Studie der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit hervor. Foto: Pixabay
Der Mediziner des Uniklinikums München warnt vor allem jene Menschen vor dem Konsum von Energy-Drinks, bei denen ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko besteht. Das kann unter anderem eine abgeheilte Herzmuskelentzündung sein oder auch ein korrigierter angeborener Herzfehler. Besondere Gefahr besteht zudem, wenn Übergewicht, Bluthochdruck oder Diabetes vorliegen. Und auch die Einnahme verschiedener Medikamente – zum Beispiel Präparate gegen ADS – sprechen gegen den genuss dieser Getränke.

Der tragische Todesfall einer jungen Schülerin war für Dr. Felix Oberhoffer der Anlass gewesen, mit weiteren Kollegen ein Forschungsprojekt zu beginnen. Die 16-Jährige war im Unterricht nach einer Herzrhythmusstörung kollabiert und reanimiert worden. Wenige Tage später starb sie im Klinikum – auf der Station von Dr. Oberhoffer. Niemand hatte ihr mehr helfen können. Aufgrund einer unbemerkten und deshalb unbehandelten Herzmuskelentzündung war es zu einer Herzschwäche gekommen. In den drei Tagen vor dem Zusammenbruch hatte die 16-Jährige für eine Prüfung gelernt, sehr wenig geschlafen und große Mengen an Energy-Drinks getrunken. Und der behandelnde Arzt fragte sich: „Was hat der exzessive Konsum der Energy-Drinks zu dem tragischen Ausgang beigetragen?“

Im Laufe der Studie wurde deutlich, dass Energy-Drinks in Verbindung mit Triggerfaktoren (Sport, Alkohol, Stress) sowie Vorerkrankungen das Herz, aber auch andere Organe wie Niere und Gehirn, insbesondere bei Jugendlichen gefährden können.

Gefährlicher Mix: Oft werden die Aufputschmittel zusammen mit Alkohol gemischt. Foto: Pixabay
Gefährlicher Mix: Oft werden die Aufputschmittel zusammen mit Alkohol gemischt. Foto: Pixabay
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit rät in ihren Leitlinien, dass Kinder und Jugendliche täglich nicht mehr als 3 mg Koffein pro Kilo Körpergewicht konsumieren sollen. Allerdings: Schon mit dem Verzehr eines halben Liters Energy-Drink liegt ein Teenager, der 50 Kilo wiegt, über diesem Limit, denn eine 250 ml große Dose enthält im Durchschnitt etwa 80 mg Koffein. Das ist übrigens gut dreimal so viel wie in der gleichen Menge der meisten Cola-Getränke vorkommt.