Ostfriesischer Kunstkreis Mit schrägen Ideen ins Jahr 2025
Ein Weihnachtskontor mitten in der Stadt, eine über ihre Dächer hinweg sichtbar illuminierte Mühle, eine Tür ohne Haus: Der Ostfriesische Kunstkreis lässt seine „Bubble“ in Wittmund platzen.
Wittmund - Kunst und Künstler haben in der öffentlichen Wahrnehmung oft ein ernsthaftes Problem. Das ist auch Walter Ruß, Helma Ruß-Bittner und Tanja Bakenhus klar geworden. Die drei Mitglieder im Vorstand des Ostfriesischen Kunstkreises haben in den zurückliegenden vier Jahren in der Vorstandsebene Erfahrungen gemacht, die sie nie für möglich gehalten hätten. „Es gab allen Ernstes Menschen, die nicht wussten, dass es uns seit fast 50 Jahren gibt“, stellt der Vorsitzende Ruß kopfschüttelnd fest. Dabei gibt es den Ostfriesischen Kunstkreis (OKK) seit 1977. Er hat etwa 100 Mitglieder, darunter 60 Künstler wie Bakenhus und Bittner es sind, und 40 Förderer, zu denen Ruß zählt. Diese Beobachtung hat Letzterer im Sommer gemacht, als der Verein sich erstmals auf dem Bürgermarkt präsentierte.
Aber Ruß macht auch deutlich, dass diese Wahrnehmung oder auch Nicht-Wahrnehmung zum Teil hausgemacht ist: „Elitär“ sei das Wort, das in Bezug auf die Arbeit, die der Verein mit Ausstellungsräumen in der Wittmunder Peldemühle leistet, am häufigsten falle. 2024 brachte der Kunstkreis seine Bubble – die eigene Blase mit Wohlfühlcharakter – zum Platzen, verließ das gewohnte Umfeld von Atelier und Galerie und mischte sich unters Volk: Aus dem Wittmunder Stadtfest erwuchsen lockere Gespräche, wertvolle Kontakte – und gegenseitiges Verständnis. „Wir haben uns auch anders dargestellt als nachdenklich vor der Leinwand“, macht Ruß deutlich.
Das Kontor – eine schöne Bescherung
Kunst und Kultur gehören in die Breite – und ins Zentrum der Stadt. Und genau dort findet dieses Gespräch statt. Im liebevoll gestalteten Weihnachtskontor. Das Kontor öffnet der OKK seit besagtem Stadtfest im Sommer regelmäßig. Was als kurzfristige Idee für wenige Tage begann, hat nun schon seit einem halben Jahr Bestand. Der OKK nutzt einen Leerstand, für den es jetzt aber eine neue Nachnutzung gibt. Also endet das Projekt erst einmal Ende Dezember 2024. Noch aber gibt es in der Norderstraße kleine Geschenkideen mit künstlerischem Anspruch – aber eben nichts abgehoben Teures oder schwer verdaulich Abstraktes. Niedrigschwellige Kunst sozusagen. Zugleich ist es ein Beitrag zur Belebung der Innenstadt. Und das vielleicht Wichtigste am Kontor ist die Chance auf Kommunikation, stellt Ruß-Bittner klar: „Ins Gespräch kommen mit den Leuten.“
Neues Jahr, neuer Leerstand also? Ruß will es angehen: „Wir träumen davon, dass wir das im nächsten Jahr wieder machen können.“ Leerstände gibt es genug in der Wittmunder Innenstadt, sollte man meinen. „Ich bin hier aufgewachsen und kenne die Stadt auch anders“, erzählt Helma Ruß-Bittner. „Das war früher eine richtig nette Stadt.“ Noch in den 1990er Jahren sei das so gewesen: Theater, Shanty und mehr, erinnert sich Walter Ruß. Er sagt: Kultur gehört in die Stadt. Als einer der Bausteine, der Wittmund besser machen soll. Mit dieser Idee steht der Verein nicht allein da: Andere Vereine wie der Gewerbeverein Pro Wittmund, der Bürger- oder Heimatverein, dazu der Arbeitskreis Innenstadt – sie verbreiten Aufbruchstimmung. Ruß hat dazu eine klare Meinung: „Wer nichts versucht, der schafft auch nichts.“
Neue Themen, neue Formate
Ein „Weiter wie bisher“ wollen viele nicht mehr. „Ich denke, dass wir in Wittmund an einem Punkt angekommen sind, an dem es nach vorne geht“, unterstreicht Ruß. Der Kunstkreis will dabei sein: „Wir haben drei Jahre lang gerödelt. Jetzt stellen wir fest, dass andere auf dem gleichen Weg sind.“ Es entstehe ein Netzwerk mit neuen Möglichkeiten, neuen Kooperationen: „Wir müssen in Bewegung bleiben und den Menschen was anbieten. Dann kommt eins zum anderen.“ Diese Agilität schätzt auch Gritje Peters: „Ich halte die Arbeit des Vereins für sehr wertvoll.“ Sie ist Vorstandsmitglied der Heinz-Wieker-Stiftung. Die Stiftung mit Sitz in Dötlingen geht auf den 2018 verstorbenen Ehemann ihrer Mutter, der Wittmunderin Erika-Janna Petersen-Wieker, zurück. Die Stiftung unterstützt den Kunstkreis wie auch viele andere Vereine und Initiativen nicht nur in Wittmund finanziell.
Neue Wege in der Stadt – und neue Wege in der Kunst. Innerhalb der „Traditionsklammer“ von Jahres- und Mitgliederausstellung mutig sein: Zunächst hat der Verein sich unter Corona-Bedingungen neu aufgestellt. Ruß prägte mit dem Motto „Mit Kultur wird‘s lebendig“ die Arbeit des neuen OKK. Die Idee dahinter: sichtbar bleiben oder werden, Ideen entwickeln – und einfach machen: „Wir haben uns einfach am Anfang getraut, den Mund etwas voller zu nehmen.“ Frischer Wind, dank engagierter Ehrenamtlicher und Experimentierfreude. Als Resultat habe es den ein oder anderen Aha-Effekt gegeben. Vereinsarbeit ist kein Selbstläufer, unterstreicht Helma Ruß-Bittner, sondern harte Arbeit. Es braucht Kontinuität, Durchhaltevermögen, Geduld – nicht Kreativität allein gibt hier den Ton an.
Gekommen, um zu bleiben
Mit der Ausstellung zu Jürgen Müller-Dühring im Juli 2024 wurde erstmals das Lebenswerk des Wittmunder Künstlers gewürdigt. Es kamen plötzlich Wittmunder ins Kunst- und Kulturzentrum, die zuvor noch nie einen Fuß hineingesetzt hätten. Die neue Offenheit und der entstandene Austausch wirke sich auch positiv auf die Kunst aus, sagt Ruß: „Wir haben Künstler, die plötzlich andere Dinge ausprobieren, andere Stile.“
Das Außergewöhnliche wagen, auch das ist eine Kunst: In der Stadt, vor der Mühle und in Harlesiel stehen jetzt Türen. Ruß: „Die korrespondieren miteinander.“ Eine weitere steht in den schottischen Highlands. Im November 2024 folgte die Dunkelausstellung: „Das war eine schräge Idee, bei der Kunstausstellung das Licht auszumachen“, sagt Walter Ruß lachend. Sollte man meinen. Aber das Konzept griff. Helma Ruß-Bittner ergänzt: „Man muss über die Schwelle hinweg von: ‚Geht das denn?‘“ Zusätzlich wurde die gesamte Mühle weithin sichtbar über den Dächern der Stadt illuminiert.
2025 soll es genauso weitergehen. „Wir werden gemeinsam mit den Wittmundern den Verein voranbringen – und uns aneinander gewöhnen“, verspricht Ruß-Bittner. Da sind die drei Vorstandsmitglieder sich einig: „Wir haben uns ins Bewusstsein der Leute gedrängt“, meint Ruß lachend. „Und da bleiben wir auch“, steht für Bakenhus fest.