Serie „Fehntjer Geschichte(n)“ Eine christliche Schule – Werner Trauernicht packte es an
Eigentlich hatte Werner Trauernicht im Trauco-Vertrieb ausreichend zu tun. Doch er holte die Idee einer Freien Christlichen Schule nach Ostfriesland, war ihr „Zugpferd“. Aus 26 Schülern wurden 1350.
Großefehn/Moormerland - Kaum vorstellbar, was eine Handvoll Menschen aus tiefer Überzeugung heraus leistete: 1985 gründete sich auf Initiative von Werner Trauernicht der Verein für Evangelische Schulerziehung in Ostfriesland. Die Gründungsmitglieder, darunter Trauernichts Frau Hanna und Hinrich Troff, hatten etwas gemeinsam: Sie wollten eine Schule erschaffen, die ihren Ansprüchen einer Schulbildung im Einklang mit ihrem Glauben ermöglichte. „Es ist eine Elternschule“, stellt Letzterer rückblickend fest. „Die Eltern wollten diese Schule.“ Die Kinder sollten von christlichen Lehrern beschult werden, sollten konservative Werte und Normen kennenlernen und vermittelt bekommen. „Wir sind ein Stück weit missionarisch tätig. Wir wollen Jesu Christi zu den Menschen bringen.“ Schon 1987 wurde der erste Jahrgang beschult: 26 Kinder in einer ersten und zweiten Klasse. Heute besuchen etwa 1350 Schülerinnen und Schüler die Freie Christliche Schule Ostfriesland (FCSO) in allen Jahrgänge.
Die Idee, erinnert sich Hanna Trauernicht, hatten Kunden aus Bremen ins Hause Trauernicht gebracht. Der 2020 im Alter von 75 Jahren verstorbene Werner Trauernicht war der jüngere Bruder des Fehntjer Urgesteins Rolf „Tullum“ Trauernicht. „Tullum“ war Firmengründer der Trauco-Firmengruppe mit Stammsitz in Großefehn. In der großen Familie, die Brüder hatten zehn weitere Geschwister, spielte der Glaube wie bei vielen Fehntjer Familien eine elementare Rolle. Der Vertrieb war Werner Trauernichts Leidenschaft, der als Prokurist in der Geschäftsleitung des Familienunternehmens viel unterwegs war: „Er verkaufte gern Fliesen“, stellt seine 76 Jahre alte Witwe fest. Wann immer Kunden für Absprachen größerer Projekte nach Großefehn gekommen seien, habe man sich im Hause Trauernicht getroffen: „Alle Leute wurden bei uns zum Essen eingeladen.“ Auch eine Abordnung der Freien Evangelischen Bekenntnisschule Bremen. So schwappte die Idee einer Bekenntnisschule ins Hause Trauernicht.
Niemand durfte unverrichteter Dinge wieder gehen
Zunächst musste Werner Trauernicht 1985 Mitstreiter finden, die seine Vision von einer besseren Schule teilten. „Eine Schule auf biblischer Basis“, erklärt Hanna Trauernicht, das sei es gewesen, was ihm vorschwebte. Konfessionell sollte die nicht zu eng gedacht sein. Gemeinsamkeiten im Glauben hätten für ihn immer im Mittelpunkt gestanden, nicht die Unterschiede. So ist es noch heute, unterstreicht Kurt Plagge, Vorstand Finanzen und Verwaltung der Schule: „Die gemeindespezifische Prägung bleibt bei uns außen vor.“ Bei einem Rundgang durch die Schule zeigte er den Gründungsmitgliedern Hanna Trauernicht und Hinrich Troff sowie Hinrich Tjaden, der sie ebenfalls seit den Anfängen begleitet, wie die Bildungseinrichtung sich entwickelt hat.
Ein erstes Treffen im Hause Trauernicht in Wiesmoor zur Gründung des Trägerkreises, der die Grundlage der FCSO ist, erinnert Hanna Trauernicht folgendermaßen: „Mein Mann machte die Tür zu und sagte: ‚Es geht hier keiner raus, bevor es beschlossen ist‘.“ Also wurde gegründet. Die Witwe sagt klar: „Mein Mann war das Zugpferd. Er hat nicht lange überlegt.“ Und so wurde er auch gezwungenermaßen Vorsitzender des Trägerkreises – eigentlich habe er nur vier Wochen einspringen wollen. Daraus wurden 24 Jahre. Troff ist noch heute voller Bewunderung für Trauernichts Schaffenskraft: „Er konnte vorn anstehen. Er war ein Mutmacher.“ Diesen Eindruck teilt auch Plagge: „Er hatte die Gabe, Menschen mit einzubinden – wertschätzend und auf Augenhöhe.“
Werner Trauernicht schrieb Schulgründung auf
Die ersten Trägerkreissitzungen hätten reihum in den Häusern der 18 Gründungsmitglieder stattgefunden. Es war eine ganze Menge an Papierkram notwendig, um die Idee der Schule zu realisieren. Später schrieb Werner Trauernicht die Geschichte der Gründung auf. In „Denn ER tut Wunder – Wie Gott eine Schule baut“ hält er fest: „Wenn ich im Voraus gewusst hätte, welche Schwierigkeiten und Herausforderungen auf mich zukommen würden, hätte ich die Flinte ins Korn geworfen und Gottes Auftrag mit Händen und Füßen abgewehrt. Doch heute bin ich froh und dankbar, dass mich Gott zu der damaligen Zeit nicht das ganze Ausmaß der Problematik einer Schulgründung hat erkennen lassen.“
Die meisten Schulen sind in öffentlicher Trägerschaft. Freie Träger, beispielsweise bei Waldorfschulen, sind eher die Ausnahme als die Regel. Trotz aller Widrigkeiten: „Die Christliche Schule hat sich etabliert“, unterstreicht Tjaden. Ihr Mann habe über eine gute Portion Gottvertrauen verfügt, erinnert sich Hanna Trauernicht. „Auch in den Krisensituationen.“ Er sollte Recht behalten. Das Ehepaar Trauernicht war ein eingespieltes Team: Werner war der Macher an der Front, Hanna „die Stütze dahinter“, sagt sie selbst über sich.
Improvisierte Anfänge
Die Idee der neuen Schule zog schnell Kreise: „Wir bekamen Einladungen von den Gemeinden aus ganz Ostfriesland“, berichtet Hanna Trauernicht. Das Konzept sollte vorgestellt werden. „Beim Abendbrot klingelte das Telefon ununterbrochen.“ Eltern riefen an und verlangten nach Informationen. Morgens dann hätten die Frauen angerufen. „Die ersten Jahre ging ganz viel über unser Telefon.“ Einen Einzugsbereich hat die FCSO nicht. Jeder kann sie besuchen. Die Wahl dieser Schule ist eine bewusste: Die Alternative zur öffentlichen Schule kostet Schulgeld und ist für viele mit einem weiteren Schulweg verbunden. Als Standort hatten sich die Gründer auf die Umgebung von Leer geeinigt – weil dies zentral und gut erreichbar sei. Dass es schließlich Veenhusen wurde, war Zufall.
Auch Hinrich Troff meisterte die frühen Herausforderungen auf besondere Weise, erzählt er. „Vorstandssitzungen und Vorstellungsgespräche fanden immer bei uns in der Wohnstube statt“, berichtet er lachend. Denn um 4 Uhr morgens habe der Landwirt im Stall stehen müssen – und nur so konnte er direkt nach der Sitzung in sein Bett verschwinden. Doch nicht nur die Träger hatten gut zu tun. Auch die Familien packten ordentlich an. „Die Eltern der ersten Stunde haben sich sehr eingebracht“, weiß Kurt Plagge. Der Putzdienst, Gartenarbeiten und vieles mehr mussten übernommen werden. Längst sind die Familien nicht mehr nur christlich geprägt. Aber die Werte müssten sie doch teilen. Auch die Arbeitsdienste fallen weg. „Das wird mit der Größe weniger. In kleinen Einheiten ist die Identifikation sehr stark.“ In Moordorf könne er das gerade gut beobachten: Seit 2023 gibt es dort einen zweiten Schulstandort.
Schulleben auf der Baustelle
Die Anfänge um 1987 waren schwer und improvisiert. Die ersten Jahrgänge hatten kein eigenes Schulgebäude, die gebrauchten Möbel auf den Dachböden öffentlicher Schulen zusammengesammelt. Die Gemeinschaft aber war stark. Kurt Plagge sieht in der FCSO eine Bereicherung der Schullandschaft. Aber das musste sie erst einmal beweisen: „Es war natürlich so, dass wir erst einmal kritisch gesehen wurden.“ Das habe sich gegeben: „Immer mehr Eltern haben ihre Kinder angemeldet.“ Man leiste eine gute Schularbeit – aber eben auf einer christlichen Basis. Das habe viele überzeugt. „Jeder kann sein Kind schicken, egal welche Konfession er hat.“ Christliche Grundwerte seien jedoch fest im Umgang miteinander verankert. Und einen täglichen geistlichen Impuls gibt es für die nunmehr 1350 Schüler, 120 Lehrer und 30 Mitarbeiter auch.
Wenn Troff eines gelernt hat als Mitglied im Trägerkreis, dann ist es die Baustellenbegleitung: Eine ständig wachsende Schule braucht Platz für ihre Schüler. „Alle zwei Jahre ein neuer Gebäudeteil“, überschlägt der 86-Jährige aus Neermoor. Gebaut wird oft auf eigene Rechnung: Eine freie Schule hat weniger Ansprüche auf finanzielle Mittel als eine staatliche. Darum hat die Einrichtung beispielsweise erst seit 2008 eine eigene Turnhalle. Herausforderungen gab und gibt es immer. Aber es geht stetig voran. Mittlerweile sind die erste Abiturienten als Lehrer zurückgekehrt und unterrichten. Hinrich Troff kommt angesichts dessen, was er nahezu 40 Jahre nach Gründung des Vereins für Evangelische Schulerziehung in Ostfriesland sieht, kaum aus dem Staunen heraus: „Wenn man jetzt zurückdenkt an 26 Kinder ... “